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Bayerischer Gebirgsbote

 

Der alte Feldmarschall Fürst Blücher von Wahlstadt war ein geborner Mecklenburger, und seine Geburtsstadt Rostock an der Warnow, wo auch jetzt sein ehernes Standbild auf dem Blücherplatze schon seit 20Jahren zu sehen ist. Der alte Haudegen liebte außer seinen wackeren „Jungen,“ wie er seine Reiter nannte, bekanntlich drei Dinge über die Maßen: Ein Glas Wein, das Spiel, und eine Pfeife Tabak. Wein und Spiel musste er sich nicht selten versagen, wenn er, trotzdem, dass er Feldmarschall war, eben kein Geld hatte, was ihm ungefähr eben so oft passierte, als einem lustigen homme de lettres, und in solchen Stunden pfiff er seinen Leibmarsch, gähnte und fluchte ein Bisschen, blieb übrigens aber guter Dinge. Jedoch seine Pfeife Tabak hätte er nicht missen können, die musste er haben, mindestens ein paar Züge, bevor er irgend Etwas unternahm. „Ohne Tabak bin ich keenen Groschen nütze!“ sagte er oft, und seine lange Gefangenschaft in Lübeck schrieb er bloß dem Umstande zu: „dass er damals nich eene elende Pipe Tabak mehr besessen habe.“ So sehr aber der alte „Vorwärts“ den Tabak liebte, so war er durchaus kein Liebhaber von kostbarem Pfeifengerät, und am liebsten rauchte er aus einer langen holländischen Tonpfeife, welche bekanntlich ein höchst zerbrechliches Instrument ist. Aus diesem Grunde hatte er denn unter seinen „Jungen“ sich einen eigenen „Pipenmeister“ erwählt, der die Aufsicht über eine lange Kiste wohlverpackter Tonpfeifen führte, das kostbarste Stück der Blücher’schen Feldequipage. Zerbrach eine der Pfeifen, so war das ein Ereignis, das für unseren alten Helden vielleicht mehr Wichtigkeit hatte, als ein kleines Scharmützel mit dem Feinde. Es ward in solchen Fällen die „Blessierte“ genau untersucht, war der Stiel nicht knapp am Kopfe abgebrochen, so ward sie ins Corps der Invaliden versetzt, und bekam den Namen „Stummel.“ Eines solchen Stummels bediente sich der Feldmarschall gewöhnlich auf Marsch- und Recognisationsritten, und gar mancher „Stummel“ ist ihm, wie Augenzeugen versichern, von feindlichen Kugeln vor dem Munde weggeputzt worden, so, dass er das Ende vom Stiel davon im Munde behielt. Blüchers Pipenmeister zur Zeit des Befreiungskrieges war ein Mecklenburger, ein Rostocker, wie Blücher selbst, und diesem über alle Maßen ergeben. Niemand kannte so alle kleinen Eigenheiten des alten Helden, als Christian Hennemann, und keiner wusste sich so d'rein zu schicken. Sein eigentliches Amt als Pipenmeister verwaltete Hennemann mit größter Treue und einem fast fanatischen Eifer; die Kiste mit den Pipen war sein höchstes Gut, und der wäre seines Lebens nicht sicher gewesen, der sie beschädigt, oder den Versuch gemacht hätte, auch nur einen Stummel daraus zu entwenden. Hennemann wusste genau, wie viele komplette Pfeifen, Blessierte (an welchen bloß ein Teil des Stiels fehlte), und Stummel die Kiste enthielt, und zählte sie alle Sonnabend, wie ein Geizhals seine harten Thaler, und geriet schier außer sich, wenn er unter den Blessierten eine fand, die nicht einmal mehr zum Stummel tauglich schien. Es war die Gewohnheit des „Alten,“ vor jedem ernsten Angriffe sich eine lange Pfeife stopfen zu lassen, aus dieser rauchte er ein paar Züge, gab sie sodann noch brennend seinem Hennemann, setzte sich im Sattel zurecht, zog seinen Säbel, und mit dem kräftigen Rufe: „Vorwärts, meine Jungen!“ stürmte er auf den Feind los, und schlug, bis nichts mehr zu schlagen war.

An jenem ewig denkwürdigen Morgen der Schlacht bei Belle-Alliance hatte Hennemann seinem Gebieter eben die Pfeife dargeboten, als eine Kanonenkugel dicht neben ihm in die Erde schlug, so, dass Erde und Gries ihn und seinen Schimmel über und über bedeckten. Der Schimmel machte einen mächtigen Seitensprung, und die schöne neue Pfeife zerbrach, ehe der alte Held noch einen Zug daraus getan hatte. — „Stoppe mir eene neue Pfeife, brenne sie mich an, und warte hier eenen Ojenblick uff mich, ick will blos die französischen Jrobians mal jagen! Vorwärts Jungens!“ und damit ging es vorwärts und immer weiter, so, dass die Jagd nicht eenen Ojenblick, sondern einen ganzen beißen Tag währte. Endlich war die Schlacht geschlagen; bei dem zerschossenen Wirtshause Belle-Alliance trafen sich die befreundeten Sieger Blücher und Wellington, und wünschten einander Glück zum großen gelungenen Werke. — „Deine Burschen hieben ein, wie die leibhaften Teufel!“ sprach Wellington. — „Ja, siehst Du, das ist ihre Sache,“ erwiderte Blücher, „aber ob eener unter ihnen so fest und ruhig dastehen würde im furchtbaren Kugelregen, wie Deene Schotten, des weeß ick denn noch nich, so brav sie och immer sind.“ — „Es sind gut disziplinierte Leute,“ erwiderte Wellington, und erkundigte sich dann nach Blüchers früherer Stellung, die es ihm möglich gemacht, einen so meisterhaften und in seiner Wirkung für den Feind so verderblichen Angriff auszuführen. — Blücher, der, wie gut er auch immer dareinschlug, doch nicht besonders stark im Schildern geschehener Taten war, sprach dann: „Nun, ich stand nich weit von hier, uff eener mit Busch bewachsenen Anhöhe, und wir können ja jleich hinüberreiten, des Du Dir des Ding ansiehst.“ Damit gab er seinem Schimmel die Sporen. Wellington folgte ihm, und bald erreichten sie mit ihrer Begleitung den Platz. Es war Alles leer; auf der Stelle aber, wo Blücher diesen Morgen gehalten hatte, und von wo er ausgeritten war, stand ein Mann, das Haupt verbunden, den einen Arm mit einem Tuche umwickelt, und rauchte aus einer blendend weißen langen Tonpfeife. Blücher stutzt einen Augenblick, und rief dann: „Donner noch mal! des is ja meen Christian Hennemann. Kerl, wie siehst Du aus, und was machst Du hier?“ — „Kommen Sie endlich?“ versetzte mürrisch Christian Hennemann; den ganzen Tag habe ich hier gestanden, und auf Sie gewartet, eine Pfeife nach der andern haben mir die verwünschten Franzosen vom Maule weggeschossen, einmal hat mir sogar eine bleierne Bohne ein Stück Fleisch vom Kopfe weggerissen, und die Faust da wird wohl zum Teufel gehen. Das ist die letzte ganze Pfeife, und es ist nur gut, dass die Geschichte mit dem Schießen endlich aufhörte, sonst hätten sie mir diese am Ende auch noch weggeputzt, und Sie könnten jetzt mit trockenem Munde dastehen.“ Damit reichte Christian Hennemann seinem Herrn die brennende Pfeife, die dieser nahm, und indem er behaglich dampfte, entgegnete er ihm: „Es ist wahr, ick hab Dir sehr lange warten lassen, aber siehst Du, die Kerle wollten heute nich so jleich loofen.“ Wellington hatte mit stummer Verwunderung dem Gespräche Blüchers und seines Dieners zugehört, er blickte bald auf den alten Feldmarschall, bald auf den Pfeifenmeister, bald auf die am Boden verstreuten Kugeln und Baumäste, die es deutlich bezeugten, welch' ein gefährlicher Posten dieser Punkt während der Schlacht gewesen war. Die Kopfwunde des Mannes erwies sich bedeutend, seine Hand war völlig zerschmettert, und doch hatte er da gestanden und geruht, und seinen Herrn erwartet mitten im fürchterlichsten Kugelregen. — „Du lobtest meine Schotten sprach Wellington zu Blücher, dass sie so brav gestanden hätten? Was sagst Du denn zu diesem Deinem Manne da?“ — „Er ist aus Rostock,“ versetzte Blücher trocken, „und übrigens hatte der Kerl immer eene Pfeife Tabak zur Hand, da muss er sich doch hier janz jut befunden haben.“

 

Aus: Der Bayerische Gebirgsbote. Zeitschrift für Unterhaltung und öffentliches Leben. Siebenter Jahrgang. 1847

 

 

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