Choveve Zion

(Zionsfreunde). Darunter sind jene Organisationen zu verstehen, die in Rußland, auf dem Kontinente und in Amerika zur Förderung der Ackerbausiedlungen, sowie der Regelung der jüdischen Verhältnisse in Palästina gegründet wurden. In gewissem Sinne darf man die Choveve Zion als Vorläufer des politischen Zionismus betrachten, und deshalb sind sie für uns von größerem Interesse. Ihre Entstehung verdanken diese Vereine den Gedanken, die im Anschlüsse an die Judenexzesse in Rumänien 1880 und später in Rußland zur Diskussion gestellt wurden, und deren Quintessenz am besten durch das Programm der englischen Choveve Zion veranschaulicht werden kann. Dieses lautet in Umrissen folgendermaßen;

1. Befestigung des nationalen Gedankens unter den Juden.


2. Förderung der Kolonisation Palästinas und der Nachbargegenden durch Begründung neuer und Unterstützung bereits bestehender Kolonien.

3. Verbreitung des Hebräischen als Nationalsprache.

4. Hebung des moralischen, geistigen und wirtschaftlichen Niveaus der Juden.

5. Die Mitglieder der Organisation betrachten sich als volle Angehörige der Völker, unter denen sie leben, halten sich zum Gehorsam gegen die Staatsgesetze verpflichtet und wollen das Wohl ihres Vaterlandes mit allen Mitteln stärken.

Der erste, bereits im Jahre 1867 erschienene Appell zur Besiedelung des Heiligen Landes blieb ohne Wirkung. Erst im Jahre 1879 beginnen die Arbeiten der Choveve Zion, die praktische Resultate zeitigten. Von Männern, die damals die Bewegung einleiteten, seien genannt: Dr. Lippe und Pineles in Rumänien, Lilienblum und Dr. Leon Pinsker in Rußland, ferner eine nichtjüdische Gesellschaft in London zur Förderung des Kolonisationswerkes in Palästina und Laurence Oliphant. Eine der wichtigsten Publikationen, die dem Zustandekommen der Organisationen sehr förderlich war, ist der im Jahre 1881 in der russischen Zeitschrift „Raswjet“ erschienene Artikel „Die Judenfrage und das Heilige Land“ von N. L. Lilienblum. Klar wird hier bereits die Forderung, jüdische Kolonien zu gründen, erhoben. Eine sehr bemerkenswerte Erscheinung in der neuen Bewegung war ihre teilweise Verquickung mit religiösen Postulaten. So äußerten einige Choveve Zion unverhohlen, daß eine jüdische Siedlung ihrer Meinung nach nur auf der Basis der 613 Glaubensartikel mit gleich zeitiger Restaurierung des Tempels Zustandekommen würde. Charles Netter, der von viel staatsmännischerer Einsicht als die meisten Choveve Zion erfüllt war, und der insbesondere die rechtliche Seite der Kolonisation gegenüber den nur moralischen Ansprüchen betont wissen wollte, opponierte der Bewegung, die inzwischen in Rußland viele Anhänger gewonnen hatte, mit der Motivierung, Palästina wäre für eine Kolonisation ungeeignet.

Praktische Formen nahm die Bewegung erst nach den russischen Pogromen an, als eine begeisterte Studentenschar ihre Karriere in Rußland aufzugeben und nach Palästina als Pioniere zu übersiedeln sich entschloß. *) Zirka 200 Studenten hatten schriftlich zugesagt, aber nur ca. 20 (die Zahl wird sehr verschieden angegeben, übersteigt aber niemals 20) fuhren auf einem Dampfer nach Jaffa. Auf der Fahrt wurde ihnen ein Teil ihres Geldes gestohlen und in Palästina mußten sie, aller Mittel entblößt, sich anfangs kümmerlich durchbringen. Erst als Baron Edmund von Rotschild die Kosten von sechs Kolonien auf sich nahm, konnte die Palästinabewegung, an deren Spitze damals Dr. Leon Pinsker stand, größere Fortschritte machen. Zu den eifrigsten Propagatoren des Choveve-Zionismus gehörte auch Rabbi Mohilewer aus Bialystok. Das sogenannte Odessaer Komitee, das 1881 gegründet und von der russischen Regierung genehmigt wurde, erließ alle Direktiven und entsandte zur Agitation in Europa Dr. Pinsker und Rabbi Mohilewer.

Die Bewegung wuchs mit dem Anschwellen der Emigration aus Rußland. Ähnliche Organisationen wurden an verschiedenen Orten gegründet: „Esra“ in Berlin, „Kadimah“ in Wien, „Bnei Zion“ in London und Amerika.

Im Jahre 1890 wurde der Versuch einer Zentralisation aller Vereine gemacht. Dr. Haffkin und M. Meyerson organisierten das Pariser Zentralkomitee. Dennoch blieb der Schwerpunkt bei dem Odessaer Komitee, das auch fernerhin überall die Initiative ergriff und am besten die Beziehungen zu den palästinensischen Juden unterhielt. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung im Jahre 1893 erreicht, als in nahezu allen größeren Ländern, mit Ausnahme von Frankreich, Organisationen mit chovevizionistischen Tendenzen existierten.

Im Dezember 1892 erfloss ein Einwanderungsverbot der Türkei. Wenn auch dadurch eine gewisse Entmutigung eintrat, so gelang es doch Männern wie Colonel Goldsmid, dem Präsidenten der englischen Choveve Zion, durch den Versuch der Einführung militärischer Institutionen unter den Juden neues Interesse zu wecken. Doch die Kolonisation des Baron Hirsch in Argentinien war der Agitation in Westeuropa nicht sehr förderlich. Gleichwohl wurden mehrere neue Kolonien gegründet.

Sehr bezeichnend für die damalige Stimmung war ein im Jahre 1892 in London veranstaltetes Meeting, auf dem beschlössen wurde, durch Vermittlung des Baron Rotschild und des Britischen Auswärtigen Amtes den Sultan um Zuerkennung bestimmter Rechte für die Kolonien zu ersuchen.

Durch das Auftreten Herzls kam die Bewegung allmählich in ein neues Fahrwasser. Erst spät hat Herzl von der Existenz der Choveve-Zion-Bewegung als solcher erfahren, sicherlich hatte er von ihr noch keine Ahnung, als er den Judenstaat schrieb. Seinem staatsmännischen Blicke mußte das geld- und kräftevergeudende System der Choveve Zion, die, wie einer sich sehr drastisch und ein wenig übertrieben ausdrückte, „erfreut waren, wenn eine neue jüdische Ziege in Palästina meckert“, als vollends verfehlt erscheinen. Er bekämpfte aufs schärfste die Idee einer allmählichen Kolonisation ohne völkerrechtliche Basis. Dieser Punkt bildet zum Teil noch heute einen Gegenstand der Diskussion zwischen den Anhängern einer „Massensiedlung“ und denen einer „Kleinkolonisation“. Zumeist handelt es sich hier um eine Verwirrung der Begriffe. Es gibt nur eine Kolonisation ohne rechtliche Basis oder mit Rechtsgarantien sei es völkerrechtlicher oder privatrechtlicher Natur. Die Frage, ob in Massen oder allmählich kolonisiert werden soll, gehört auf ein anderes Gebiet. Die Rechtsfrage war der eigentliche Streitpunkt zwischen Herzl und den Choveve Zion. — Zwei Momente, beide mehr psychologischer Natur, mußten zu diesem Konflikte beitragen. Der Ausgangspunkt der Choveve Zion war die „Chibath Zion“, lag also im seelischen Motiv. Herzls Ideen dagegen waren eine Konsequenz der unnormalen Lage des jüdischen Volkes. Herzl meinte, seine Ideale durch diplomatische Schritte realisieren zu können, während die Choveve Zion alles von der Entwicklung erwarteten und sich selbst nur die Aufgabe zuerkannten, dieselbe zu beschleunigen. — Auf dem ersten Kongresse waren sehr viele Choveve Zion erschienen. Ja einige derselben wurden sogar ins A.K. gewählt, nachdem sie selbstredend dem Baseler Programm zugestimmt hatten. Aber soweit spielten noch fortwährend die Gegensätze unter der Decke, daß anlässlich des Charkower Streites die Gegnerschaft einiger Choveve Zion neuerdings offen hervortrat. Seitdem haben sie sich jedoch fast ausnahmslos dem politischen Zionismus angeschlossen und von der Existenz der Choveve Zion als solcher kann füglich nicht mehr die Rede sein. Die Gehässigkeiten, die früher in Pamphleten in hebräischer und englischer Sprache verbreitet wurden, haben ein Ende gefunden, seitdem die Londoner Choveve Zion (1898) das Baseler Programm anerkannten. Seit dem 7. Kongresse und seit der Generalversammlung des Odessaer Komitees (1906), das sich rückhaltlos zu den Beschlüssen des 7. Kongresses bekannte, kann die Fusion zwischen politischen Zionisten und Choveve Zion als vollzogen angesehen werden (s. auch Zionismus, Geschichte der Bewegung).

*) Die hier angeführten Details von den Schicksalen der ersten Pioniere entstammen einer Erzählung eines derselben, dem wir auch die Bürgschaft für die Richtigkeit überlassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch