IV. Kongress

Der IV. Kongress fand in London statt und dauerte vom 13.— 16. August 1901. Die furchtbare Not der rumänischen Juden gab Dr. Herzl Veranlassung, in seiner Eröffnungsrede das völlige Versagen der Hilfsorganisationen zu konstatieren, derselben Organisationen, die vom Zionismus, der einzigen dauernden Lösung der Judenfrage, nichts wissen wollten. Eine ergreifende Ergänzung seiner Rede bildete das Referat Max Nordaus über die „Allgemeine Lage der Juden“. Überall sei der Antisemitismus vergiftend eingedrungen, in den Szenen von Polna und Konitz habe er seinen Höhepunkt erreicht, um sich mit der rumänischen Katastrophe zu vollenden.

Eine Reihe von Referaten schilderte die Lage der Juden in England, Deutschland, Amerika, Kanada, Galizien und Bulgarien.


Architekt O. Marmorek gab eine genaue Darstellung der Ereignisse in Rumänien. Danach führte die antisemitische Verhetzung sowie die Entrechtung der Juden, denen die Regierung unter völliger Nichtachtung der Bestimmungen des Berliner Kongresses jede Erwerbsmöglichkeit abschnitt, zu einer panikartigen Flucht Zehntausender von Juden.

Der Rechenschaftsbericht des Aktionskomitees verzeichnete das stetige Anwachsen der Bewegung. Im Berichtsjahr stieg die Zahl der Vereine in Rußland von 877 auf 1034 mit mehr als 100.000 Schekelzahlern, in England von 16 auf 39, in Amerika von 103 auf 135. In Österreich wurden wirtschaftliche Interessenverbände gegründet, die guten Erfolg hatten, des gleichen in Rußland, wo auch zahlreiche Schulen und Bibliotheken ins Leben gerufen wurden. In sämtlichen Ländern waren regelmäßige Fortschritte zu verzeichnen.

Prof. Mandelstamm referierte über die körperliche Hebung der Juden. Er sieht in ihrer körperlichen Verkümmerung die Folge der traurigen sozial-ökonomischen Verhältnisse, die zwar durch Gründung von Schulen und Turnvereinen ein wenig gebessert, jedoch nur durch die Freiheit im eigenen Lande von Grund aus geändert werden könnten.

Dr. Bodenheimer berichtete über „Organisation und Agitation“. Er verlangte möglichst große Selbständigkeit der Landesorganisationen, Einsetzung eines Pressausschusses und Schiedsgerichts sowie Begründung eines zionistischen Tageblatts und eines Notstandsfonds. Endlich beantragte er, den Kongress nur alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Den weiteren Verlauf der Debatte beherrschte die sogenannte Kulturfrage. Es handelte sich dabei um den Widerstand der russischen Rabbiner gegen die Betonung jener neuen, nicht unmittelbar religiösen, sondern allgemeinjüdischen Kulturbestrebungen, wie sie insbesondere von Dr. Gaster und N. Sokolow verteidigt wurden. Die theoretische Debatte war von manchen Missverständnissen beherrscht und naturgemäß wenig fruchtbar. Der Kongress sah von jeder Beschlussfassung; ab und ging zur Tagesordnung über.

Herr Katzenelson referierte über die wirtschaftliche Hebung der Juden und empfahl als bestes Mittel die Gründung von Schulen und Banken.

Herr Belkowsky berichtete über die Kolonialbank und verbreitete sich insbesondere über die Natur des erstrebten Charters. Es sei bisher nicht möglich gewesen, die Bank zu eröffnen, weil statt der nötigen 250.000 £ (5 Millionen Mark) erst 123.209 £ (2.464.180 Mark) eingezahlt worden seien.

Der Kongress bewilligte 1000 Frcs. für die Nationalbibliothek in Jerusalem, 2000 Frcs. für die Schule in Jaffa. Zahlreiche Anträge zwecks Hebung der wirtschaftlichen Lage der Juden, Ausgestaltung der Organisation und Agitation, Gründung von Arbeiter und Frauenvereinen sowie Bildung eines Pressausschusses wurden angenommen. Ferner beschloß der Kongress die Schaffung eines Nationalfonds und beauftragte das Aktionskomitee, die vorbereitenden Schritte zu unternehmen.

Nach Wiederwahl des engeren Aktionskomitees schloß Dr. Herzl am 16. August den IV. Kongress.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch