Organisationsplan

Bereits in der Eröffnungsrede zum V. Kongress hatte Dr. Herzl seine Absichten über die wirtschaftliche Fundamentierung des künftigen jüdischen Gemeinwesens in Palästina in folgender programmatischer Form zum Ausdruck gebracht: „Wenn man uns aber fragt, was wir mit den Ansiedlern anfangen wollen, so sind wir nicht in Verlegenheit. Wir wollen sie zu bodenständigen, zu wirklichen Landsassen machen. Sie sollen auf der Scholle, von der Scholle leben, nicht besorgt als kraftlose Händler nach dem Marktpreise auslugen. Den Markt sollen sie nur mit den Erzeugnissen aufsuchen, die sie über den Eigenbedarf hinaus haben. Jede Ansiedlung soll sich nach den Grundsätzen, die uns Erfahrung und Wissenschaft heute schon an die Hand geben, als landwirtschaftliche Produktivgenossenschaft selbst verwalten.“ Diese Anschauung Dr. Herzls war aus dem Studium der national-ökonomischen Werke Dr. Franz Oppenheimers (siehe Art. „Oppenheimer“) hervorgegangen. Auf dem VI. Kongress entwickelte dann Oppenheimer selbst, der inzwischen seinen Anschluß an den Zionismus gefunden hatte, in einem ausführlichen Referat einen Organisationsplan, der auf der von ihm wissenschaftlich begründeten Form der landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaft (siehe Artikel „Siedelungsgenossenschaft“) beruhte. Hiernach hat die zionistische Kolonisation in erster Linie drei Hauptgesichtspunkte zu erstreben:

1. Sie muß durchaus auf Selbsthilfe beruhen. Mit Almosen löst man keine sozialen Probleme, sie brechen das Rückgrat aller wirtschaftlichen Kraft der Selbstverantwortung. „Nicht Güte durchbricht die Berge, sondern der stahlbewehrte Wille.“ Damit wohl vereinbar ist das, was Victor A. Huber die „aristokratische Hilfe“ genannt hat: Die immaterielle Unterstützung der Wirtschaft durch freien Rat der Gebildeten, der Sachverständigen und eine der neu geschaffenen Kreditbasis voll entsprechende Kreditgewährung.


2. Die Grundlage der zionistischen Kolonisation muß eine agrarische sein, denn alles Volkstum beruht auf der Verwurzelung einer Menschenmasse mit dem Boden. „Bauern muß schaffen, wer Städte schaffen will,“

3. Das Land muß durchaus und für alle Zeit im Eigentum der Gesamtheit bleiben. Das war übrigens schon vorher durch einen Beschluss des V. Kongresses festgelegt worden.

Dieser bodenreformerischen Einsicht lag bereits die Einrichtung des Joweljahres zugrunde. Oppenheimer empfiehlt, als eine der modernen volkswirtschaftlichen Erkenntnis entsprechende Ausgestattung des Joweljahres, den genossenschaftlichen Besitz der Dorfgemeinde am Boden, der auch eine ungeheuer ergiebige Kreditbasis gewährleistet. Das soll erreicht werden durch ein über das Land allmählich auszuspannendes Netz von landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaften, die sich durch Angliederung einer Anzahl von Bezugs-, Werk-, Absatz-Versicherungsgenossenschaften etc. allmählich zu ,,Siedelungsgenossenschaften“ (s. d.) ausgestalten sollen. Nach Maßgabe der auf solche Weise mehr und mehr wachsenden Kräfte sollen neue Siedelungen gegründet, neue Bezirke fruchtbar gemacht werden. Die weitere Entwicklung wird dann durch die bisher geschaffene Kreditbasis gewährleistet bis zur Entstehung von Städten, die sich mit den Dörfern gegenseitig wirtschaftlich befruchten. „Dann aber braucht es gar nicht lange zu dauern, bis der Strom der Einwanderung in unser Land von dünnen Fädchen wächst zum Bach, vom vollen Bach zum Fluss, zum Strom, und bis die Reservoirs des Unheils in Halbasien geleert sind.“

Literatur: Protokoll des VI. Kongresses S. 182ff. (Siehe auch Artikel ,,Oppenheimer“ und „Siedelungsgenossenschaften“.)


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch