Erste Fortsetzung

Die nachfolgenden Fakten werden näher zeigen, was es mit der vielgerühmten amerikanischen Justiz und der Gleichheit vor dem Gesetze bisweilen auf sich hat.

In einem ausgelassenen Augenblicke erzählte, spottend über die New Yorker Constabler, ein dortiger Spezereihändler, dass er eines Tages mit mehreren Freunden in ein Wirtshaus gekommen, dort Streit bekommen und einen Menschen todgeschlagen habe. Unglücklicher Weise habe man ihn in dem Hause gekannt, während seine Freunde unbekannt gewesen seien und so sei gegen ihn Haftbefehl ausgewirkt und einem Constabler zur Vollziehung übergeben worden. Der Zufall habe ihn kurze Zeit nachher in die Nähe jenes Hauses geführt, wo ihn der betreffende Constabler also bald unvermutet arretiert habe. Bestürzt sei er eine Strecke mit dem Polizeimanne gegangen, habe sich inzwischen gefasst und seinen Begleiter freundlich ersucht, bevor er ihn zum Richter bringe, möge er eins mit ihm trinken, was der Constabler auch akzeptiert habe. Darauf seien sie in eine Schenke gegangen und während der Wirt das bestellte Getränke zu holen, sich entfernte, habe er eine 5 Dollar-Note genommen und dem Polizeimanne in die Hand gedrückt mit den Worten : „Nun haben Sie mich nicht gefunden!“ Der Constabler habe die Note besehen und, als er die 5 erblickt, bemerkt: „wohl, so sei es, ich will den Haftbefehl vernichten und dann gehen Sie wo's beliebt.“ Darauf habe dieser den Haftbefehl aus der Tasche gezogen, in Stücke gerissen und in die Straße geworfen. Als dann hätte jeder sein Glas getrunken und sei der Eine rechts, der Andere links eines Weges gegangen. Einige Zeit nachher sei er nach Hamburg gereist und erst nach einem Jahre nach New York zurückgekehrt, wo nun kein Hahn mehr nach dem Vorgefallenen krähe.


In Kentuky findet ein Lehrer (deutscher) sich veranlasst, wegen wiederholtem, ungebührlichen Betragen, dem Knaben eines reichen Gutsbesitzers eine kleine Ohrfeige zu geben. Der Knabe geht nach Hause, beklagt sich bei seinem Vater und dieser geht Nachmittags in die Schule und erschießt, unter Schimpfen und Fluchen, den armen Schulmeister vor allen Kindern, ohne auf dessen Bitten: ihn doch erst anhören zu wollen, zu achten. Der Mörder wird verhaftet. Die Kinder der Schule bezeugen, dass der Lehrer stets ein liebevoller Mann gewesen, dass der Knabe ich sehr ungebührlich benommen, indes nur eine kleine Ohrfeige bekommen, dass der Vater des Knaben den Lehrer, ohne auf dessen Bitte um Gehör zu achten, unter Schimpfen und Fluchen vor ihren Augen und trotz ihres Schreies des Entsetzens erschossen habe. Der arme Lehrer hinterließ Frau und mehrere Kinder. Die Geschworenen aber sprachen trotz alle dem, und trotz des Schreies der Entrüstung, welchen zahlreiche Blätter ob dieser grässlichen Mordtat erhoben, den reichen Mörder frei.

Zwei Amerikaner Namens Oden oder Odem, von den Nachbarn wegen häufigem Auftreiben und gelegentlichem Einbrennen (Marken) fremden Viehes bekannt, wurden eines Tages von dem Sohne einer deutschen Witwe, welcher eine Kuh abhanden gekommen war, besucht und die gesuchte Kuh in der Penne (Abzäunung für Rindvieh) der Odem gefunden.

Der junge Deutsche verlangte, dass ihm die Kuh ausgeliefert werde. Odem erklärt, die Kuh gehöre ihm. Der Deutsche zeigt auf seinen an der Kuh befindlichen Brand und erklärt: wenn Odem die Kuh nicht aus der Penne treiben wolle, er dieselbe herausholen werde, wozu er gesetzlich berechtigt war. Da Odem bei der Weigerung beharrte, so stieg der Deutsche vom Pferde, trieb die Kuh aus der Penne und setzte sich wieder aufs Pferd, um die Kuh nach Hause zu treiben.

Kaum aber war er aufgesessen, als einer der Odem mit geladener Büchse zum Hause heraustritt, dem Deutschen eine Kugel durch die Brust schießt, dass er vom Pferde fällt und stirbt. Die Sache kam zur Verhandlung, trotz aller Anstrengung der Familie ward der Mörder zwar zum Tode verurteilt, entkam aber.

Der Gouverneur des Staates, um ein Beispiel von Gerechtigkeit zu konstatieren, setzte einen Preis von 400 Dollars als Belohnung für Den oder Diejenigen, welche in irgend einer Weise des Mörders habhaft und ihn an irgend welchen Sherif abliefern möchten.

Unterdessen ward es kund, dass der Mörder sich in seinem Hause versteckt aufhalte. Die Amerikaner der Nachbarschaft blieben untätig. Die Deutschen, fürchtend dass solche Szenen sich wiederholen möchten und bemitleidend die ihrer einzigen Stütze beraubte deutsche Witwe, beschlossen zu 20 zu Pferde zu sitzen, den Mörder in seiner Wohnung zu arretieren und dem dortigen Sherif zu überliefern. Sie führten ihren Entschluss aus, brachten den Mörder des Abends gebunden in die Wohnung des Sherifs und ließen ihn die Nacht über bewachen. Inzwischen konnte dies den Amerikanern nicht unbekannt bleiben, und so erschienen am folgenden Morgen etwa 16, darunter die angesehensten, bemitteltsten Amerikaner der Nachbarschaft zu Pferde, mit Doppelbüchsen und Sechsschuss Pistolen bewaffnet, drangen in die Wohnung des Sherifs, drohten Jeden niederzuschießen, der sich der Freimachung des Mörders widersetzen wolle. Der Sherif gab nach, der Mörder ward befreit und in Sicherheit gebracht. Darauf aber kehrten die Amerikaner nicht nur bewaffnet, sondern auch betrunken zu rück und forderten die Auslieferung des jungen Deutschen, welcher den Mörder während der vergangenen Nacht bewacht habe, um denselben sofort zu erschießen, zum warnenden Beispiele, dass kein „Gott verdammter Deutsche“ sich jemals wieder anmaßen solle, unter welchen Umständen es immer sein möchte, Hand an die Freiheit eines Amerikaners anlegen zu wollen.

Unter beständigem Fluchen, Schlagen und Stoßen, drohten sie, Alle, welche bei der Verhaftung des Mörders beteiligt gewesen, niederschießen zu wollen, wenn der betreffende Wächter nicht ausgeliefert werde. Sie überfielen so mehrere Wohnungen. Wo die Einlass fanden, wurden die Einwohner malträtiert. Es war bereits Nacht geworden, während die racheschnaubenden Amerikaner noch forttobten und Schrecken und Angst die Bewohner des Orts erfüllte.

Die Amerikaner wandten sich nun auf die andere Seite des durch den Ort fließenden Flüsschens, wo zwei der beherztesten Deutschen, welche den Mörder in einer Wohnung gefangen genommen hatten, wohnten. Diese waren aber durch den allgemeinen Lärm unterrichtet, auf den Empfang der amerikanischen Gäste gefasst. Sie hatten Türen und Fenster geschlossen und sich mit den männlichen Angehörigen der Familie bewaffnet in den Gärten so gut als es ging versteckt aufgestellt. Die Amerikaner, als sie alles verschlossen fanden, durchbohrten die Türen und Fenster mit den darauf abgefeuerten Kugeln. Die versteckten Deutschen blieben die Antwort nicht schuldig. Erst spät und nach wiederholten Versuchen auf jede dieser letztbenannten Wohnungen zogen sich die Amerikaner zurück. Die Deutschen dankten Gott, dass während des häufigen Kugelwechsels kein Mitglied ihrer zahlreichen Familie in den Häusern verwundet worden war. Diesem schließlichen Widerstande mag es zu danken sein, dass, nachdem die Amerikaner anderen Tages vom Branntweine nüchtern geworden, die Szene des vorigen Tages nicht wiederholt wurde. – Doch was waren nun die Folgen von diesen Ungeheuerlichkeiten und Gewalttaten, von dieser öffentlichen Verhöhnung aller Gesetze?

Der Oberrichter der Grafschaft ward, da er in der Nähe des Ortes wohnte, bald unterrichtet und kam an den Ort der Gewalttätigkeit und – was war das Resultat? –

Der Oberrichter, selbst ein eingewanderter und als Advokat geachteter Deutsche, war mit des Sherifs Vater (einem ehemals fürstlich Wittgensteinischen Bürgermeister) befreundet und hatte dessen Sohn zum Sherif des Ortes ernannt, ohne sich zu erkundigen, ob der junge Mann großjährig, der Vater wirklich amerikanischer Bürger geworden sei, wie es für solche Fälle das Gesetz erheischt. Jetzt fand es sich nun, dass der junge Sherif nicht großjährig, also für das Losgeben des Mörders nicht verantwortlich zu machen sei, wie auch, dass dessen Vater sich nicht als Bürger hatte eintragen lassen und somit der junge Mann gar nicht hatte zum Sherif ernannt werden können. Die ganze Verantwortung fiel dem nach auf den Oberrichter zurück. Der Oberrichter entsetzte nun den Sherif seines Amtes und ließ, da ein Amerikaner zu diesem sehr schlecht besoldeten und zugleich die Henkerspflicht auferlegenden Amte nicht leicht zu finden, den Posten ganz unbesetzt. Den schwer gekränkten Deutschen wurde der Rat erteilt, sich vorsichtig und ruhig zu verhalten, mit der Versicherung, dass die Sache am besten vor der Hand auf sich beruhen zu lassen sei, da sie, weil allgemein bekannt, jedenfalls vor die Jury kommen, die Frevler dann bestraft werden würden, ohne dass es vorher einer speziellen Denunziation bedürfe und Jemand sich ferneren Verfolgungen. Seitens der Gewalttäter auszusetzen brauche.

Zum näheren Verständnis dieses Rates mag hier die Mitteilung nicht überflüssig erscheinen, dass alljährlich in jeder Grafschaft (County) ein sogenanntes großes Gericht gehalten wird, welchem der Oberrichter der Grafschaft präsidiert. Dieses Gericht ist aus circa 100, aus der Grafschaft gewählten Geschworenen zusammen gesetzt, heißt daher große Jury und großer Gerichtshof und ist die oberste Instanz. Jedem seiner Mitglieder wird, außer der in gewöhnlicher Eidesformel enthaltenen Verpflichtung, nur nach unparteiischer Erkenntnis die ihnen vorzulegenden Fragen über Schuldig oder Nichtschuldig zu beantworten, noch eidlich die Pflicht auferlegt, alle ihm im Laufe des Jahres zur Kenntnis gekommenen, in der Grafschaft vorgefallenen und nicht anderweitig zur Klage und Ahndung gebrachten Verbrechen gegen die Staatsgesetze, vor dieser großen Jury zur Anzeige und demgemäßen Aburteilung zu bringen.

Die Deutschen, welche sich immer noch etwas darauf einbilden, dass der Grafschafts-Oberrichter ein geborener Deut sicher sei, und fürchtend, dass, wenn die Sache weiter verfolgt werde, dieser abgesetzt und ein amerikanischer dessen Stelle einnehmen werde, ließen nun alles auf sich beruhen, fest glaubend, dass bei dem nächsten Grafschaftsgericht die Sache unbedingt zur Bestrafung kommen müsse, da ja der Oberrichter selbst, als Haupt der großen Jury, im Falle kein Anderer diesen allgemein bekannten Skandal zur Anzeige brächte, dies nicht unterlassen könne.

Unter den Amerikanern, welche die gewaltsame Befreiung des Mörders bewerkstelligt, und die vorbeschriebenen Exzesse begangen hatten, befanden sich aber auch mehrere Mitglieder der großen Jury. Bevor die große Jury zusammentrat, ward es kund, dass der Mörder Odem sich wieder in seinen Hause aufhalte. Dem Oberrichter ward alsbald Anzeige gemacht, tröstete indessen mit dem bevorstehenden Zusammentritte der großen Jury. Als dieser endlich Statt fand, verlautete während der ganzen Sitzungsperiode weder ein Wort von dem Mörder, noch von den gewalttätigen Befreiern, und die Deutschen sahen sich verdutzt einander an.

Einige Monate später kam sogar der Mörder an den Ort seiner gewaltsamen Befreiung. Am hellen Tage kehrte er bei einem Deutschen ein und erklärte, dass er nun wieder zu Hause sei, und wenn irgend ein Gott verdammter dutchmann den Mut habe, möge er hinkommen, ihn zu holen. Die Sache blieb beim Alten. Doch vielleicht, könnte der Unbekannte sagen, war das bloß auf eine Demütigung der Deutschen abgesehen? – Höre man daher noch eine andere Probe.