Lage der Juden in den mohammedanischen Ländern

Nach dem Koran ist es verdienstlich, die Feinde des Propheten auszurotten. Dieser Satz ist aber sehr bald nur auf diejenigen Andersgläubigen bezogen worden, die der mohammedanischen Eroberung mit der Waffe in der Hand entgegentraten, während die Unterworfenen häufig bedrückt, ihr Leben aber geschont wurde. Dabei wurde, wenigstens von selten des Kalifats, bald ein Unterschied zwischen Juden und Christen gemacht. Erstere galten den arabischen Nachfolgern des Propheten als Stammesverwandte, Söhne Abrahams, die gleich ihnen ein historisches Recht am Lande besaßen, überdies wie sie bestimmte Speisegebote beachteten und keinen Gott außer dem einigeinzigen anerkannten. Die Christen dagegen waren Abendländer, Kämpfer gegen den mohammedanischen Welteroberungsgedanken und weder an Waschungen noch an Speisegesetze gebunden, in der Anschauung des Orients daher unrein. So war der Jude zwar nicht gleichgeachtet und zuweilen übermütig behandelt, aber äußerst selten wirklich verfolgt, während man den Christen zum Sklaven stempelte, oder auszurotten versuchte. Diese Lage änderte sich unter der türkischen Herrschaft nicht. Als die Juden 1492 Spanien verlassen mußten, nahm sie der Sultan gastfreundlich auf. Einzelne gelangten zu hohen und einflussreichen Ämtern und die Menge durfte friedlich unter den Mohammedanern leben, ihrer Beschäftigung nachgehen, ihre Religion ausüben. Die Lage der Juden in der Türkei hat nur einmal in neuerer Zeit Anlaß zu Klagen und Interventionen gegeben, während des durch die Blutbeschuldigung hervor gerufenen Blutbades von Damaskus im Jahre 1860. In Palästina bilden heute die jüdischen Bauern gegenüber der Fellachenbevölkerung eine Art von Aristokratie. Sie sind vielfach Brotgeber der Araber, die ihnen als Knechte dienen. In den Städten dagegen herrscht der Türke, ohne daß jedoch die Bewegungsfreiheit durch ihn besonders für die Juden erschwert würde. Die Mängel der Verwaltung treten gegenüber den Mohammedanern nicht weniger zutage wie gegenüber den Juden.

Viel schlimmer sind die Juden in Persien und Marokko daran. Sie dürfen in beiden Ländern nur im Ghetto wohnen, sind zahllosen Beschränkungen wirtschaftlicher Art und in bezug auf ihre gesellschaftliche Stellung unterworfen und oft verfolgt. Bei den ungeordneten Verhältnissen in beiden Staaten pflegt sich bei jeder größeren Erregung der Volksmassen eine Judenhetze einzustellen, so daß Leben und Eigentum ständig bedroht sind. England und Frankreich waren wiederholt in der Lage, intervenieren zu müssen, und das Verdienst der Alliance isr. univ. ist es, wenn durch rechtzeitige Hinweise Tausende von Menschenleben in Persien gerettet wurden. Die Konferenz von Algeciras hat eine Resolution zugunsten der marokkanischen Juden gefaßt und dem Sultan übermittelt. Von Erfolgen hat sich indessen nichts gezeigt. Die Folge dieses Druckes ist, daß die Juden in beiden Staaten verarmt und geistig erheblich gesunken sind. Selbst das religiöse Leben ist im Verfall. Es findet eine lebhafte Auswanderung nach Palästina statt, das auch diesen ärmsten unserer Stammesgenossen Freiheit und Erlösung bietet


Die Lage der Juden in Ägypten und Algier ist von der anderer Bürger nicht verschieden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch