Das Missionsideal der neueren Rabbiner

Dem Zionismus ist gleich bei seinem öffentlichen Auftreten und später wiederholt entgegengehalten worden, daß er den religiösen Zukunftshoffnungen des Judentums widerspreche. Wir Juden sollen gerade dazu von Gott über die ganze Erde zerstreut worden sein, um den Sieg des reinen Monotheismus herbeizuführen. Der Zionismus wolle das Judentum aus seiner gottgewollten Entwicklung herausdrängen und stelle sich als eine Auflehnung gegen den göttlichen Heilsplan dar. Wir wollen hier kurz die Berechtigung dieses Vorwurfs prüfen. Wenn man bedenkt, welche furchtbaren Opfer Israel diesem Glauben an eine Mission in der Zerstreuung bringen muß, dann sollte man zum mindesten vermuten, daß es sich hier um einen zentralen, alten jüdischen Glauben handle. In Wirklichkeit aber ist dieser Glaube weder alt, noch überhaupt jüdisch, geschweige denn zentral, und man muß über die Kühnheit staunen, mit der man eine so elementare, tief ethische Bewegung, wie die zionistische, durch einen so nichtigen Hinweis aufzuhalten gesucht hat. Denn dieser Missionsglaube findet weder in unserem heiligen Schrifttum noch in unserem historischen Glauben seine Begründung. In der Bibel ist von einer zweiten Zerstreuung überhaupt nicht die Rede und also auch nicht von einer Mission in derselben. Dem talmudischen Schrifttum ist ein solcher Glaube erst recht fremd. Das talmudisch-rabbinische Religionsgesetz ist dem Proselytismus, wie allbekannt, wenig günstig. Dem ganzen Judentum des Mittelalters gilt die Zerstreuung Israels als eine Strafe für seine Sünden, wie alle unsere Gebete beweisen. Und nun gar von einem Wunsche, um der angeblichen Mission willen in dem traurigen Exil zu bleiben, ist nie und nirgends die Rede. Ein solcher Wunsch würde jedem Juden des Mittelalters geradezu als eine unerhörte Zumutung erschienen sein. In Israel hat man seit den Tagen der Propheten nur immer geglaubt, daß die in Israel geoffenbarte religiöse Wahrheit siegen und unser Volk gleichzeitig frei und vor den Augen der Welt erhöht werden würde. Daß die Zerstreuung eine dauernde sein und der Ausbreitung des wahren Glaubens über die ganze Menschheit dienen solle, ist dem echten, historischen Judentum völlig unbekannt. Der Glaube an eine religiöse Mission im Golus ist vielmehr nur ein Versuch der Neuerung, die verschlungenen Pfade der Vorsehung zu deuten, und zwar ein misslungener Versuch, denn das Christentum war bereits vor dem zweiten Golus aus dem Judentum entstanden, und der Islam hätte, da Arabien Palästina benachbart ist, auch ohne dieses Golus entstehen können. Alle anderen kulturellen Einflüsse aber, die das Judentum während des Mittelalters auf seine Umgebung ausgeübt hat, wird man nicht, ohne sich lächerlich zu machen, zu einer religiösen Mission des Judentums aufbauschen können. Wollte man aber sagen, daß diese religiöse Mission erst jetzt begonnen habe, nachdem das Judentum wirklich in die europäische Völkerwelt eingetreten sei, so wird man zunächst die vorangegangenen achtzehn Jahrhunderte bitterer Qualen und tiefster Erniedrigung mit einem das Gemüt befriedigenden Vorsehungsglauben kaum vereinbar finden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch