Zeitungsnachrichten aus Deutschland und dem Ausland. 1865

Autor: Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabbiner, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nachrichten 1865, Politik, Gesellschaftsleben, Religion, Wirtschaft
Aus: Allgemeine Zeitung des Judentums. Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse. Herausgegeben von Rabbiner Dr. Ludwig Philippson in Bonn. Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lotze in Leipzig. Dreißigster Jahrgang. 1866

Deutschland. Bayreuth, 12. Dezember 1865. (Privatmitteilung) Von dem schönen Geiste der Eintracht unter den Konfessionen in unserer Stadt hatten wir vor Kurzem wieder einen glänzenden Beweis. Die Gattin des königl. Bataillonsarztes Herrn Stein, eine durch Geistesbildung und Tüchtigkeit, durch edle Einfachheit, Tätigkeit, Wohlwollen und Frömmigkeit ausgezeichnete Dame, war plötzlich gestorben, und ward hierdurch ein tiefer Riss in ein echt patriarchalisches Familienleben gemacht. Die innigste Teilnahme gab sich auch unter allen Ständen kund. Denn Herr Dr. Stein hat sich durch seine Berufstüchtigkeit, sein Wohlwollen und seine Uneigennützigkeit die allgemeinste Hochachtung erworben. Im Leichenzuge waren auch alle Stände vertreten. Das gesamte Offizierkorps vom General abwärts, sehr viele Regierungs- und Gerichtsbeamte, die Geistlichkeit, der Bürgerstand, kurz, ein unabsehbares Gefolge. Der Rabbiner Herr Dr. Fürst hielt nach dem Texte Ps. 68, 20 eine sehr ergreifende Grabrede, welche allgemein einen tiefen Eindruck machte.

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Stuttgart, 13. Dezember 1865. Zwischen den Regierungsbehörden und dem hiesigen Gemeinderat schwebt gegenwärtig eine Streitfrage, welche schon auf letztem Landtage in Anregung gekommen, aber nicht entschieden worden war. Es ist dies die Frage wegen Zulassung der Israeliten in den Stiftungsrat. Das Organisationsedikt über die Gemeindeverwaltung bestimmt nämlich, dass die Gemeinderäte auch Mitglieder des Stiftungsrates sein sollen, ohne dabei irgend eine weitere oder nähere Bestimmung zu treffen, und verordnet weiter, dass die Ortsgeistlichen gleichfalls Mitglieder sein sollen. In Ulm war nun ein Israelite, der Mitglied des Gemeinderats war, nicht in den Stiftungsrat zugelassen worden, weshalb sich der dortige Gemeinderat beschwerend an die zweite Kammer gewendet hatte. Die Kammer war jedoch über die Sache, ohne eine Entscheidung zu treffen, auf den Antrag der staatsrechtlichen Kommission zur Tagesordnung übergegangen. Die Linke, welche die Zulassung der Israeliten befürwortete, berief sich dabei auf die Bestimmungen des Gemeinde-Organisations-Edikts, worin keine Ausnahme gemacht ist. Vom Ministertisch aus, sowie von der Rechten und der Prälatenbank wurde dagegen eingewendet, dass es sich von selbst verstehe, dass Israeliten im Stiftungsrat nicht Sitz und Stimme haben könnten, da der Stiftungsrat sich auch mit Gegenständen des Kultus und der Schulen, so wie mit der Verwendung christlicher Stiftung zu beschäftigen und darüber Beschluss zu fassen habe. Hiergegen bemerkt die Linke, dass die Stiftungsräte sich nicht bloß mit Kultussachen, sondern auch mit der Armenfürsorge zu befassen haben, welche eine allen Glaubensbekenntnissen gemeinsame Angelegenheit sei. Aber, sagt die Regierung, die Israeliten lassen zu ihren Stiftungsräten auch keine Christen zu. Der letztere Grund scheint denn auch die Kammer veranlasst zu haben, zur Tagesordnung überzugehen. Seither ruht die Sache; da wurde auch ein israelitisches Mitglied des Gemeinderats von den Sitzungen des Stiftungsrates ausgeschlossen und die k. Stadtdirektion bestätigte diese Ausschließung. Der Gemeinderat hat hiergegen Berufung bei der vorgesetzten Behörde eingelegt, deren Schicksal indes unschwer zu erraten sein dürfte.

Hannover, 12. Dezember 1865 (Privatmitteilung) Es gereicht uns zur Freude, konstatieren zu können, dass, wenn es, wie wir zur Zeit in diesen Blättern berichtet haben, auffallend erscheinen musste, dass im vorigen Quartale bei keinem Schwurgerichtshofe des Königreichs ein Jude zum Geschworenendienste berufen worden, dies doch nur ein Zufall, wenn auch ein überraschender war, da in dem gegenwärtigen Quartale bei mehreren Schwurgerichten wiederum Juden als Geschworene fungieren, wie z. B. am hiesigen Orte drei und darunter sogar merkwürdiger Weise Vater und Sohn zugleich. Sehr günstig wurde es auch aufgenommen, dass diese drei Geschworenen, obwohl sämtlich der strengreligiösen Richtung angehörend, sich auch am Sabbath ihrer Bürgerpflicht unterzogen und von der ihnen nach dem bereits mitgeteilten Ministerialreskripte zustehenden Befugnis, am Sabbath diesen Ehrendienst ablehnen zu dürfen, keinen Gebrauch gemacht haben.

Am 5. d. M. fand in Scharmbeck die Einweihung einer neuen Synagoge statt, bei welcher sich sämtliche Konfessionen beteiligten und zu welcher sich auch zahlreiche Fremde einfanden. Um 11 Uhr setzte sich der lange Festzug in Bewegung und verfügte sich von der alten Synagoge zu dem neuen Gebäude, vor dessen festlich geschmücktem Portale dem Herrn Regierungsrate Fachtmann die Schlüssel überreicht wurden. Derselbe hielt alsdann eine Anrede an die Versammelten, in welcher er eine Parallele zwischen dem Sonst und Jetzt zog. Früher, meinte er, habe man die Juden aus der Gesellschaft ausgestoßen, in dem Wahne, es sei recht gehandelt, die Kinder und Enkel für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen. Jetzt sei es anders; durch die Gnade des Königs erfreuten sich alle Untertanen des hannoverschen Landes, zu welchem Bekenntnisse sie auch gehören möchten, in der Anbetung des einen wahren Gottes, gleichen Rechtes und gleichen Schutzes. Der Redner schloss damit, dass er im Namen des Königs die Schlüssel in Empfang genommen habe und dieselben auch in dessen Minen wieder den Vorstehern der israelitischen Gemeinde überreiche, damit sie mit der letzteren den Einzug in das neu eingerichtete Gotteshaus halten könnten.

Preußen. Berlin, 18. Dezember 1865 (Privatmitteilung) Wie Sie schon ersehen haben, gehören alle, im vorigen Monate gewählten Repräsentanten und deren Stellvertreter der liberalen Richtung an. Freilich werden Sie in Bctreff von Nachrichten über das Wirken der erneuerten Gemeindebehörden sich noch einige Zeit gedulden müssen, da die neu Erwählten nach dem Gemeindestatut erst sechs Monate nach der Wahl — also im Mai — ihr Amt antreten werden. — Der Dirigent des hiesigen Synagogenchors, Lazarus Lewandowski, hat bei Gelegenheit seiner 25jährigen Amtsführung den Titel eines Königlichen Musikdirektors erhalten. — Herr Lehmann, der bekannte Redakteur des „Magazins für die Literatur des Auslandes“, hat seinen dauernden Aufenthalt jetzt hier genommen. Er war schon einmal in den Dreißiger und Vierziger Jahren in Berlin wohnhaft und wirkte als Mitglied des Vorstandes der Gemeinde und als langjähriger Direktor der Gesellschaft der Freunde! — Wie die Trichinen hier die Frömmigkeit vermehrt haben, ist unglaublich. Viele Juden, die früher mit ihrem Nichtkoschertum prahlten, sind zu den jüdischen Schlächtern zurückgekehrt; und letztere wirken auch auf dem Felde der äußern Mission, indem selbst viele Christen für Wurst usw. ihre Zuflucht nur zu ihnen nehmen. Aber in der Tat ist es ziemlich sicher festgestellt, dass — wie der Bandwurm — so auch die Trichinen nur in dem Schwein und dem Menschen lebensfähig sind, so dass die sanitärische Verderblichkeit des ersteren durch einen neuen Grund erhärtet ist.*) Es versteht sich, dass selbst den Ungläubigen nach diesem unerwarteten Beweise für die Richtigkeit des Mosaischen Gesetzes, Respekt auch vor andern Teilen des letzteren eingeflößt wird, welche ihnen bis jetzt ebenso grundlos erschienen waren. Um so mehr aber muss man sich hüten, das Gesetz lediglich vom medizinischen Standpunkt aus anzusehen, und ich gestatte mir daher hier ganz besonders auf die Ansichten aufmerksam zu machen, welche Sie, Herr Redakteur, über die Speisegesetze auch in ihrer seelischen Bedeutung, in Ihrem Kommentare zu den betreffenden Schriftstellen dargelegt haben.

*) Wer erinnert sich hierbei nicht an den Vers des Juvenal (Sat. XIV, 99), mit welchem er die Juden aushöhnt:
        „Sie glauben, dass das Schweinefleisch vom menschlichen Fleische nicht unterschieden sei, und enthielten sich dessen daher ihre Ahnen.“
        In dem Spotte des Satyrikers lag also eine anatomisch-psychologische Wahrheit, von welcher er freilich keine Ahnung hatte.        Die Redaktion.


Aachen, 17. Dezember 1865 (Privatmitteilung) Gleichwie das vorjährige Chanukkafest für unsere Gemeinde dadurch bedeutungsvoll war, dass das herrliche Tonwerk einer großen neuen Orgel (statt der früheren kleineren) zum ersten Male unsere gottesdienstlichen Gesänge begleitete, so hat auch das diesjährige Fest uns eine erhebende Feier gebracht. Zwei alte ehrenwerte Mitglieder hatten gleichzeitig der Synagoge prachtvolle Geschenke gewidmet, welche Zcugnis davon geben, dass die Opferwilligkeit zur Ehre Gottes in unserer Gemeinde immer schönere Früchte zeitigt. —

Das erste Geschenk, eine kunstvoll gearbeitete, vergoldete Menorah von 7—8 Fuß Höhe, mit einem Piedestal von weißem Marmor, spendete der Stadtverordnete Herr Abraham Mayer, zur Erinnerung an ein frohes Familienereignis; das zweite, eine neue Gesetzrolle mit kostbaren silbernen Paramenten, wurde von Herrn Aron Lippmann zur Feier seines 70. Geburtstages dargebracht.

Nachdem, unter trefflich ausgeführten Chorgesängen, der gewöhnliche Umzug mit sämtlichen Thorarollen Statt gefunden, folgte die Predigt. Das Händel'sche Hallelujah beschloss die hehre Feier. —

Berlin, 20. Dezember 1865. In einer, auch in diesem Blatte referierten Frage, welche die beiden ersten Instanzen in entgegengesetzter Weise beantwortet hatten, hat jetzt das Obertribunal endgültig entschieden, nämlich dass ein jüdischer Schlächter, welcher das Schlachten der Tiere eben nur als Ritualhandlung nach bestimmten Vorschriften vollzieht, nicht als ein Schlächter im Sinne der Steuergesetze anzusehen und demgemäß nicht steuerpflichtig ist. Das wirkliche Ausschlachten, Ausweiden, Abziehen und Zerteilen des Tieres würde jedoch eine Versteuerung bedingen. —

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabbiner

Philippson, Ludwig Dr. (1811-1889) deutscher Schriftsteller und Rabbiner

Allgemeine Zeitung des Judentums. 1866

Allgemeine Zeitung des Judentums. 1866

Aachen, Stadtansicht

Aachen, Stadtansicht

Aachen, Hauptpostamt

Aachen, Hauptpostamt

Wien, Stadtansicht 1859

Wien, Stadtansicht 1859

Der Kaiserliche Winterpalst

Der Kaiserliche Winterpalst