Zweite Fortsetzung

Schiefners Wirksamkeit und Verdienste während seiner langen gelehrten Laufbahn fanden die ihnen gebührende Anerkennung sowohl von Seiten des Staates wie verschiedener gelehrter Anstalten des In- und Auslandes. Er war Inhaber der Bronzemedaille am Andreasbande zum Andenken an den Krieg von 1853 bis 1855 und des Ordens des h. Wladimir III. Klasse und des h. Stanislaus und der h. Anna I. Klasse. Er wurde korrespondierendes Mitglied der estländischen literarischen Gesellschaft in Reval (1848), der finnischen Literaturgesellschaft in Helsingfors (1850), wirkliches Mitglied der deutschen orientalischen Gesellschaft (1850), korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen in Riga (1851), der gelehrten estnischen Gesellschaft in Dorpat (1854), wirkliches Mitglied der finnländischen Gesellschaft der Wissenschaften in Helsingfors (1856), korrespondierendes Mitglied der Königlich preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin (1858), Ehrenmitglied der estländischen literarischen Gesellschaft (1859), Ehrenmitglied der Gesellschaft für orientalische und amerikanische Ethnographie in Paris (1859), korrespondierendes Mitglied der Kaiserlich russischen archäologischen Gesellschaft (1860), von der Universität zu Jena zum Doktor der Philosophie kreiert (1862), Ehrenmitglied der Gesellschaft für Altertümer in Narwa (1864), wirkliches Mitglied der archäologischen Gesellschaft in Moskau (1869), korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien (1871), auswärtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Pest (1873), Ehrenmitglied der philologischen Gesellschaft in Paris (1875) , der finnländischen Gesellschaft der Wissenschaften in Helsingfors (1876), korrespondierendes Mitglied des Instituts für Philologie, Geographie und Ethnographie von Niederländisch-Indien im Haag (1878).

Nach dieser kurzen Skizze von dem äußeren Lebenslaufe Schiefners wenden wir uns zur Betrachtung seines inwendigen Menschen und schließlich zu seiner literarischen Tätigkeit. Da bietet sich nun zweierlei dar, das ihn wohl vor den meisten Anderen charakterisierte, zunächst seine unbegrenzte Gefälligkeit und Dienstfertigkeit. Jedem, der ihn um Rat und Auskunft anging, diente er mit aufopfernder Bereitwilligkeit, und in solchen Fall kam er durch seine bewunderungswürdig ausgedehnte Kenntnis von Personen, Büchern und Verhältnissen öfter als irgend ein Anderer. Seine Freunde sahen wohl manches Mal mit Unwillen, wie seine Gutherzigkeit gemissbraucht wurde von Personen, denen es leichter deuchte, einen Anderen zu bemühen in ihren eigenen Angelegenheiten und nicht sich selbst; aber Schiefner ward nie müde Anderen zu dienen, und wenn er, was freilich nicht oft vorkam, nicht gleich selbst die gewünschte Auskunft zu geben vermochte, so scheute er keine Mühe sich über den Fall zu unterrichten. Wer nicht wusste, wie er sich auf der Post oder in einer Behörde für einen gewissen Fall zu benehmen oder an wen er sich zu wenden habe, um dies oder jenes zu erlangen, der fragte Schiefner; wer in Verlegenheit war, wie er eine einzureichende Schrift abfassen sollte, dem schrieb Schiefner das Konzept dazu; wer über irgend ein Buch eine Auskunft wünschte, der wandte sich an Schiefner; dem Fachgelehrten, welcher sich die Mühe ersparen wollte im Katalog der Bibliothek nachzulesen, wusste Schiefner anzugeben, was für seinen Zweck Passendes dort vorhanden war, und mit gleicher Freundlichkeit half er mit Rat und Tat auch dem kleinsten Lichtchen, das mit einer Kandidatenschrift beschäftigt war; außerhalb St. Petersburgs lebende Gelehrte wandten sich wegen der Bücher, die sie für ihre Studien aus der akademischen Bibliothek zu haben wünschten, sehr oft nur privatim an Schiefner und überließen es ihm, die dazu nötigen Schritte bei der Akademie zu tun. Wie Manche von denen, die gewohnt waren, bei Schiefner in allerlei Vorkommnissen Rat und Hülfe zu finden, mögen sich nun wie verwaist vorkommen! — Ein solcher Mann, scheint es, sollte billiger Weise nur Freunde gehabt haben, aber dennoch fehlte es ihm auch nicht an Feinden. Seine Freundlichkeit kam eben nicht aus der Schwäche, welche Alles gehen lässt und gut heißt. Er konnte auch scharf auftreten, namentlich gegen dünkelvolle Halbwisser, je nach den Umständen mit feiner Ironie oder derber, und die davon Betroffenen trugen es ihm natürlich nach.


Eine so weit gehende Tätigkeit für fremde Interessen musste, sollte man meinen, seine eigenen geschädigt, namentlich auch seine wissenschaftliche Tätigkeit beeinträchtigt haben, die ohnehin schon beengt war durch die verschiedenen Ämter in der Akademie. Ohne Zweifel ist das wohl auch der Fall gewesen, allein dieser durch die Dienstfertigkeit herbeigeführte Schade wurde einigermaßen neutralisiert durch ein Zweites, das Schiefner eben so sehr auszeichnete, ein ganz exzeptionelles Gedächtnis. Dieses machte es ihm möglich, bei seinen gelehrten Arbeiten viel Zeit zu sparen, welche Andere bei den ihrigen auf Nachsuchen und Aufschlagen verwenden müssen. Was Schiefner wusste — und das war gewiss nicht wenig — das war ihm immer gegenwärtig und für den Gebrauch zur Hand. Seine oben schon besprochene Bücherkenntnis bezog sich großenteils nicht auf die Titel allein, sondern auch auf den Inhalt. Er besaß die wertvolle Kunst schnell zu lesen, die rasche Durchsicht eines Buches genügte, um seinem Gedächtnis den Hauptinhalt für immer einzuprägen; darum war er auch in der Bibliographie solcher Fächer, die nicht zu seinen eigenen Studien gehörten, so bewandert, dass er auch den Fachmännern selbst Nachweise zu geben im Stande war. Ähnlich verhielt es sich mit seiner Personenkenntnis. Durch einen sehr ausgebreiteten Umgang in St. Petersburg, durch oftmalige Reisen ins Ausland zur Durchforschung von Bibliotheken und Museen oder zur Teil nähme an Gelehrtenkongressen kannte er eine große Anzahl von Leuten, aber nicht bloß persönlich, sondern auch was er gelegentlich von ihren Lebensschicksalen und Familienangelegenheiten erfuhr, das blieb für immer in seinem Gedächtnis aufbewahrt, und öfters ereignete es sich, dass er Personen von deren Großvätern und Urgroßvätern Dinge zu erzählen wusste, welche den Nachkommen selber noch unbekannt waren. Erst in seinem letzten Lebensjahre hörte man Schiefner bisweilen darüber klagen, dass sein Gedächtnis anfange ihm untreu zu werden, namentlich — wie es ja gewöhnlich auch bei Anderen zuerst zu geschehen pflegt — das für Namen.