Sechzehntes Kapitel - Schweigen herrschte im Kahne, bloß unterbrochen durch die eintönige Melodie ...

Schweigen herrschte im Kahne, bloß unterbrochen durch die eintönige Melodie eines gälischen Liedes, das der Steuermann leise vor sich hin summte, und durch den Schlag der Ruder, die durch das Lied im Takte gehalten zu werden schienen. Sie kamen dem Lichte näher und näher, das bald einen großen roten Schein annahm, aber unsicher hin und her zitterte. Es ließ sich jetzt deutlich erkennen, daß es von einem Feuer herrührte. Aber ob es von einer Insel kam oder auf dem festen Lande brannte, das zu bestimmen war noch nicht möglich. Manchmal sah es aus, als ob der flammende Kreis auf der Seefläche selbst tanze, ähnlich dem feurigen Wagen, in welchem nach einer morgenländischen Sage der böse Geist, Land und Meer durchfliegt.

Näher und näher kamen sie, und nun reichte der Feuerschein hin, um erkennen zu lassen, daß er von einem mächtigen Holzstoße herrührte, der am Fuße eines großen Felsenriffs aufgeschichtet worden war und sich dicht am Rande des Wassers in senkrechter Form erhob, mit seinem düstern Rot einen fast grausen Kontrast bildend zu dem andern Ufer, das nur hin und wieder von einem blassen Mondstrahl stellenweis aufgehellt wurde.


Und als das Boot dichter an das Ufer herankam, sah Edward, daß zwei Gestalten um das Feuer herum hantierten, die in dem rötlichen Glänze aussahen wie ein paar Teufel. Das Boot trieb direkt auf die Schluchtmündung zu. In der Mitte derselben ließen die Ruderer es unter leichtem Stoße ans Land anlaufen. Fast unmittelbar unter dem kleinen Felsvorsprung, auf dem der Holzstoß brannte, stiegen die Insassen aus, und ein kleines Stück seitab zeigte sich die Oeffnung einer Grotte, zu der etwa ein halbes Dutzend regelmäßig geformter Felslagerungen führte, die man füglich als Stufen einer Treppe hätte bezeichnen können. Im selben Augenblick, als Edward mit den Schotten den Fuß in die Grotte setzten, wurde draußen von den beiden Teufeln durch mehrere Wassergüsse das Feuer gelöscht, das also nur zu dem Zweck errichtet sein mochte, dem Boote nächtlicherweile über den See als Leuchtfeuer zu dienen.

Waverley wurde von ein Paar rüstigen Armen bis zum Hintergrunde der Grotte getragen. Aus dem Felsen heraus schien dumpfes Stimmengewirr zu dringen, und als man jetzt um eine scharfe Ecke bog, trat mit einem Male Donald Bean Lean mit seinem gesamten Hauswesen in Sicht.

Die Grotte war hier von bedeutender Höhe. Fichtenbrände erhellten sie, einen grellen, flackernden Schein um sich werfend und einen starken, jedoch nicht unangenehmen Geruch verbreitend. Um ein mächtiges Kohlenfeuer, das weiterhin dazu beitrugt Licht und Wärme in der Höhle zu verbreiten, saß etwa ein halbes Dutzend Hochländer, während im Hintergrunde, noch kaum zu erkennen, ein weiteres Dutzend auf ihren Plaids herumzuliegen schien. In einer Nische, die von dem Felsen seitwärts gebildet wurde, und die von den Hochlandsräubern scherzhaft »Die Speisekammer« genannt wurde, hingen, an den Füßen festgemacht, ein Schaf und zwei frisch geschlachtete Kühe.

Begleitet von Evan Mac Dhu, trat jetzt die Hauptperson dieses ganzen Auftritts auf Waverley zu, das direkte Gegenteil von dem, was sich dieser unter einem Hochlandsräuber vorgestellt hatte. Es war keine rauhe Kriegergestalt, sondern ein Mann von schmächtiger Figur, klein, mit hellrotem Haar, hagerm und blassem Gesicht, wovon er den Namen »Bean«, der Weiße, bekommen hatte, und trotzdem er behend und lebhaft war und ebenmäßige Formen aufwies, machte er doch im großen und ganzen keinen sonderlich günstigen, sondern weit eher einen nichtssagenden Eindruck. Wesentlich gemindert wurde derselbe noch dadurch, daß er gemeint hatte, als einstiger Soldat Frankreichs seinem Gaste nicht in Hochländertracht, sondern zu dessen größerer Ehre in einer alten verschossenen Uniform, mit Federhut und Schleppsäbel gegenüberzutreten, wodurch er in diesem Milieu einer bergschottischen Räuberhöhle eine so lächerliche Wirkung erzielte, daß Waverley sich fast zum Lachen versucht fühlte. Er begrüßte Waverley mit einem Schwall von verbindlichen Worten, die französische Höflichkeit mit schottischer Gastfreundfreundschaft zum Ausdruck bringen sollten, und tat völlig vertraut mit Namen, Charakter und Gesinnung von Waverleys Onkel, dem er überhaupt großen Beifall in allen Dingen zollte. Waverley hielt es für geraten, hierzu nur eine Bemerkung allgemeinwertiger Natur zu machen.

Als sich die drei Männer in angemessner Entfernung vom Kohlenfeuer niedergesetzt hatten, das für diese Jahreszeit eine zu große Hitze sprühte, kam eine dickleibige Hochländerin mit einer Art dicken Breies, der aus allerhand innern Teilen vom Rind bereitet war, und drei Holznäpfen herbei, und wenn diese Speise auch Waverley ziemlich grob und derb vorkam, so tat doch der Hunger das Seinige, sie ihm schmackhaft zu machen. Dann wurden aus Fleischschnitten über Kohlenfeuer Beafsteaks geröstet, die zum Staunen Waverleys ebenfalls im Nu verschwanden, mit einer Geschwindigkeit, daß sich Waverley verwundert fragte, woher bloß die Rede kommen möge von der Enthaltsamkeit und Nüchternheit der Hochschotten. Es war ihm indessen unbekannt geblieben, daß der Hochschotte Mäßigkeit nur dann kennt, wenn ihn die Not dazu zwingt, daß er aber im andern Falle der rohen Bestie gleicht, die so lange frißt, bis sie nicht mehr kann.

In Menge wurde dann Branntwein herbeigeschafft, der das Mahl krönen mußte. Er wurde im Hochlande scharf gewürzt und unverdünnt getrunken und schmeckte Edward durchaus nicht. Seinem Wirt tat es außerordentlich leid, ihm keinen Wein vorsetzen zu können; hätte er es nur ein paar Stunden früher erfahren, so hätte es auch daran nicht fehlen sollen, aber kein Edelmann könne nun mal mehr bieten, als er habe, und wo keine Büsche seien, dort fände man eben keine Nüsse, und wenn ein Hochschotte nach England hinunter käme, müßte er sich auch so bescheiden, wie es dort Brauch und Sitte sei.

Dann kam die Rede auf die politischen und militärischen Verhältnisse im Lande, und Waverley war erstaunt, ja er fühlte sich in gewissem Grade beunruhigt darüber, daß ein Mensch solchen Schlages eine ganz genaue Bekanntschaft mit den Garnisonen und der Verteilung der Regimenter im Landesbereiche hatte. Auch wieviel Rekruten sein Onkel gestellt hatte, als Waverley zu seinem Regiment gerückt war, wußte er genau, und sagte, es seien durchweg recht stattliche Burschen gewesen. Auch an einige geringfügige Vorkommnisse bei der Musterung des Regiments erinnerte er Waverley, so daß es sich gar nicht anders verhalten konnte, als daß er selbst Augenzeuge gewesen sein müsse. Als sich dann Evan Mac Dhu entfernt und in sein Plaid gehüllt an die Erde gestreckt hatte, fragte Donald den Junker in scharfem Tone, ob er ihm etwa was Besonderes mitzuteilen habe. »Ihr könnt mir,« sagte er mit bedeutsamem Winke, »nicht minder Vertrauen schenken, wie dem Baron Bradwardine oder Vich-Ian-Vohr, denn ich bin genau so zuverlässig; indessen seid Ihr mir auch so willkommen.«

Waverley überlief es eiskalt ob der geheimnisvollen Andeutungen dieses Banditen, der sich außerhalb des Gesetzes gestellt hatte und als vogelfrei galt. Er gewann jedoch so viel Gewalt über sich, daß er ihm die ruhige Antwort gab, er sei ohne allen bestimmten Zweck in die Hochlande gekommen. So viel Mut, den Banditen nach dem versteckten Sinne dieser Andeutungen zu fragen, gewann er indessen nicht über sich.

Ein Lager von Heidekraut, mit den Blüten nach oben gekehrt, war in einem Winkel der Grotte für ihn hergerichtet worden, und hierauf streckte er sich hin, mit soviel Plaids bedeckt, als sich zurzeit auftreiben ließen, und beobachtete das Verhalten und die Bewegungen der übrigen Hochländer.

Kleine Trupps von zwei bis drei und mehr Mann kamen und gingen, ohne daß es zu andern Formalitäten zwischen ihnen und dem Häuptling kam, als dem Austausch einiger gälischen Worte. Und als sich dieser dann hingestreckt hatte und eingeschlafen war, trat an seine Stelle ein andrer Hochländer, schlank und hager, wie Donald, und hielt, so lange Donald ruhte, die Wache.

Die Hochländer, die in die Grotte eintraten, kamen augenscheinlich von Streifzügen zurück, auf denen sie Beute gemacht hatten, und verfügten sich ohne alle Umstände in die Speisekammer, wo sie sich mit ihren Dolchen die Rationen von den ausgeschlachteten Leibern abschnitten, auf die sie Anspruch hatten. Dann traten sie an das Kohlenfeuer und brieten oder kochten sie, je nachdem sie Appetit hatten. Der Branntwein hingegen stand unter Aufsicht und wurde entweder von Donald selbst oder von der schon erwähnten korpulenten Hochländerin zugemessen, aber in sehr reichlichen Portionen, denn was Hochschotten davon vertragen können, ist erstaunlich. Diese korpulente Person schien die einzige Vertreterin des weiblichen Geschlechts zu sein, die sich in der Höhle von Donald Bean Lean aufhielt.

Endlich verschwammen diese Bilder und Gruppen vor Edwards Augen zu einem großen Durcheinander, und er schlief ein und schlief so lange, bis die Morgensonne bereits hoch über dem Bergsee stand.

Aber in den Winkeln der »Königsgrotte« (Uaimb an Ri), wie Donald Bean Leans Höhle im Hochlande stolz genannt wurde, herrschte auch dann noch trübes Zwielicht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Waverley oder Es ist sechzig Jahre her. Erster Band