Abschnitt 4

Der Oderbruch und seine Umgebung


Von Frankfurt bis Schwedt


Die Stadt, so klein sie ist, zerfällt in eine Ober- und Unterstadt. Jene streckt sich, so scheint es, am First des Berges hin, diese zieht sich am Ufer entlang und folgt den Windungen von Fluß und Hügel. Zwischen beiden, am Abhang, und, wie es heißt, an selber Stelle, wo einst die alte Kathedrale stand, erhebt sich jetzt die Lebuser Kirche, ein Bau aus neuer Zeit. Die »Unterstadt« hat Höfe und Treppen, die an das Wasser führen; die »Oberstadt« hat Zickzackwege und Schluchtenstraßen, die den Abhang bis an die Unterstadt hemiedersteigen. Auf diesen Wegen und Straßen bewegt sich ein Teil des städtischen Lebens und Verkehrs. Gänse und Ziegen weiden dort unter Gras und Gestrüpp; Frauengestalten, zum Teil in die malerische Tracht des Oderbruchs gekleidet, schreiten bergab; den Zickzackweg hinauf aber steigt eben unser Freund, der Gipsfigurenmann, und seine »Aurora« schimmert im Morgenstrahl.

Nun aber Kommandowort vom Radkasten aus, und unser Dampfer schaufelt weiter.

Lebus liegt zurück, und wir treten jetzt, auf etwa eine Meile hin, in jenes Terrain ein, wo Stadt und Dorf, zu beiden Seiten des Flusses, an die Tage mahnen, die jenem Kunersdorfer 12. August vorausgingen und ihm folgten. Es sind drei Namen vorzugsweise, denen wir hier begegnen: Reitwein, Göritz und Ötscher, alle drei mit der Geschichte jener Tage verwoben.

In Reitwein erschien am 10. August die Avantgarde des Königs, um eine Schiffbrücke vom linken aufs rechte Oderufer zu schlagen. Man wählte dazu die Schmälung des Flusses, wo die alte Stadt Göritz, malerisch am Hügelabhang, dem Dorfe Reitwein gegenüberliegt. Am 10. abends erschien der König selbst und führte seine Bataillone (sechzig an der Zahl) ans andre Ufer; die Kavallerie ging durch eine Furt. In Göritz aber blieb General Flemming mit sieben Bataillons zur Deckung der Schiffbrücke zurück. Zwei Tage später, am Abend des 12., befanden sich die Trümmer der geschlagenen Armee an derselben Furt, an derselben Schiffbrücke. Aber das Spiel war vertauscht; statt von links nach rechts, ging es jetzt von rechts nach links. Die Brücke, die am Abend des 10. von Reitwein nach Göritz vorwärts geführt hatte, führte jetzt, am Abend des 12., von Göritz nach Reitwein zurück.

Der König verbrachte die Nacht, eine Viertelmeile südlich von der Schiffbrücke, im Dorfe Ötscher; er schlief auf Stroh in einer verödeten Bauernhütte. Auf dem Rücken Rittmeisters von Prittwitz, der ihn gerettet, schrieb er mit Bleistift die Worte an den Minister Finckenstein: »Alles ist verloren, retten Sie die königliche Familie; Adieu für immer.« Anderntags nahm er Quartier in Reitwein, damals noch den Burgsdorfs gehörig. Hier war es, wo er die berühmte, an den General Finck gerichtete Instruktion aufsetzte, in der er den Prinzen Heinrich zum Generalissimus ernannte und den Willen aussprach, daß die Armee seinem Neffen schwören sollte.

An diesen Plätzen führt uns jetzt unsere Fahrt vorüber. Ötscher, wiewohl nah gelegen, verbirgt sich hinter Hügeln, desto malerischer treten Reitwein und Göritz hervor. Schöner freilich muß der Anblick dieses Bildes gewesen sein, als die alte Göritzer Kirche, ein berühmter Wallfahrtsort, auf der Höhe des Hügels lag und sich mit der Kirche von Reitwein drüben begrüßte. Aber Göritz und seine Kirche sind in jedem Sinne von ihrer Höhe herabgestiegen. Keine Wallfahrer kommen mehr, und als sei es nicht länger mehr nötig, das berühmte Wallfahrtshaus, die Kirche, schon von weither sichtbar zu machen, hat man die neue Kirche (nachdem die alte, kurz vor der Zorndorfer Schlacht, von den Russen zerstört worden war) in der Tiefe wieder aufgebaut.

Die Göritzer Kirche hat uns zu guter Zeit an die Russen und die Zorndorfer Schlacht gemahnt; denn wir verlassen eben das Kunersdorfer Terrain, um in das von Zorndorf einzutreten.

Was wir zunächst erblicken, ist Küstrin, turmlos, grau, in dünne Nebel gehüllt die alte neumärkische Hauptstadt, um deren Rettung es sich handelte, als am 21. August 1758 der König von Schlesien her am linken Oderufer erschien. Alle Namen zu beiden Seiten des Flusses erinnern auch hier an Tage bitterer Bedrängnis und schwer erkauften Siegs.

Zuerst Gorgast am linken Oderufer. In Gorgast war es, wo der König seine chiffonniert aussehenden Truppen mit den glatt und wohlgenährt dastehenden Regimentern Dohnas vereinigte und sein Mißfallen in die Worte kleidete: »Meine sehen aus wie Grasteufel, aber sie beißen.«

Weiter flußabwärts die Fähre von Güstebiese. Ein wenig poetischer Name, aber doch voll guten Klangs. Hier setzte der König seine Regimenter über, als er von Küstrin aus jenen glänzenden Bogenmarsch ausführte, der ihn, genau da, wo der Gegner einen Frontangriff erwartete, plötzlich in den Rücken desselben führte.

Rechts hin, fast am Ufer des Flusses entlang, dehnt sich die Drewitzer Heide – ein grüner Schirm, der das eigentliche Schlachtfeld dem Auge des Vorüberfahrenden entzieht. Dahinter liegen die Dörfer und Stätten, deren Namen mit der Geschichte jenes blutigen Tages verwoben sind: die Neudammsche Mühle, der Zaber- und Galgengrund, endlich Zorndorf selbst.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil