Systematische und systemlose Kolonisation

Die neu zeitliche jüdische Kolonisation in Palästina, die vor zirka 25 Jahren von russischen Einwanderern unter Förderung durch den ,,Choveve-Zionismus“ begonnen, später unter finanzieller Leitung durch Baron Rothschild in größerem Maßstabe fortgesetzt wurde, entbehrte jeder planmäßigen, wissenschaftlich-sachverständigen Vorbereitung, man kolonisierte aufs Geratewohl, Wenn trotzdem heute die jüdische landwirtschaftliche Bevölkerung in Palästina 6000 Seelen in 27 Kolonien zählt, so ist auch dieser bescheidene Erfolg nur der unbegrenzten Opferfreudigkeit und idealen Willensstärke jener ersten Einwanderer zu verdanken. Andererseits schrumpft der wirkliche Erfolg noch mehr zusammen, wenn man sich erinnert, daß Baron Rothschild bereits mehr als 40 Millionen Frcs. für die Palästinakolonisation aufgewendet hat, und daß trotzdem ein Teil der Kolonisten noch nicht auf eigenen Füßen steht.

Erst der politische Zionismus hat die Notwendigkeit einer planmäßigen, alle einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen umfassenden Vorbereitung der zukünftigen Kolonisation hervorgehoben. Die von den ersten fünf Kongressen eingesetzten Palästinakommissionen bedeuteten allerdings kaum mehr als eine theoretische Anerkennung dieses Prinzips. Erst der VI. Kongreß verlieh der von ihm gewählten Palästinakommission durch Gewährung von Geldmitteln eine Arbeitsmöglichkeit. Insbesondere wird es sich zunächst um die Anlegung einer land wirtschaftlichen Versuchsstation handeln, während die meisten anderen erforderlichen Untersuchungen schon der durch die beschränkten Mittel gesetzten Grenzen wegen erst später nach Maßgabe der Entwicklung der politischen Verhältnisse in Angriff genommen werden können, bezw. vorläufig der Privatinitiative überlassen bleiben müssen.


Von den vielseitigen Anforderungen einer systematischen Kolonisation können wir hier, einer Zusammenfassung Soskins folgend, nur einen kurzen Überblick geben.

Zunächst muß eine gründliche Erforschung der einzelnen Teile des Landes vorausgehen. Dabei sind hinsichtlich der physischen Eigenschaften zu berücksichtigen Lage, Größe, geologische Formation, Bodenqualität, Vegetation, Naturschätze, Wasserreichtum, in wirtschaftlicher Hinsicht Zahl und Größe der Dörfer, ihr wirtschaftlicher Zustand, Bevölkerung, Absatzverhältnisse etc. Auch die genaue Kenntnis des türkischen Rechts in seiner Anwendung auf sämtliche Fragen des praktischen Lebens muß angestrebt werden. Neben der Erforschung des Landes sind die Vorarbeiten für einen rationellen Betrieb der Landwirtschaft erforderlich. Dazu gehört nach dem Vorbild der großen Kolonisationsmächte die Gründung von Versuchsgärten und Versuchsstationen, die zur Aufgabe haben, die schon im Lande verbreiteten Kulturen zu studieren, sie zu verbessern und neue Kulturen aus ähnlichen Gebieten einzuführen. In direktem Zusammenhange hiermit stehen die speziellen Studien reisen, die zur Kenntnis durch ähnliche natürliche und wirtschaftliche Bedingungen charakterisierter Länder unternommen werden. Auch die meteorologischen Verhältnisse sind planmäßig zu erforschen. Eine weitere Aufgabe ist die Heranbildung jugendlicher Kräfte für das Land, ferner müssen die Verwertungs- und Absatzmöglichkeiten der Erzeugnisse, die Verkehrsmittel und Verkehrswege, sowie die Möglichkeit ihrer Ausgestaltung studiert werden. Besonderer Sorgfalt bedarf die Erschließung und Aufspeicherung des Wasserreichtums durch Tal sperren, Tiefbrunnen etc. Endlich gehören hierher auch die Fragen der wirtschaftlich-finanziellen Fundierung und der Kreditbeschaffung, über die jedoch schon unter Organisationsplan das Nötige gesagt ist.

Literatur: Soskin, Altneuland 1904 No. 5 u. 6. Siehe auch unter ,,Organisationsplan“.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch