Fünfzehntes Kapitel. - »Ich mußte noch einmal zu Euch zurück, der Prinz befahl es ausdrücklich, ...

»Ich mußte noch einmal zu Euch zurück, der Prinz befahl es ausdrücklich,« sagte Fergus. »Die hohe Wichtigkeit dieses englischen Obersten als Gefangner wird Euch bekannt sein, denn er gilt für einen der tüchtigsten Offiziere der ganzen Rotrockarmee, ja für einen Intimus des furchtbaren Kriegshelden Cumberland, der die berühmte Schlappe von Fontenoy 1745 bekam und expreß nach Schottland kommandiert worden sein soll, uns arme Hochländer mit Stumpf und Stiel auszuroden.«

»Aber, Fergus!« rief Waverley.


»Weiß der Himmel, Waverley! ich weiß nicht, was ich aus Euch machen soll. Ihr laßt Euch schaukeln von jedem Winde. Hier haben wir einen Sieg gewonnen, der in der Kriegsgeschichte Schottlands fast ohne gleichen dasteht, Euer Verhalten wird von jedermann in den Himmel gehoben, der Prinz kanns nicht erwarten, Euch persönlich seinen Dank abzustatten, all die schönen Damen der weißen Rose recken sich die Hälse nach Euch, und Ihr, der schöne Ritter des Tages, klebt auf Eurem Gaul, wie ein Butterweib, das zu Markt reitet,: mit einer richtigen Leichenbittermiene!«

»Mir geht der Tod des alten Obristen nahe; er hats immer redlich mit mir gemeint.«

»Na, solcher Empfindung kann man ja ein paar Minuten Raum gönnen, dann ist man aber wieder obenauf. Was ihm heute passiert ist, kann uns morgen passieren. Was einem schönen Siege am nächsten kommt, ist doch ein schöner Tod. Aber freilich, ein galliger Bissen bleibts immer, und lieber als sich selbst wünscht ihn wohl jeder dem Feinde.«

»Aber Obrist Talbot sagte mir, meine Verwandten seien um meinetwillen von der Regierung verhaftet worden.«

»Nun, dann müssen wir Bürgschaft aufbringen, lieber Junge. Der alte Andreas Ferrara [Fußnote]ironisch für: venetianischer Dolch. wird schon das Nötige schaffen, der hat den Prinzen ja auch frei bekommen, und was sie zu dem Fall in Westminster-Hall sagen würden, darauf wäre ich doch gespannt ...«

»O, Bürgschaft ist schon für sie aufgebracht. ... Bürgschaft friedlicher Natur ...«

»Ei, was seid Ihr dann noch so bedrückt, Edward? Meint Ihr etwa, die kurfürstlichen Minister seien so sanfte Tauben, daß sie ihre Feinde in solch kritischen Momenten frei laufen ließen, wenn sie sie wirklich verhaften und bestrafen könnten oder dürften? ... Seid versichert, entweder sind sie gar nicht im stande, das Material zu einer Anklage wider sie zusammenzubringen, oder sie fürchten sich vor unsern Freunden, dem alten Landadel Englands. Auf jeden Fall, meine ich, dürftet Ihr um Eurer Verwandten willen keine Ursache haben, Besorgnis aufkommen zu lassen.«

Edward wurde hierdurch wohl zum Schweigen gebracht, aber die innere Ruhe fand er nicht wieder. Wiederholt hatte es ihn gewundert und gekränkt, einen wie geringen Grad von Teilnahme Fergus für solche seiner Mitmenschen, die ihm nahestanden oder einen Weg kreuzten, fühlte, wenn sie mit seinen Anschauungen und Empfindungen nicht übereinstimmten, oder gar in Widerspruch zu ihm traten. Dann und wann ließ er wohl durchblicken, daß es ihm naheging, wenn er Waverley gekränkt oder verletzt hatte, aber ihm ein Wort darüber zu vergönnen, dazu konnte er sich niemals entschließen, und so war es bei dem höchst empfindlichen Wesen Waverleys schließlich erklärlich, daß seine überschwengliche Begeisterung für den Freund langsam erkaltete.

Der Chevalier empfing Waverley mit seiner gewohnten Freundlichkeit, überhäufte ihn mit Lobesworten über die von ihm bewiesene Tapferkeit, erkundigte sich eingehend über den von ihm eingebrachten Gefangenen, den Obersten Talbot, und schloß seine Bemerkungen damit, daß er zufolge der Freundschaft, die denselben mit Edwards Oheim, Sir Everard, verbände, und seiner Gemahlin, die ja aus dem Hause Blandeville stamme, dessen loyale Grundsätze allgemein bekannt seien, wohl zu der Meinung berechtigt sei, auch in ihm einen Anhänger seiner Sache zu erblicken, möge er auch, um sich nicht zur Zeitströmung in Widerspruch zu setzen, eine andre Maske zeigen.

»Soll ich nach den Worten urteilen, die Obrist Talbot heute gegen mich geführt hat, so muß ich königlicher Hoheit bekennen, daß ich weit entfernt davon bin, solche Meinung zu teilen,« erwiderte Waverley.

»Nun, eines Versuches ist die Sache jedenfalls wert. Ich übertrage deshalb Euch die Sorge über unsern Gefangnen, und erteile Euch Vollmacht, mit ihm ganz nach eignem Ermessen zu verfahren. Ich bin überzeugt, daß es Euch gelingen wird, zu ermitteln, wie er über die Wiederbesteigung des Throns von Schottland und England durch unsern königlichen Vater denkt.«

»Ich darf die Ueberzeugung aussprechen, daß man sich auf das Wort des Obristen Talbot, voll verlassen darf, wenn er es gibt,« erwiderte Waverley; »wenn er es jedoch verweigert, dann gebe ich mich der Erwartung hin, daß königliche Hoheit einem andern als mir die Obhut über ihn übertragen werde.«

»Dazu werde ich mich nicht entschließen können,« versetzte der Chevalier lächelnd, »denn es ist von Wichtigkeit für die von mir verfochtne Sache, wenn nach außen hin nach wie vor ein gutes Einvernehmen zwischen Euch und meinem Gefangnen besteht, mag schließlich auch eine Erklärung in dem von mir angedeuteten und gewünschten Sinne nicht zu erlangen sein. Führt den Gefangnen deshalb in Euer Quartier und fordert ihm das Ehrenwort ab, nicht zu entfliehen. Sollte er es Euch weigern, dann müßt Ihr freilich für eine angemessene Bewachung Sorge tragen, aber darum muß ich bitten, daß diese Sache sogleich in die Wege geleitet werde, denn wir haben vor, uns morgen wieder nach Edinburg zu begeben.«

Als Waverley, nach Preston zurückkehrte, nahm er zu seiner Freude wahr, daß sich Obrist Talbot von der Erschütterung, die ihm das Zusammentreffen so vieler widriger Vorfälle zugezogen hatte, fast ganz erholt hatte. Er hatte die natürliche Haltung und Festigkeit wiedergewonnen, die von einem englischen Edelmann und Soldaten unzertrennlich ist, jenes mannhafte, edle und offne Wesen, mit der Schattenseite gewisser Vorurteile dem Ausländer und solchen Personen gegenüber, die sich nicht auf dem Boden gleicher politischer Anschauungen mit ihm bewegen.

Als Waverley dem Obristen meldete, daß ihm vom Chevalier die Bewachung seiner Person übertragen worden sei, antwortete dieser:

»Daß ich dem jungen Herrchen noch zu solchem Dank verpflichtet sein werde, habe ich mir nun allerdings niemals träumen lassen. So kann ich doch wenigstens von ganzem Herzen in das Gebet jenes ehrenwerten presbyterianischen Geistlichen einstimmen, daß das Streben des jungen Herrn, sich in den Rückbesitz einer irdischen Krone zu setzen, recht bald dadurch gestillt werden möge, daß ihm eine himmlische Krone gespendet wird. Herzlich gern gebe ich mein Ehrenwort, eine Flucht ohne Euer Vorwissen nicht zu unternehmen, und zwar um so lieber, da es ja doch der Zweck meines Aufenthalts in Schottland war, Euch aufzusuchen. Indessen fürchte ich, daß uns kein langes Zusammensein beschieden sein wird. Euer Chevalier – diesen Namen können wir ihm beide geben, wenn zwischen uns die Rede auf ihn kommt – trägt sich doch sicher mit der Absicht, seine Plaid- und Blaumützenmänner weiter nach Süden hinunter zu geleiten.«

»Nein, soweit ich unterrichtet bin. Das schottische Heer soll vielmehr nach Edinburg zurückmarschieren und will dort das Eintreffen von Verstärkungen abwarten.«

»Ei, ei, wohl um das Schloß zu belagern?« fragte der Obrist. »Na, so lange, mein alter Kamerad und Vorgesetzter, General Guest, nicht zum Gauner wird oder das Schloß in den Noth hinunter kollert, wirds damit wohl nichts werden. Ich denke, da wird uns geraume Zeit bleiben, unsre alte Bekanntschaft aufzufrischen. Wenn sich, wie ich vermute, Euer heldenmütiger Chevalier mit dem Gedanken trägt, daß Ihr mich zu einem Proselyten machen sollt, während mich doch Euch gegenüber die gleiche Absicht erfüllt, so kann uns ja eigentlich gar kein besserer Vorschlag gemacht werden. Da ich jedoch heute unter dem Eindruck von Empfindungen stehe, denen ich selten Raum gebe, rechne ich darauf, daß Ihr mir alle Kontroverse so lange erlassen werdet, bis wir bessre Bekanntschaft zusammen geschlossen haben.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Zweiter Band