Fünfzehntes Kapitel - Der Baron kehrte um die Mittagszeit zurück. Er hatte seine Fassung wieder gefunden, ...

Der Baron kehrte um die Mittagszeit zurück. Er hatte seine Fassung wieder gefunden, ja sogar die alte gute Laune war zum großen Teil wieder zurückgekehrt. Er bestätigte nicht bloß, was Rosa und Schösser Macwheeble von den Räubern des Hochlands erzählt hatten, sondern ergänzte diese Erzählungen durch manche Anekdote und Schnurre aus den eignen Erlebnissen mit diesen seltsamen Menschen, die ein so großes Ansehen unter ihren Sippen genössen, daß sie zuweilen sogar die Macht über Leben und Tod besäßen als Edelleute vom höchsten Alter.

Ohne sich jedoch weiter auf die Ursache des Zwists einzulassen, die gerade in den verschiedenen Anschauungen über das höhere Geschlechtsalter der Edelleute des Unter- oder des Hochlands wurzelte, erzählte der Baron nun noch soviel merkwürdige Dinge von den Sitten, Bräuchen und Grundsätzen dieser patriarchalischen Hochlandsgeschlechter, daß Edwards Neugierde auf das höchste gespannt wurde. Er richtete die Frage an den Baron, ob es möglich sei, ohne Gefahr einen Ausflug in die Hochlande zu unternehmen. Der Baron erwiderte hierauf, daß nichts leichter wäre als das, sobald nur dieser Zwist aus der Welt geschafft wäre, denn er könne ihm recht wohl an einzelne Häuptlinge Empfehlungsschreiben mit auf den Weg geben, die ihm dann die beste Aufnahme und volle Gastfreundschaft verschaffen würden.


Während sie hierüber noch Worte wechselten, ging plötzlich die Tür auf, und unter Geleit Saundersons, des Seneschalls, trat in voller Rüstung und Tracht ein Hochländer in das Zimmer.

Es war ein stolzer, finstrer Mann von gedrungener Gestalt, dieser Bergschotte, dem das weitfaltige Plaid noch einen weit kräftigern Anblick schaffte, als ihm seine persönliche Erscheinung schon gab. Sein kurzer Kilt, oder Schurz ließ die nervigen, wohlgeformten Schenkel sehen; zwischen den üblichen Trutzwaffen, Dolch und Pistole, hing ein Beutel aus Ziegenfell; auf seiner Mütze trug er eine kurze Feder, die seinen Rang als Halbedelmann kennzeichnete (»Duinhe-Wassel«). An seiner Seite klirrte das große Schwert, über der Schulter hing die Tartsche, und in der Rechten hielt er die Büchse. Mit der andern nahm er die Mütze vom Haupte und trat einen Schritt gegen den Baron hin vor.

Dieser blieb auf seinem Sessel sitzen und wandte sich mit einer Miene und in einem Tone, daß es Edward vorkam, als befände er sich einem Fürsten gegenüber, zu dem Bergschotten.

»Willkommen, Evan Dhu Maccombich! bringst Du Nachrichten von Fergus Mac-Ivor-Vich-Ian-Vohr?«

»Fergus Mac-Ivor,« erwiderte der Gefragte auf gut Englisch, »läßt Euch seinen Gruß entbieten, Baron von Bradwardine und Tully-Beolan, und sein Bedauern darüber aussprechen, daß sich eine Wolke zwischen ihm und Euch gelagert hat, die Euch hinderte, die alte Freundschaft zwischen Euch und ihm weiter bestehen zu lassen. Er hofft, daß solches Euch so leid sei wie ihm, denn wehe dem, der wegen einer Sturmwolke am Frühlingsmorgen den Freund aufs Spiel setzt.« Auf diese Ansprache erwiderte der Baron, daß ihm die freundliche Gesinnung des Clans von Ivor wohl bekannt sei und daß es auch ihm leid tue, daß Unfriede zwischen die alten, Geschlechter Bradwardine und Ivor-Glennaquoich eingezogen sei, da ja doch, wenn Völker sich zusammenrotteten, der schwach sei, der keinen Bruder habe.

Diese beiden Erklärungen reichten hin, den Boden für die weitern Verhandlungen zu ebnen, mit denen jedoch der Baron selbst nicht behelligt zu werden brauchte, da hierzu die beiden Personen, der Bergschotte einer- und der Schösser anderseits, vollauf genügten. Nur den Gasttrunk, der in einem Humpen Wacholder bestand, ließ der Baron noch in das Gemach bringen und reichte ihn mit einem Spruche auf das Wohlergehen und fernere Glück in allen Unternehmungen dem Abgesandten dieses alten Edelmanns aus ältestem Hochländeradel persönlich. Mit einem Zuge wurde der Humpen geleert, und dann begaben sich beide Unterhändler, der Schösser und der keltische Botschafter, in die Wirtschaftsstube, wo sie die Verhandlungen in sachgemäßer Weise führten und alsbald zu einem beide Teile befriedigenden Abkommen gebracht hatten.

Edward, der noch nie in seinem Leben einen Bergschotten vor Augen gehabt hatte, wurde durch die Erscheinung und die seltsame Weise desselben derart gefesselt, daß er unwillkürlich aufstand und mit den beiden Männern das Zimmer verließ. Wenn ihn schon der Bergschotte selbst in so außerordentlicher Weise fesselte, so draußen nicht minder die Klugheit und Gewandtheit, mit der sich dieser Abgesandte eines Räuberhauptmanns, denn in Edwards Augen erschien der Clanhäuptling als nichts anderes, der ihm zuerteilte Vermittelungsaufgaben erledigte. Dieser wieder fühlte sich offenbar angenehm berührt durch die Aufmerksamkeit, die ihm Edward entgegenbrachte, und durch die Wißbegierde, die Edward nach den Verhältnissen und Zuständen und Menschen oben in den Hochlanden an den Tag legte, und forderte Edward kurzer Hand auf, ihn auf einem Ritt von einem knappen Dutzend Stunden in die Berge hinauf zu begleiten, und sich, wenns ihm recht sei, den Ort selbst anzusehen, wohin das Vieh getrieben worden sei.

»Wenn es sich so mit Euch verhält, wie ich annehme, so dürftet Ihr wohl noch keinen Ort in Eurem Leben gesehen haben, wie diesen, würdet ihn wohl auch nicht sehen in Eurem Leben, wenn es sich nicht für Euch so träfe, daß ich Euch mitnehmen möchte,« sagte Evan Dhu.

Die Wißbegierde unsers Helden war nun auf das äußerste gespannt, denn die Höhle eines hochländischen »Cacus« zu sehen, war erklärlicherweise ein Herzenswunsch von ihm. Immerhin übte er die Vorsicht, sich zuvor zu erkundigen, ob er sich auch solchem Führer ohne Bedenken anvertrauen dürfe. Der Baron versicherte ihm, daß er, da ihn ein Bergschotte selbst dazu aufgefordert habe, völlig außer Gefahr sei, daß er sich aber auf ein reichliches Teil von Strapazen gefaßt machen müsse. Evan Mac Dhu lud Edward noch besonders ein, einen vollen Tag auf dem Rückwege bei seinem Clanhäuptling zu verleben, wo er sich einer guten Aufnahme und reichlichen Bewirtung zu versehen habe. Nun schien Edward der Ausführung nichts mehr im Wege zu stehen. Rosa wurde zwar blaß, als sie von dem Vorhaben hörte, aber ihr Vater wollte der Wißbegierde seines jungen Freundes nicht durch Weckung von Besorgnissen, zu denen wirklicher Grund nicht vorhanden war, Schranken ziehen. Es wurde einer der Forstleute des Barons gerufen, dem der Auftrag gegeben wurde, sich dem Junker anzuschließen, dann wurde ihm ein Schnappsack mit dem notwendigen Mundvorrat umgehängt, und dann brach unser Held, nach kurzem Abschied vom Baron, auf mit einer Büchse über der Schulter, in Begleitung des Jägers und seines neuen Freundes Mac Dhu und dessen Gefolge, das in zwei weitern Hochländern bestand, von denen einer den »Lochaber-Ax«, eine Axt mit langem Stiele über der Schulter, der andre eine lange, Jagdflinte trug.

»Hält Euer Häuptling mehr solcher Mannen?« fragte Edward unterwegs.

»Mehr solcher Mannen?« fragte der Bergschotte seinerseits, »freilich! da ist der »Hanchmann«, die rechte Hand des Häuptlings, der »Bhaird« oder Barde, der »Bladier« oder Sprecher, der die großen Leute anredet, die besucht werden sollen, dann der »Gilly-more« oder Schwertträger, der »Gilly-Flascue«, der ihn auf dem Rücken durch Moor und Sümpfe trägt, der »Gilly-Trusharnish«, der den Schnappsack trägt, dann der Pfeifer und der Pfeifergesell, und überdies noch ein Dutzend junger Burschen, die kein Amt bekleiden, sondern nur im kriegerischen Schmuck dem Laird folgen, um ihm zu Diensten zu sein.«

Mit solcherlei Schilderungen verkürzte Evan Mac Dhu den Weg, bis sie näher zu den mächtigen Höhen kamen, die Edward bisher nur von fern gesehen hatte. Es war schon gegen Abend, als sie einem jener furchtbaren Engpässe sich näherten, die das Hochland mit dem Unterland verbanden. Ein steiler, rauher Pfad wand sich in der Schlucht zwischen zwei mächtigen Felswänden hin bis zu dem Engpasse hinauf, den ein tief unten brausender Gießbach gegraben zu haben schien. Die Sonne war eben im Untergange begriffen, und ein paar schief einfallende Strahlen erreichten noch die Flut unten in dem finstern Bett, die sich in Hunderten von Fällen über Klippen und Wände ergoß.

Vom Pfad zum Gießbach hinunter senkte das Terrain sich in schroffem Abhänge; nur stellenweis ragte ein Block oder ein Baumriese herüber, der die knorrigen, verwachsenen Wurzeln in die Felsspalten trieb. Zur Rechten stieg der Berg fast ebenso schroff empor, die entgegengesetzte Höhe bedeckte jedoch ein Schlag Buchholz, das mit einigen hohen Fichten durchsetzt war.

»Der Paß von Bally Brough,« erklärte der Bergschotte, »den vor alters der Clan Donnochie gegen einhundert Unterländer gehalten hat. Im kleinen »Corri«, unten im Grunde sieht man noch heute die Grabhügel, unter denen die Erschlagenen ruhen, drüben auf der andern Seite des Gießbachs, wenn Eure Augen noch scharf genug sind, die grünen Flecke im Heidegras zu erkennen.... Blickt auf! dort fliegt der Earn, ihr Südländer nennt ihn Adler, aber Ihr habt in Eurem ganzen England solchen Vogel nicht! ... unten auf dem Grunde des Laird von Bradwardine holt er sich seinen Fraß; aber ich will ihn Euch herunterholen mit einem Büchsenschuß.«

Er feuerte, aber er fehlte den stolzen König der Lüfte, der, ohne sich um den Knall des Schusses zu kümmern, majestätisch seinen Flug gen Süden nahm. Aber Tausende von Raubvögeln, Falken, Geier, Habichte und Raben, hatte der Schuß aus ihren Schlupfwinkeln gescheucht, die nun kreischend umherflatterten und mit dem tosenden Gießbach die Luft um die Wette mit Lärm erfüllten.

Der Pfad mündete in einem engen Tale zwischen zwei Bergen, die beide zu mächtiger Höhe aufragten und dicht mit Heide bedeckt waren. Der Gießbach war ihr dauernder Begleiter, und an seinen Windungen zogen die Bergschotten mit ihrem englischen Begleiter entlang. Evan Mac Dhu bot oft dem Junker Waverley seinen Beistand an bei besonders schwierigen Stellen, aber Edward war ein tüchtiger Fußgänger und auch frei von Schwindel, und er stieg dadurch, daß er sich nicht scheute, sich die Füße naß zu machen, gewaltig in seiner Achtung. Edward ließ es sich tatsächlich angelegen sein, den Bergschotten die Meinung von der Weichlichkeit der Leute aus dem Unterland zu nehmen.

Aus der Schlucht heraustretend, gelangten sie an einen schwarzen Bruch von gewaltigem Umfang, voller Vertiefungen, durch die sie nun unter den größten Schwierigkeiten, oft mit Lebensgefahr, auf einer schmalen Fußspur, die nur ein Hochländer verfolgen konnte, weiter vordringen mußten. Manchmal wurde der Boden so gefährlich, daß es nur möglich war, ihn sprungweise zu passieren, da die schmalen Vorsprünge, auf die gefußt werden mußte, zu brüchig waren, die Last eines Menschen zu tragen. Für die Hochländer mit ihren an Sandalen erinnernden dünnsohligen Bergschuhen war diese Bewegungsweise leicht, aber für Edward in seinen Reiterstiefeln wurde sie bald weit ermüdender, als er anfangs gemeint hatte. Im düstern Zwielicht gelangten sie nun noch durch diesen Pfuhl; aber als sie denselben passiert hatten, umschloß sie Finsternis, und bei Nacht gelangten sie an den Fuß eines steilen Felshügels, dessen Ersteigung die nächste Aufgabe war, die der Wandrer harrte. Aber die Nacht war zum Glück schön und hell, so daß Waverley den Marsch aushielt, wenngleich er im stillen die Hochländer um ihren flotten Trott, der ihnen nicht die geringste Anstrengung zu bereiten schien, beneidete; keiner von ihnen, trotzdem sie schon an acht Wegstunden hinter sich hatten, gab eine Spur von Ermattung zu erkennen.

Als sie den Berg überwunden hatten und auf seiner andern Seite in einen schwarzen Wald hinunterstiegen, machte Evan Mac Dhu etwa mittwegs Halt zu einer kurzen Besprechung mit seinen beiden Kameraden. Dann wurde Edwards Gepäck seinem Begleiter, dem Forstwächter des Barons, abgenommen und einem Bergschotten aufgeladen, dann wurde der Forstwächter mit ihm in einer andern Richtung abgeschickt, als Evan Mac Dhu mit dem Junker und den andern Bergschotten nahm. Auf Edwards Frage nach dem Grunde dieser Maßregel wurde ihm der Bescheid, daß der Unterländer die Nacht in einem Dorfe unterhalb des Waldes, etwa anderthalb Wegstunden von der Stelle, wo sie jetzt seien, zubringen müsse, denn Donald Bean Lean, der Kamerad, bei dem sich zurzeit die Milchkühe des Barons befänden, wäre sicher, wie Evan Mac Dhu meinte, nicht erbaut darüber, wenn er, so lange er noch das Vieh bei sich hätte, den Besuch fremder Leute bei sich sähe. Deshalb möchte es wohl auch das Klügere sein, wenn er jetzt vorausginge und auf das Erscheinen eines » sidier Roy« Rotrock, englischer Soldat aufmerksam machte, das sonst vielleicht böses Blut wecken könnte.

Ohne Antwort abzuwarten, trollte sich Evan Mac Dhu quer durch den Wald und war bald Edwards Blicken entschwunden, der nun auf sich selbst angewiesen war, denn sein Begleiter mit der Streitaxt über der Schulter sprach nur wenig Englisch. Der Weg führte sie durch dichten Fichtenwald, der Pfad, der hindurch führte, war bei der herrschenden Finsternis nicht mehr zu erkennen, der Hochländer schien ihn jedoch instinktmäßig zu finden, und Edward folgte ihm so dicht auf den Füßen wie möglich. Nach einer strammen Tour fragte er, ob sie noch weit bis zum Ziele hätten.

»Die Höhle wird noch immer zwei bis drei Stunden von hier liegen,« erwiderte der Gefragte in Bruchstücken englischer Worte, »aber wenn ??DuinhéWassel müde sei« (damit wollte der Schotte Waverley sagen) »dann könnte ja doch Donald ich meinte, ich dachte das »Curragh« schicken.«

Dadurch wurde nun Edward auch um nichts klüger, denn was unter dem Worte zu verstehen sei, war ihm nicht klar. Es konnte ebenso gut Pferd oder Wagen oder Karren bedeuten, aber trotz aller Mühe ließ sich aus dem Manne nichts weiter herausbringen als die ständig wiederholten Worte: »Jadoch, das Curragh! das Curragh!«

Aber bald sollte dem Junker klar werden, was darunter zu verstehen sei, denn als er aus dem Walde heraustrat, sah er einen breiten Strom oder See vor sich, an dessen Ufer sie, wie der Führer zu verstehen gab, eine Weile rasten wollten. Der Mond stieg am Himmel herauf und verriet dunkel die Größe der Wasserfläche, die sich vor ihnen ausdehnte, und die in einander verschmelzenden Bergformen. Die kühle und doch nicht empfindliche Sommernacht erfrischte Waverley nach der schnellen, beschwerlichen Wanderung, und die von den Birkenbüschen ausströmenden Düfte labten ihn und erquickten ihn.

Jetzt fand er reichliche Muße, sich ganz in die Romantik seiner Lage zu vertiefen. Der Leitung eines wilden Eingebornen preisgegeben, saß er an dem Ufer eines düstern Bergsees, der Landessprache fremd und im Begriffe, in die Höhle eines gefürchteten Räubers der Hochlande sich zu begehen, der vielleicht ein andrer Robin der Rote war, und noch dazu in tiefer Mitternacht, unter Szenen von Gefahr und Mühseligkeit, getrennt von seinem Begleiter, verlassen von seinem Führer! Welch eine Fülle von Gegensätzen!

Aus diesem träumenden Sinnen weckte ihn sein Kamerad durch einen sanften Rippenstoß. In fast gerader Richtung zeigte er über den See hinüber auf einen dunklen Punkt und sagte:

»Dort liegt die Höhle.«

Mitten in dem dunklen Punkte glänzte ein kleinerer Lichtpunkt, der bald größer wurde, um zuletzt wie eine Art Meteor am Rande des Horizonts aufzuleuchten. Während Edward noch in diesen Anblick vertieft saß, erklangen Ruderschläge vom See herüber, das taktmäßige Geräusch kam näher, dann ertönte aus der gleichen Richtung ein Pfiff, dann antwortete der Bergschotte mit der Streitaxt mit einem gleichen Pfiffe, und bald legte nun ein Kahn, mit vier bis fünf Hochländern bemannt, in einer kleinen Bucht an, in deren unmittelbarer Nähe Edward mit dem Schotten saß. Bald waren zwei Bergschotten an ihrer Seite und luden sie ein, in den Kahn zu steigen, dann ging es mit Geschwindigkeit in gerader Linie über den See.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band