Baden bei Wien - nahe der Residenz am Wienerwald

Baden bei Wien. Die kleine Stadt, 672' ü. M., an der Schwächat, mit 6.000 Einwohnern, drei Meilen von der Residenz, aber durch die Südhann zu einem Stündchen nahegerückt, ist am östlichen Abhange des Wiener Waldes gelegen, umgeben von Burgen der Vorzeit und geschmückt mit blumenreichen Wiesen. Aufgefundene Inschriften und Überreste von römischen Bädern machen es wahrscheinlich, dass diese früher als „Aquae Pannoniae“ bezeichneten Quellen bereits im ersten und zweiten Jahrhundert benützt worden sind; später, oftmals in Verfall geraten und zerstört, hoben sie sich im 11. und 12. Jahrhundert wieder; 1523 und 1689 ward die Stadt bei der Belagerung Wiens durch die Türken verbrannt, 1714 und 1812 durch Feuer verheert. Nach jeglicher Zerstörung ließ der unerschöpfliche Strom der heilkräftigen Thermen sie neu erstehen. In jüngster Zeit bietet der hoch liegende Bahnkörper von Wien bis Baden eine ununterbrochene Reihenfolge der heitersten Bilder: östlich in die weite Ebene bis zum Leythagebirge, im Westen die unabsehbare Häusermenge der Stadt, die in zahllosen Villen und volkreichen Ortschaften am Abhang des malerischen Gebirges, noch stundenweit sich auszudehnen scheint. So ist es kein Wunder, dass die Fremden nach Zehntausenden gerechnet werden, indem die Frequenz der Sommerfahrten zwischen Baden und der Kaiserstadt der zwischen Potsdam und Berlin gleicht: PfingstenExtra-Züge des wallfahrenden aufgeklärten Publikums. Die umliegenden Berge bestehen aus Flötzkalkstein, Schiefer, Gips, und führen Schwefelkies, Stalaktiten, Versteinerungen und Steinkohlen. Baden besitzt 12 warme Quellen, zwischen 27 ½ und 22° R., welche teils in der Stadt, teils in der Nähe derselben zu Tage kommen. Das Wasser ist beim Hervortreten klar, verwandelt aber später seine Durchsichtigkeit in eine trübe, milchige Färbung mit starkem, Schwefelwasserstoffgeruch. Die dem Thermalwasser entsteigenden flüchtigen Bestandteile veranlassen an den Wänden die Sublimation von gelben Krystallen, Badener Salz, das aus Schwefel, Thonerde, Eisen und Schwefelsäure im Überschuss gebildet, hier als ein Produkt der Wechselwirkung der Thermaldämpfe mit den festen Teilen aus dem Gestein hervorwittert. Diesem Salz ist entgegengesetzt der Badeschlamm oder Niederschlag, der von der Römer-, auch Ursprungquelle genannt, zu Schlammbädern bereitet wird. Die Thermen, welche zu den flüchtigsten und kräftigsten Schwefelbädern Deutschlands zählen, enthalten hauptsächlich schwefelsauren Kalk, schwefelsaures Natron, Chlornatrium, Chlormagnesium, kohlensauren Kalk und kohlensaure Magnesia. Nach Verschiedenheit ihrer Temperatur und der dadurch bedingten Wirkung stufen sie sich folgendermassen ab. Das Josefbad 27 ½° R., die Ursprungquelle (Gasinhalationen) und das Frauenbad 27°, das Engelbad und das Johannisbad 26 ½°, das Karolinen-, Franzens- und Ferdinandsbad 26°, das Sauerhofbad 25°, das Leopoldbad (Dampfdouche und Dampfbäder) 24°, die Mariazellerquelle 23° und die Peregrinusquelle 22 ½° R. Die beiden letzten speisen die Mineralwasser - Schwimmanstalt (18° R.)

In der Wirkung analog den Thermenquellen von Aachen, nur weniger reizend und erhitzend, nehmen sie die äussere Haut, die Schleimhäute und das Pfortadersystem in Anspruch: als Bad erregend und diaphoretisch, häufig mit einem Badeausschlag (Psydracia thermalis), — innerlich auflösend und eröffnend. Man badet meistentheils in wohleingerichteten Bassins, von denen z. B. das Frauenbad für 90, das Karolinenbad für 50 Personen Raum hat. Der Form nach bedient man sich des Halb-, Fuß-, Douche-, Tropf- und Dunstbades, ferner des Klystirs und des Badeschlamms als Umschlag bei Lokalleiden, endlich der Inhalation (1864). Diese Halle ist in Wahrheit die Originalstelle für Inhalationen Kehlkopf- und Brustkranker. Baden in Niederösterreich hat sich in folgenden Krankheiten bewährt:


1) Bei gichtischen und rheumatischen Geschwülsten, Verhärtungen, Steifigkeiten und Lähmungen; bei Ausschlägen und Geschwüren auf skrofulosem Boden.

2) Bei chronischen Leiden der Schleimhaut der Luftwege, asthmatischen Anfällen und hartnäckigem Husten, zumal mit hämorrhoidalischen Komplikationen. Hier ist besonders die hepatische Atmosphäre in Form der Gasinhalationen vortheilhaft, weil sie den quälenden Husten mäßigt, die Expektoration erleichtert und die Dyspnoe mindert; nur wäre zu wünschen, dass dies die Athmungsorgane direkt treffende Heilverfahren nicht durch verfehlte Auswahl der Krankheitsfälle, durch zu geringe Ausdauer oder überspannte Erwartungen der Kranken in Miskredit komme, indem erbliche und konstitutionelle Lungenleiden nie in einigen Wochen gehoben, höchstens beschränkt und gelindert werden können. Deshalb sollten besonders jüngere Lungenkranke die pneumatische Kur anhaltend gebrauchen und mehre Sommer wiederholen, bis sie die gefährlichste Lebensperiode glücklich zurückgelegt haben.

3) Bei venösen Stockungen im Leber- und Pfortadersystem, wo man die Trinkkur zu Hilfe nimmt, und falls diese nicht ausreicht, „Karlsbader Salz.“ In diesem Rath liegt, dass sie nicht ausreicht, wie- der Zusatz das souveräne Heilmittel nennt.

4) Bei hysterischen Beschwerden, insonders durch ein idiopathisches Leiden des Uterinsystems bedingt, z. B. örtliche Schwäche von zu vielen und schnellen Wochenbetten.

Das Helenenthal ist der besuchteste und mannigfaltigste Spaziergang den Baden hat: schroffe Felsen, gekrönt durch Überbleibsel alter Vesten — Rauhenstein, Rauheneck und Scharfeneck — grünende Buchen, üppige Wiesen und ländliche Hütten, zur Seite den rauschenden Mühlbach, bildet dies Thal eine zauberische Landschaft, zu welcher der Wanderer gern wiederkehrt. Zum Schluss führt ein Felsen-Tunnel nach der alten Abtei Heiligenkreuz.