Dritte Fortsetzung

Wenn mit Recht zugegeben werden muss, dass der Spruch „tantum scimus, quantum memoria tenemus“ Wahrheit enthält, so kann es bei dem, was im Obigen von dem Gedächtnis Schiefners gesagt ist, nicht Wunder nehmen zu sehen, in einem wie weiten Gebiete des Wissens er zu Hause war; dies zeigt sich in der großen Mannigfaltigkeit von Sprachen und Gegenständen verschiedener Art, welche in seinen in dem nachfolgenden Verzeichnisse enthaltenen größeren und kleineren Arbeiten behandelt werden. Diese bestehen zum Teil in größeren, selbstständig erschienenen Werken, worunter auch einige in Gemeinschaft mit anderen Gelehrten herausgegebene, zum Teil in Artikeln des von der Akademie herausgegebenen Bulletins; die letzten sind hier weiter unten durch ein dazu gesetztes „(B)“ kenntlich gemacht. Außerdem hat Schiefner noch viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Kollektaneen Anderer zu verarbeiten und in eine der Wissenschaft entsprechende Form zu bringen, oder in weniger bekannten Sprachen erschienene Werke zu übersetzen und so einer größeren Leserzahl zugänglich zu machen.

Den Mittelpunkt seiner Studien in der Akademie bildeten der Buddhismus und von den zu diesem in Beziehung stehenden Sprachen das Sanskrit, das Tibetische und das Mongolische, und zu diesen kehrte er von den Arbeiten auf anderen Feldern immer wieder zurück. In diese Kategorie gehörten die noch außerhalb der Akademie verfassten Schriften, mit welchen seine Vorstellung zum Adunkten motiviert wurde, in dieselbe gehörte auch seine letzte, deren Druck durch seinen beklagenswerten Tod unterbrochen wurde.


Die erste asiatische Sprache, mit welcher Schiefner nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg sich beschäftigte, war das Sanskrit, zu dem schon in Berlin ein guter Grund gelegt war, und dazu kamen dann bald darauf mit dem durch das große Werk Bournoufs angeregten Interesse an dem Buddhismus noch das Tibetische und Mongolische.

Ein Gegenstand, der zwar nicht in der Ausdehnung wie der Buddhismus, aber doch auch recht andauernd Schiefners Tätigkeit in Anspruch nahm, waren die Mythen, Märchen und Sagen von allerlei Völkern. Namentlich interessierte ihn dabei das Hinüberwandern der Stoffe von einem Volke zum anderen und die verschiedene Ausgestaltung derselben je nach der Eigenart der einzelnen Völker. Was er aus sanskritischen, tibetischen und mongolischen Quellen an hierher Gehörigem mitgeteilt hat, ist schon in dem vorstehenden Verzeichnisse von Arbeiten mit enthalten; als Ergänzung dessen diene hier noch das Folgende, auf andere Völker Bezügliche. Einen Übergang dazu macht gewissermaßen die schon oben angeführte Behandlung der Rhampsinitsage, indem dort auch schon neben der Fassung im Tibetischen und im Sanskrit eine tatarische und eine russische mitgeteilt werden.

Ungefähr gleichzeitig mit den Anfängen seiner tibetischen Studien war es besonders auch der Mythengehalt der Kaiewala, welcher bald nach dem Erscheinen dieses für die epische Poesie so wichtigen finnischen Nationalepos Schiefner veranlasste, das Finnische in den Kreis seiner linguistischen Beschäftigungen zu ziehen.

Es ist hier vielleicht der passendste Ort, einer Lieblingsbeschäftigung Schiefners zu erwähnen, die ihm indessen größten Teils nur zum Vergnügen und als Erholung von ernsteren Arbeiten diente. Es war dies das Aufsuchen von Etymologien und Wortverwandtschaften in den mannigfachsten Sprachen, wozu ihm seine immense Belesenheit, seine Kenntnis so vieler Sprachen und sein außerordentliches Gedächtnis die ausgiebigsten Hilfsmittel boten.

Die beiden hier oben genannten Artikel über die Wörter „tarvas“ und „sampo“ in der Kalevala sind die einzigen ans Licht getretenen selbstständigen Proben der etymologischen Forschungen Schiefners, sonst findet sich nur beiläufig etwas der Art in seinen anderen Arbeiten, oder sie bildeten den Gegenstand mündlicher oder brieflicher Besprechung, besonders zur Beurteilung fremder Arbeiten in diesem Gebiete.

Eine Veranlassung noch weiter mit den der finnischen näher oder weiter verwandten Sprachen und den Völkern und Sprachen Sibiriens überhaupt sich bekannt zu machen, war die von der Akademie bald nach seinem Eintritt in dieselbe ihm aufgetragene Herausgabe der nordischen Forschungen und Reisen Castréns, und eine Folge der Beschäftigung hiermit waren wieder manche eigenen Arbeiten Schiefners. Von den zwölf Bänden, welche jene Forschungen und Reisen füllten, waren fünf in Finnland von den Freunden Castrens schon schwedisch heraus gegeben, und bei diesen hatte Schiefner also nur die deutsche Übersetzung zu besorgen, nur zu den „Vorlesungen über die finnische Mythologie“ lieferte er noch einige Anmerkungen aus den ihm zu Gebote stehenden Quellen. Die übrigen Wer Bande enthielten «Reiseerinnerungen aus den Jahren 1838 — 1844“, „Reiseberichte und Briefe aus den Jahren 1845 — 1849“, „Ethnologische Vorlesungen über die altaischen Völker“ und „Kleinere Schriften“. Die Übersetzung dieser fünf Bände lieferte. Schiefner in den Jahren 1853 — 1862. Mehr Arbeit machten die übrigen sieben Bände, für welche Schiefner das von Castrén gesammelte Material erst in ein grammatisches System zu bringen hatte; in der Grammatik der samojedischen Sprachen gehört die Lautlehre zum Teil ihm selbst. Diese Grammatiken, sowie die durch die Beschädigung mit ihnen angeregten kleineren Arbeiten gibt das hier folgende Verzeichnis.

Die Möglichkeit, in St. Petersburg Individuen der mannigfaltigen, in Russland wohnenden Nationen, und in ihren mündlichen Mitteilungen das Material zur wissenschaftlichen Behandlung ihrer Sprachen zu finden, führten Schiefner in das Gebiet der kaukasischen Sprachen. Seine Studien begannen hier schon 1854, wo ihm ein Thuschete zugänglich wurde, und zu dem, was er selbst auf die angegebene Weise an Sprachmaterial sammelte, kam noch von Anderen geliefertes. Besonders wichtig sind hier die, von dem mit der ethnographischen Beschreibung des Kaukasus beauftragten Generals Baron P. v. Uslar an Ort und Stelle gemachten Studien. Sie sind russisch geschrieben und nur in einer kleinen Anzahl von Abzügen vorhanden, und Schiefners Verdienst besteht bei ihnen darin, dass er sie durch die deutsche Übersetzung einem größeren Leserkreise zugänglich gemacht und hier und da, wie es ihm zweckmäßiger schien, umgearbeitet hat; er hat seine Ausgaben der Uslar'schen Studien als „ausführliche Berichte“ über dieselben bezeichnet.