Zweite Fortsetzung

Richten wir nun noch einen flüchtigen Blick auf die in den vier Zonen differierenden Erträgnisse des Ackerbaues, so finden wir, dass sich die ganze Bodenproduktion der arktischen Zone auf Moose, Flechten und Beeren beschränkt, ohne dass sich durch Kultivierung das Land etwas aufzwingen ließe.

In der nördlichen beginnt der Anbau von Getreide, von Gerste, Hafer und Roggen, in den höher gelegenen Gebieten spärlich, in den der dritten Zone sich nähernden, schon reichlicher. Auch Kartoffel- und Flachsbau findet Beachtung.


Die dritte Zone ist das vornehmste Gebiet des Ackerbaues, zu den Erzeugnissen des vorher genannten tritt noch der Weizen und Hanf.

Die südliche oder vierte Zone bringt alle europäischen Frucht- und Getreide-Arten zur Reife, dazu Mais, Melonen, Wein und Südfrüchte.

Auch die Tierwelt tritt in jeder der vier Zonen Russlands in andern Arten auf. In der ersten ist sie nur in wenigen Gattungen vertreten, im Hunde, Renntiere, Eisbären, Polarfüchse und anderem Pelzwilde; dann dem Robben, der Eidergans, Strandvögeln und Fischen.

Die zweite, reich an Raubwild, — Bären, Wölfen, Füchsen und Luchsen, lässt nicht minder auch Edelwild heimisch werden, und führt den Hirsch, das Reh, den Damhirsch und das wilde Schwein auf. Die Zucht der Haustiere nimmt gleichfalls zu.

Der dritten ist vorzugsweise der Wolf, ebenso zwei sonst nicht mehr vorkommende Tiergattungen eigen, nämlich der Auerochse und das Elentier. Vieh- und Pferdezucht, vorzugsweise die letztere, werden mit Fleiß gehandhabt, nicht minder der Bienenzucht besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Landstriche der südlichen Zone, zum Teil von nomadisierenden Völkern bewohnt, betreiben die diesen mit Vorliebe eigene Viehzucht, und haben in einzelnen Gegenden als spezielle Zugabe das Kamel.

In Hinsicht auf Nationalitäten ist kein Reich der Erde von so verschiedenen Völkerschaften bewohnt, als Russland, das unter seinen Bevölkerungs-Elementen mehr als hundert geschiedene Stämme zählt; in seinen Grenzen werden vierzig Sprachen gesprochen. Wir kommen jedoch in den uns interessierenden dreizehn Gouvernements nur mit dem allerkleinsten Teile dieser Völker in Berührung.

Die Bewohner der westlichen Gouvernements sind Abkömmlinge polnischen Ursprungs, untermischt mit Letten und Kleinrussen, — jene der Gouvernements des Inneren dagegen echte Großrussen, — Angehörige des zahlreichsten, mächtigsten und weitverbreitetsten aller Slawenstämme. Im Gouvernement Warschau ist die Hauptmasse der Bevölkerung polnisch, zum achten Teil mit Juden untermischt, welche letzte jedoch auch in den westlichen russischen Gouvernements stark vertreten sind.

Die Volksdichtigkeit ist eine sehr verschiedene. Indessen bietet eine Karte Kusslands, welche im Farbentone die Dichtigkeit der Bevölkerung ausdrückt, immer noch nicht die Varianten, wie eine solche von Deutschland, wo die Durchschnittszahlen Württembergs, Rheinhessens und namentlich der Industriebezirk des Königreiches Sachsen gegen z. B. die Lüneburger Heide, auf die Quadratmeile eine vier- und fünfmal, im letzteren sogar siebenmal größere Einwohnerzahl aufweisen.

Die in unser Reisegebiet einschlagenden Gouvernements rangieren sich wie folgt:

(1872) Gouvernement Warschau 3.578 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Moskau 2.777 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Petersburg 1.605 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Kowno 1.525 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Grodno 1.362 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Wilna 1.260 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Twer 1.252 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Smolensk 1.147 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Witebsk 1.020 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Pskow 905 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Minsk 684 Einwohner auf die QM.
(1872) Gouvernement Nowgorod 462 Einwohner auf die QM.

In diesen Bevölkerungs-Verhältnissen und ihren Konsequenzen beruht unstreitig auch die gegen die deutsche Gewohnheit ganz veränderte Art des Reisens. Eine häufige Unterbrechung der Tour, die Wahl einer am Wege liegenden kleinen Stadt zum kurzen Aufenthalte, ein Abstecher da- oder dorthin zum Besuch eines komfortablen Badeortes, ein Einteilen weiter Strecken in kleinere Tagesabschnitte, ist in Russland nicht nur nicht angezeigt, sondern grade zu untunlich. Die Reise gestaltet sich hier nicht zum Vergnügen an sich, sondern ist nur Mittel zum Zwecke. Möglichst viele Werste in der kürzesten Zeit zurückzulegen, ist der hervorragende Gedanke, welcher jeden Reisenden beseelt. Daher kommt es auch; dass auf den großen Routen zwischen Wirballen und Petersburg, zwischen Moskau und Petersburg, Moskau und Warschau meistens sich für die ganze weite Fahrt durchgehende Passagiere finden, und die Einwohnerschaft eines Courierzug-Coupé’s unterwegs fast gar nicht wechselt.

Wie in der Regel allerwärts, so besteht auch in Russland der weitaus größere Teil der Reisenden aus Fabrikanten, Kaufleuten und deren Vermittlern. Die Schaffung einer selbständigen Fabriktätigkeit im russischen Reiche war ein Lieblingsgedanke Peters des Großen, welchem er jede nur tunliche Fürsorge widmete, und damit den Keim zu deren reger Entwicklung legte.

Die ersten derartigen Etablissements, durch den Zar in das Leben gerufen, waren Eigentum der Krone. Man zählte bei seinem Ableben 1725 deren 21 von Bedeutung (diese im Regiebetriebe), 1801 war die Zahl der Fabriken Russlands schon auf 2.270, — 1820 auf 3.724, — 1828 auf mehr als 6.000, — 1849 auf 9.172 angewachsen (jetzt wahrscheinlich auf mehr als das Doppelte) !

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen im westlichen Russland