Dr. Eduard v. Hartmann: Über den Zionismus.

Von Eduard v. Hartmann.*)

Die Ansichten von Nichtjuden über den Zionismus können nur einen theoretischen, um nicht zu sagen, akademischen Charakter haben; denn praktisch ist derselbe eine rein innenjüdische Angelegenheit.


Das Elend der Juden in östlichen Ländern rührt wesentlich daher, dass ihre niedrige Bildungsstufe sie hindert, sich in dem Eingehen verfrühter Eheschließungen diejenigen Beschränkungen aufzuerlegen, welche den Juden in Kulturländern als selbstverständlich gelten. Ob irgend welche Auswanderung in Gegenden, wo die Juden wesentlich unter sich sind, diesem Elend abhelfen kann, erscheint nach den bisherigen Erfahrungen zweifelhaft. Palästina als Ansiedlungsort verquickt die Frage der wirtschaftlichen Kolonisation mit der der Nationalreligion und vermehrt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch verstärkte Antriebe zur genauen Innehaltung des „Gesetzes“.

Die Antisemiten haben immer behauptet, dass die Juden eine besondere Rasse und Nation seien und in innigster Solidarität stünden. Die Verteidiger haben diese Behauptungen bestritten. Der Zionismus desavouiert sie und gibt den Antisemiten Recht.

Wer sollte nicht Kolonisationsversuchen der Juden, gleichviel in welchem Lande, das beste Gedeihen wünschen? Gelänge aber das Streben des Zionismus, ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina zu gründen, das nur irgendwie als jüdischer Nationalstaat gedeutet oder gemißdeutet werden könnte, so wäre das wiederum Wasser auf die Mühle des Antisemitismus. Denn dieser, der bis jetzt kein Programm hat und schwerlich es von selbst zu einem bringen wird, erhielte dadurch das Feldgeschrei gleichsam supponiert: „Fort mit den Juden nach Palästina!“

Der Nutzen der zionistischen Bestrebungen für die östliche Judenschaft erscheint mir höchst problematisch, die Schädigung aller Juden durch Stärkung des Antisemitismus aber auf der Hand liegend. Es ist Sache der Juden zu erwägen, ob sie die Hoffnung auf ein so zweifelhaftes Ziel durch so unzweifelhafte Nachtheile erkaufen wollen.

*) Die zionistische Bewegung, wiewohl sie nationale Ideengänge verfolgt, ist von Chauvinismus völlig frei. Darum seien auch den Lesern dieser Blätter, die eingestandenermaßen der zion. Propaganda dienen sollen, die etwas gegenteiligen Ansichten des berühmten Gelehrten nicht vorenthalten. (Emil Kronberger.)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen