Nordamerika

Bonn, 19. Dezember 1865 (Privatmitteilung) Unsere Leser werden sich der Artikel und Korrespondenzen im vorigen Jahrgang erinnern, in welchen darauf hingewiesen wurde, dass die deutschen Juden in Amerika in innigem Zusammenhange mit dem Judentume in Deutschland bleiben, und an dessen Bestrebungen, Arbeiten und Instituten einen tatkräftigen Anteil nehmen müssen, sowohl um die gemeinsamen Interessen zu wahren und zu fördern, als auch weil sie dieser Verbindung noch nicht entbehren könnten. Es wurde in Privatmitteilungen aus New-York und Philadelphia gerügt, dass es viele Führer der Judenheit in Amerika gebe, welche mit aller Anstrengung dahin streben, die Juden in Amerika von ihren Glaubensgenossen jenseits des Oceans zu trennen, und sie möglichst in Unkenntnis mit den Erzeugnissen der jüdischen Presse und Literatur Deutschlands zu erhalten, ohne dass sie sich scheuen, diese in ihren Zeitschriften zu plündern, meist ohne die Quellen zu bezeichnen. Träumen sie doch schon von einem „amerikanischen Minhag“. Diese Äußerungen in d. Bl. haben natürlich den höchsten Unwillen derer, die sie trafen, hervorgerufen. Man schmähete und schimpfte, man erklärte es für Humbug, Gewäsch u. dgl. Wir wollen hierauf nicht weiter antworten. Aber unsere gesch. Korrespondenten zu schützen, und die Wahrheit ihrer Aussagen zu bekunden, erlauben wir uns doch ausnahmsweise abermals eine Stimme aus dem Volke hier anzuführen und ein an uns gelangtes Schreiben mitzuteilen.

New York den 1. Dezember 1865.


Geehrter Herren

In Ihrem geschätzten Blatte, dessen Leser ich seit einem Jahre bin, findet sich eine Korrespondenz von New-York, betreffend die Gemeinde Ahawath Chesed, als deren Präsident ich mit Gegenwärtigem mich Ihnen zu präsentieren die Ehre habe, für welche ich sowohl dem mir unbekannten Korrespondenten, als auch der geehrten Redaktion für die freundliche Aufnahme derselben, zu Danke verpflichtet bin.

Die Besetzung des Predigerpostens war zwar zu jener Zeit noch nicht vom Plenum beschlossen und kam diese Angelegenheit erst in letzter Generalversammlung am 19. v. M. zum vollständigen Abschlusse.

Auch ich teile die Ansicht eines Ihrer hiesigen Korrespondenten, dass die deutschen Juden in Amerika den Rat und die Hilfe ihrer Glaubensbrüder in der Heimat namentlich in Kultus-Angelegenheiten noch nicht entbehren können, und wenn ich auch stolz darauf bin als Mensch und Bürger, Amerikaner geworden zu sein, als Jude blieb ich gern deutsch, und war es durch meine 16jährige Amtswirksamkeit mein eifrigstes Streben, das Kultuswesen meiner Gemeinde, die meistens aus Deutschen besteht, möglichst deutsch zu halten; im Gotteshause soll sich der Jude so viel als möglich heimisch fühlen, jedes Fremdartige bleibe fern.

Wir verkennen die Größe der Aufgabe, welche uns in der Aufnahme eines geeigneten Mannes für unsere Kanzel gestellt ist, nicht, und ich scheue mich nicht es zu gestehen, wir fühlen uns zu schwach, die Eigenschaften, die wir an einem solchen wünschen, in kurzer Zeit zu prüfen.

Es bleibt uns nichts anderes übrig als unseren Blick nach Deutschland zu richten; und nun wende ich mich vertrauensvoll in dieser Angelegenheit an Ew. Ehrwürden mit der Bite uns einen Mann zu empfehlen, der unseren Ansprüchen genügt. Wir wollen einen gediegenen, gewandten, tüchtigen Kanzelredner, einen Rabbiner und Religionslehrer, dem wir und auch unsere Kinder folgen können, er sei für uns nicht zu jung, für unsere Kinder nicht zu alt. Ein von Ihnen Empfohlener würde gewiss den Vorzug haben.

Entschuldigen Sie die Art, in welcher ich mich als Ihnen gänzlich Unbekannter an Sie wende, ich bin bloß schlichter Geschäftsmann, und verstehe es nicht besser, aber mein Herz schlägt warm für Religion und Judentum.

Sechzehn Jahre lang genieße ich das Vertrauen meiner Gemeinde als deren Präsident, das will hier in Amerika, wo alljährlich gewählt wird, sehr viel heißen, würde aber mit innerer Befriedigung gerne mein Amt einem Andern überlassen, sobald ich meiner Gemeinde einen würdigen Seelsorger bestellt habe. Genehmigen Sie die Versicherung meiner besondern Hochachtung, mit der ich zeichne

Euer Ehrw. ergebenster
Ignatz Stein
Präsident der Congregation Ahawath Chesed
24 Dey Street.