Demokratischzionistische Fraktion

Die „demokratisch zionistische Fraktion“, kurzweg auch „Fraktion“ genannt, entstand kurz vor dem V. Kongress und hat als geschlossene Gruppe eigentlich nur auf diesem Kongresse gewirkt. Obwohl es der Wirksamkeit ihrer Mitglieder gelungen ist, einige spezielle programmatische Forderungen innerhalb der zionistischen Gesamtorganisation durchzusetzen, konnte sie sich doch aus verschiedenen Gründen als selbständige Gruppe nicht behaupten und löste sich nach kurzer Zeit auf.

Die „Fraktion“ war eine Organisation der jungen zionistischen Kräfte, hauptsächlich aus Rußland, die insbesondere das nationalkulturelle und nationalsoziale Element im Zionismus zu reicherer Entwicklung zu bringen bestrebt waren. In kultureller Hinsicht waren sie die Fortbildner des insbesondere von Achad-Haam vertretenen „geistigen“ oder „Kultur-“ Zionismus. Aber während Achad-Haam nur ein geistiges Zentrum in Palästina zum Kerne seines Systems machte, hat die Fraktion in ihrem Programm ausdrücklich die Schaffung einer durch öffentliches Recht gesicherten Heimstätte als Hauptbedingung für eine gedeihliche nationale Kulturentwicklung in Palästina formuliert und damit eine Synthese zwischen „politischem“ und ,,Kultur-“ Zionismus geschaffen. In sozialer Hinsicht war die „Fraktion“ der Vorläufer der Poalei-Zion-Bewegung, indem sie zuerst die Aufstellung demokratischer Grundsätze und eine Heranziehung der Massen forderte und hierfür ein System gab.


Das Programm der „Fraktion“, das nach mehrtägigen Beratungen im Juni 1902 publiziert wurde, ist zweifellos das erste, alle Seiten des zionistischjüdischen Lebens heranziehende, moderne, zugleich theoretisch und praktisch durchgebildete Programm gewesen, das, auf dem von Herzl inaugurierten Kongress-Zionismus fußend, das Parteimäßige sozusagen zu einer Lebensanschauung auszugestalten suchte. Es ist daher seine Kenntnis (eine Anzahl zionistischer Blätter aus Sommer 1903 haben das Programm in extenso gebracht) für alle wertvoll, die sich für die innere Entwicklung des Zionismus interessieren.

Erwähnenswert ist hier vielleicht noch, daß die „Fraktion“ schon Forderungen aufgestellt hat, die nachträglich sich zu dem programmatischen Postulat der „praktischen Arbeit in Palästina“ verdichteten. Sie sind vom historischen und parteilichen Standpunkte aus interessant genug, um hier teilweise wiedergegeben zu werden:

,,Zu den notwendigen Vorarbeiten des Zionismus gehört die Gesamterforschung des jüdischen Volkes, speziell auch mit Rücksicht auf die Zwecke der dereinstigen Kolonisierung Palästinas.

a) Als erster Schritt für eine planmäßige zionistische Tätigkeit ist die gründliche Erforschung Palästinas und seiner Gesamtverhältnisse notwendig.

b) Ein besonderes. Studium erfordern die Kolonisationsformen und die kolonial politischen Fragen mit Beziehung auf ihre Anwendbarkeit in Palästina.

c) Zum Zwecke der beständigen Erforschung aller Verhältnisse Palästinas und des Studiums der Kolonisationsformen soll der Kongress ein eigenes, volkswirtschaftliches Amt in Palästina einsetzen, das mit einem bestimmten Budget zu dotieren ist. Es ist eine der dringendsten Pflichten der zionistischen Organisation, in Palästina schon jetzt möglichst große Ländereien zu erwerben. Als eine wichtige Vorarbeit und ein wesentlicher Faktor für den Zionismus ist die Umwandlung der palästinensischen Judenheit in ein produktives, mit zionistischem Bewußtsein erfülltes und von den nationalen Aufgaben durchdrungenes Element zu betrachten.

Ferner ist die Entfaltung einer kulturellen Tätigkeit in Palästina, sowie eine engere Verbindung zwischen der Judenheit Palästinas und der Diaspora zu erstreben.“

Diesen Programm punkten schließen sich eine Anzahl anderer an, die eine persönliche Anteilnahme der Zionisten, insbesondere der Fraktionsmitglieder an der Arbeit in Palästina fordern.

Die eigentümliche Entwicklung der zionistischen Verhältnisse hat es bewirkt, daß die besonderen programmatischen Forderungen der ,,Fraktion“ im ganzen und großen nur in Hinsicht auf die ,, reale Arbeit“ in Palästina Kongressprogramm wurden. Den kulturellen Forderungen zeigte sich der Kongress wenig geneigt, sie wurden daher in der Praxis nur von einzelnen Fraktionsmitgliedern propagiert und verdichteten sich in manchen Institutionen. Die Schwierigkeiten dieser Einzelarbeiten haben zu einer gewissen Stagnation der zionistischkulturellen Aktionen geführt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch