Hilfsverein der deutschen Juden

Am 20. Mai 1901 begründeten angesehene Berliner Juden, darunter Generalkonsul Landau, der zuerst den Vorsitz führte und die späteren Leiter des Vereins James Simon und Dr. Paul Nathan den Hilfsverein der deutschen Juden. An Stelle der Hilfskomitees, die jeweils bei Judenverfolgungen und Judennot gegründet wurden, sollte „eine feste Organisation zur Linderung der momentanen Unglücksfälle und für die Lösung großer Aufgaben bleibender Art zugunsten der Juden im Osten und im Orient“ geschaffen werden.

Zu Beginn des Jahres 1907 umfasste der Verein schon 14.000 Mitglieder, deren Jahresbeiträge und einmalige Spenden für die allgemeinen Zwecke des Vereins rund 140.000 M betrugen.


Dank großer Stiftungen (Baron von Oppenheim etc.) und durch Sammlungen konnte der Verein im selben Jahre l½ Mill. für seine humanitären Bestrebungen ausgeben (Jahr 1902: 31 152 M).

Allerdings stammte der größte Teil dieser Gelder aus Spenden, die anlässlich der russischen Progrome dem Verein zugekommen waren. Der Verein führte auch das Liebeswerk in großzügiger Weise durch, begnügte sich nicht nur mit der materiellen Unterstützung, sondern half auch den Auswandernden (s. Auswanderungsamt) und sorgte für 120 Waisenkinder. Die stetige Arbeit des Vereins ist des weiteren folgende:

a) In Galizien begründet oder unterstützt er im Verein mit der Großloge für Deutschland (s. d.) und dem Galizischen Hilfsverein (s. d.) Unternehmungen wirtschaftlicher Natur (Einführung der Spitzenhäkelei, Spitzenklöppelei, Kleiderkonfektion, Haarnetzerei, Wäschekonfektion, Weißstickerei etc. u. a., Finanzierung von Kreditgenossenschaften).

b) Hier, wie in Rumänien, wird besonders die Lehrlingserziehung durch Handwerkerschulen günstig beeinflusst.

c) Während der kurzen Zeit seines Bestehens ist der Hilfsverein zu einem bedeutenden Kulturfaktor in Palästina geworden. In seiner Tätigkeit dort wird er von einem gesunden Prinzip geleitet, welches ihn von allen ähnlichen großen westjüdischen Organisationen günstig unterscheidet. Während die letzteren immer bestrebt waren, den Juden des Ostens ,,ihre“ — französische oder englische — Kultur aufzudrängen, ist das Prinzip des Hilfsvereins, vor allem den Forderungen der Bevölkerung, des Landes und der Zeit zu entsprechen.

Auf diese Weise gelingt es dem Hilfsverein, der weit davon entfernt ist, jüdischnationale Ziele zu verfolgen, doch de facto eine wahrhaft nationale, ja zionistische Arbeit zu leisten.

Als „deutsche“ Organisation, räumt der Hilfsverein der deutschen Sprache noch immer mehr Zeit in seinen Schulen ein, als nötig wäre, der erste Platz aber gehört dort der hebräischen Sprache. „Das Hebräische“, heißt es im Geschäftsbericht 1906, „hat sich in der Tat als lebendige Sprache herausgebildet. Es ist Unterrichtssprache in den Kindergärten und selbst zum Teil in der Schule, und zwar nicht nur in den hebräischen und religiösen Disziplinen, sondern auch in den profanen Lehrgegenständen.

Da eine einheitliche Sprache ein praktisches Bedürfnis für den Unterricht und den Verkehr der Kinder untereinander ist, und da ein Teil der Zöglinge eine gewisse Vorkenntnis des Hebräischen mitbringt, so bietet sich das Hebräische auf die natürlichste Weise als Umgangssprache für eine Kinderschar, die sich zusammensetzt, aus: Aschkenasim (Haussprache deutscher Jargon), Sephardim (spanischer Jargon), Ankömmlingen aus Buchara (bucharisch), Jemeniten (Arabisch), Marokkanern (arabischer Dialekt), Persern (Persisch), Grusinen (kaukasischer Dialekt des Russischen). Auf diese Weise konnte die große Schwierigkeit gelöst werden, so verschiedenartige Elemente gemeinsam zu unterrichten. Und dieser praktische Vorteil hat zugleich für den Orient einen hohen sittlichen Wert.“

Auch die Unterrichtssprache in dem Seminar ist zum Teil hebräisch. Die gründlichste Ausbildung im Hebräischen ist von vornherein in dem Gründungsstatut des Lehrerseminars vorgesehen worden:

„Die Zöglinge des Lehrerseminars des Hilfsvereins der Deutschen Juden sollen einerseits die gleiche Ausbildung wie die Volksschullehrer in Deutschland nach Maßgabe und dem Lehrplan der allgemeinen Bestimmungen für Lehrerseminare in Preußen erhalten, andererseits aber auch befähigt werden, sämtliche Disziplinen der Volksschule in hebräischer Sprache zu unterrichten und die Kenntnis der Landessprache zu vermitteln.“

Ein zweites wichtiges Prinzip betrifft den Aufbau des Schulwesens, Der Hilfsverein ist nämlich zu der Überzeugung gelangt, daß das einzig richtige „Fundament für den Aufbau des Schulwesens der Kindergarten sein muß, um auf diese Weise das Bildungswesen direkt an seiner Wurzel zu fassen.

Zurzeit unterhält der Hilfsverein in Palästina folgende Schulen: drei Kindergärten in Jerusalem, zwei in Jaffa und einen in Saphed, eine Knabenschule in Jaffa, eine Mädchenschule und ein Lehrerseminar in Jerusalem. Außerdem subventioniert der Hilfsverein eine Schule in Hebron, die Kunstgewerbeschule „Bezalel“ in Jerusalem, die Zentralbibliothek in Jerusalem, einen zionistischen (Misrachi) Schulverein in Saphed und die Edler von Laemel-Schule in Jerusalem. An die Laemelschule wird vom Hilfsverein im laufenden Jahre eine dreiklassige Handelsrealschule unmittelbar als Fortbildungsschule angeschlossen werden, die „die Aufgabe hat, den Schülern — unter besonderer Berücksichtigung der palästinensischen Verhältnisse — eine höhere Allgemeinbildung und gleichzeitig eine gründliche Vorbereitung für den kaufmännischen, sowie für alle praktischer Berufe zu geben“. Auch hier sollen die Schüler „eine umfassende Kenntnis der hebräischen Sprache und Literatur erlangen, und das Hebräische soll zum großen Teil auch für die wissenschaftlichen Disziplinen Unterrichtssprache sein“. „Die Begründung der Handelsrealschule bietet die Möglichkeit, eine neue Vermittlungsklasse zwischen Laemelschule und Lehrerseminar zu gewinnen.“

Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Landes ist ferner die Errichtung von landwirtschaftlichen Kursen am Lehrerseminar, die ebenfalls im laufenden Jahre erfolgen soll. Eben jetzt (1908) ist der Hilfsverein damit beschäftigt, infolge eines ihm zugefallenen Vermächtnisses Wissotzky von 250.000 Frcs., ein Technikum in Palästina zu begründen.

Mit der Errichtung der Handelsrealschule, der landwirtschaftlichen Kurse und des Technikums wird ein geschlossenes Bildungswerk geschaffen, welches von unverkennbarem Nutzen für Palästina sein wird.

Die Zahl der Schüler in den vom Hilfsverein unterhaltenen und subventionierten Schulen Palästinas beträgt über 1.000. Die Ausgaben pro 1907 sind auf ca. 60.000 M berechnet.

Eine weitere bedeutende Entfaltung des begonnenen Bildungswerkes des Hilfsvereins steht zu erwarten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch