Abschnitt 5

Der Oderbruch und seine Umgebung


Von Frankfurt bis Schwedt


Wir haben Küstrin passiert – ein scheuer Blick nur traf jenen halb verbauten Wallgang zwischen Bastion König und Bastion Brandenburg, wo am 6. November 1730 Kattes Haupt in den Sand rollte –; auch das Schlachtfeld liegt bereits hinter uns, das achtundzwanzig Jahre später diesen Terrainabschnitt zu historischem Ansehen erhob, und wir fahren nun, als hätten sich die Flußufer vorgesetzt, durch Kontraste zu wirken, in jene friedlich-fruchtbaren Gegenden ein, die, vor 100 oder 150 Jahren noch ein ödes, wertloses Sumpfland, seitdem so vielfach und mit so vielem Recht die Kornkammern unseres Landes genannt worden sind. Das Oderbruch dehnt sich auf Meilen hin zu unserer Linken aus.

Der Anblick, den es, im Vorüberfahren, vom Fluß aus gewährt, ist weder schön und malerisch, noch verrät er eine besondere Fruchtbarkeit; gegenteils, das Vorland, das sich dem Auge bietet, macht kaum den Eindruck eines gehegten Stück Wiesenlands, während die Raps- und Gerstenfelder, die sich golden dahinter ausdehnen, dem Auge durch endlose Damm- und Deichwindungen entzogen werden. Durch Damm und Deiche, die freilich, indem sie die Niederung gegen ihre früheren Überschwemmungen schützten, erst den Reichtum schufen, der sich jetzt hinter diesen Linien verbirgt.

Der Reichtum dieser Gegenden offenbart sich uns nicht in seinen goldenen Feldern, aber wir erkennen ihn doch an seinen ersten und natürlichsten Folgen – an den Dörfern, die er geschaffen. Da gibt es kein Strohdach mehr, der rote Ziegel lacht überall aus dem Grün der Wiesen hervor, und statt der dürftig hölzernen Kirchtürme des vorigen Jahrhunderts, die kümmerlich wie ein Schilderhaus auf dem Kirchendach zu sitzen pflegten, wachsen jetzt in solidem Backsteinbau – die Campanellen Italiens oft nicht unglücklich kopierend – die Kirchtürme in die Luft. An diesem Reichtume nehmen die Dörfer des andern (rechten) Oderufers teil, und ansteigend an der Hügelkette gelegen, die sich eine Meile unterhalb Küstrin am rechten Oderufer hinzuziehen beginnt, gesellen sich Schönheit und malerische Lage, viel mehr, als man in diesen Gegenden erwartet, zu dem Eindruck des Reichtums und beinahe holländischer Sauberkeit.

Nun sind wir über Amt Kienitz (ein altes Dorf, vor zwei Jahrhunderten dem General Görtzke, dem »Paladin des Großen Kurfürsten«, gehörig) und nun über Kloster Zellin hinaus; der Fluß wird schmäler, aber tiefer, und das Landschaftsbild verändert sich. Der Barnim liegt hinter uns, und wir fahren in die Uckermark hinein, wo sich uns Uferlandschaften erschließen, sehr ähnlich denen, wie sie die Stettiner Umgegend dem Auge bietet. Andere Namen, in nichts mehr an die triviale Komik von »Güstebiese« oder »Lietzegöricke« erinnernd, tauchen auf – Namen voll poetischem Klang und Schimmer: Hohensaaten, Raduhn und Hohen-Kränig.

Der Fluß, bis dahin im wesentlichen in einem Bette fließend, fängt an, ein Netz von Kanälen durch die Landschaft zu ziehen; hierhin, dorthin windet sich der Dampfer, aber eh es uns noch gelungen ist, uns in dem malerischen Wirrsal zurechtzufinden, tauchen plötzlich weiße Giebelwände, von Türmen und hohen Linden überragt, aus dem Landschaftsbilde auf. Noch eine Biegung, und das übliche Hoi-ho, das immer laut wird, wenn das Schiff sich einer Landungsstelle nähert, läßt sich aufs neue vernehmen. Eine alte Holzbrücke, mit Hunderten von Menschen besetzt, sperrt uns den Weg; ein Fangseil fliegt über unsere Köpfe weg, dem Brückengeländer zu; der Dampfer legt an. Ein Drängen, ein Grüßen, dazwischen das Läuten der Glocke. Vom linken Ufer her aber wirft ein weitläuftiger Bau, in Bäumen und Laubgängen halb versteckt, sein Spiegelbild in den Fluß. Es ist das alte Markgrafenschloß. Wir sind in Schwedt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil