V. Kongress

Der V. Kongress wurde vom 26.— 30. Dezember in Basel gehalten. In seiner Eröffnungsrede wies Dr. Herzl darauf hin, wie sich die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Zionismus mit wachsender Schnelligkeit verbreite. Die Hindernisse, welche die Gegner der Bewegung für unüberwindlich hielten, seien wohl zu beseitigen. Vor allem sei es wichtig festzuellen, daß das jüdische Volk an dem regierenden Sultan einen Freund und Gönner habe. In der ihm im Mai gewährten Audienz habe der Sultan ihn ermächtigt, dies öffentlich mitzuteilen.

Architekt Oskar Marmorek erstattete den Rechenschaftsbericht des Aktions-Komitees. Der Zionismus verbreite sich rasch und sei bis in die die entferntesten Länder, nach Brasilien, Chile, Indien, Neu-Seeland, Sibirien vorgedrungen. Die Kolonialbank sein nunmehr aktionsfähig. Eine Vorlage betreffend den Jüdischen Nationalfonds werde dem Kongress unterbreitet werden.


Es folgten Berichte über die Entwicklung des Zionismus in den einzelnen Ländern, die überaus günstig lauteten. In Russland wuchs die Zahl der Vereine von 835 auf 965, in England von 36 auf 78. In Bulgarien gibt es 30.000 Juden, davon 6.000 Männer. 2000 von ihnen sind Schekelzahler. In Deutschland hat sich die Zahl der Schekelzahler verdoppelt.

Sir Francis Montefiore referierte über die Kolonialbank. Sie sei ein durchaus sicheres Unternehmen und werde im Orient gute Geschäfte machen. Dem Referat folgte eine lange Diskussion über das Wesen und die Aufgaben der Bank.

Darauf ergriff Max Nordau das Wort zu seinem Referat über „Fragen der körperlichen, geistigen und wirtschaftlichen Hebung der Juden“, in erster Linie stände das Problem der wirtschaftlichen Hebung. Die Juden seien das ärmste Volk der Welt. Ihr Handel sei fast ausschließlich Kleinhandel ohne sicheren Kredit. Ihre Handwerker seien stets von den Zünften ausgeschlossen worden und deshalb mangelhaft ausgebildet. Die freien Berufe seien von einem Bildungsproletariat überfüllt, das aus bloßer Verzweiflung studiere. Solange den Juden die Produktion auf eigenem Boden nicht möglich sei, müßten sie überall ihre Arbeit unter dem Wert anbieten. Die körperliche und geistige Hebung werde nach der wirtschaftlichen von selber erfolgen. Diese könne aber nur im eigenen Lande stattfinden.

Dr. Jeremias gab in seinem Korreferat ein reiches statistisches Material über die hygienischen Verhältnisse der Juden.

N. Sokolow sprach über „Jüdische Geschichte und Wissenschaft“. Er gab einen historischen Rückblick auf die größten Vertreter der Wissenschaft des Judentums und forderte, daß diese Wissenschaft nicht bloße „Archäologie“ bleibe, sondern auf Grund der nationalen Idee zu einem lebendigen Organismus werde. M. Buber sprach über „Jüdische Kunst“. Die zarten Keime künstlerischen Schaffens seien im Ghetto erstickt worden. Die Emanzipation habe zwar zur Assimilation geführt, die Ihrerseits überwunden werden müsse; sie habe aber auch den Weg zur freien Entwicklung gebahnt. Eine ganze und vollendete jüdische Kunst könne nur auf jüdischem Boden entstehen. Heute sei sie aber bereits etwas Werdendes, das sich den lange angesammelten „Schatz von feinen heimlichen Seelenwerten“ zu eigen gemacht habe. An zahlreichen Meistern der Kunst suchte der Redner die jüdische Eigenart zu zeigen. Zum Schlusse bat er den Kongress um Förderung des Jüdischen Verlages. Dr. HerzI teilte aus dem Einlauf ein Danktelegramm des Sultans für die an ihn gerichtete Begrüßungsdepesche mit. Die Verlesung wurde stürmisch akklamiert.

Dr. Moses referierte über die „Wirtschaftliche Hebung der Juden“ und forderte die Einfügung der wirtschaftlichen Gegenwartsarbeit in das zionistische Programm. Zum Schluss seiner Untersuchung machte er zahlreiche praktische Vorschläge. Mr. Greenberg berichtete über die Lage der Juden in England und behandelte insbesondere und das Einwanderungsproblem, das immer schwieriger werde.

Dr. Herzl referierte über die Organisation, die in vielen Punkten verbesserungsbedürftig sei. M. Ussischkin als Korreferent und Dr. Bodenheimer ab Vertreter des Organisationsausschusses legten neue Organisationsentwürfe vor. Der Entwurf des Ausschusses, demzufolge der Kongress nur alle zwei Jahre stattfinden soll, wurde nach langer Debatte angenommen.

Dr. Schalit verlas ein Exposé des Aktions-Komitees über den Nationalfonds, das eine ausführliche Diskussion über sein Wesen und seine Bestimmung veranlasste.

M. Buber brachte als Referent des Kulturausschusses zahlreiche Anträge ein.

Weitzmann forderte die Gründung einer jüdischen Hochschule. In der Debatte ereignete sich ein Zwischenfall, da einige Delegierte in der Handhabung des Präsidiums eine Nichtachtung der Vorschläge des Kulturausschusses erblickten und da gegen Protest erhoben. Nach Erledigung des Zwischenfalles wurden die Wahlen in der üblichen Weise vollzogen. In das Engere Aktions-Komitee wurden gewählt: Dr. Herzl, Dr. Kokesch, Dr. Kahn, Architekt O. Marmorek, J. Kremenelzky. Die wichtigsten Beschlüsse des Kongresses waren die Annahme einer Resolution, nach der in Palästina eine Geschäftsstelle der Kolonialbank errichtet werden soll, zahlreiche Beschlüsse zur Förderung der palästinensischen Land und Kolonisationsfrage, Unterstützung der Nationalbibliothek in Jerusalem, Förderung der kulturellen Hebung der Juden und Gründung eines statistischen Bureaus. — Am 30. Dezember schloss Dr. Herzl den V. Kongress.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch