Abschnitt 1

Der Oderbruch und seine Umgebung


Quilitz oder Neu-Hardenberg


Neu-Hardenberg (Quilitz) seit 1814


1810, wie bereits erwähnt, war Quilitz aus den Händen des jüngeren Prittwitz in den Besitz der Krone übergegangen, aber auch diesmal nur auf kurze Zeit. Wie 1763 dem General von Prittwitz, so wurde Quilitz im November 1814 dem Fürsten-Staatskanzler von Hardenberg als Dotationsgut verliehen und der alte Name Quilitz, ihm zu Ehren, in Neu-Hardenberg umgeändert. Der Fürst besaß es – samt dreizehn andern Gütern, die zusammen die »Herrschaft Neu-Hardenberg« bilden – bis zu seinem am 26. November 1822 in Genua erfolgten Tode, um welche Zeit, nach dem Rechte der Erstgeburt, der gesamte Besitz an den Sohn des Staatskanzlers, den dänischen Geheimen Konferenzrat Grafen von Hardenberg-Reventlow, kam. Dieser starb am 16. September 1840 ohne männliche Nachkommen, und die Herrschaft fiel nunmehr dem nächsten Erbberechtigten, dem Grafen Karl Adolf Christian von Hardenberg, zu.

Der Fürst-Staatskanzler war acht Jahre lang im Besitz von Neu-Hardenberg; es scheint jedoch, wenn wir diese seine letzten Lebensjahre von Monat zu Monat verfolgen, daß er nicht allzu viele Mußetage für eine Villeggiatur auf seinen Gütern fand. Nur von wenigen Fällen haben wir eine bestimmte Kunde, zum Beispiel von seinem Einzug in Quilitz, wahrscheinlich im Sommer 1816, und von der Feier seines siebzigjährigen Geburtstages am 31. Mai 1820. Über den Einzugstag leben noch einige Traditionen fort, ziemlich farblose Berichte von Triumphbogen und Eichenlaubguirlanden, von spalierbildender Jugend und plattdeutschen Empfangsgedichten – die letzteren von den zwei hübschesten Mädchen des Dorfes in ihrer wendischen Nationaltracht vorgetragen. Aber hiermit schließt die Reihe der halbverblaßten Bilder ab, die in der Tat nur durch den Quilitzer roten Friesrock ein bestimmtes Kolorit erhalten. Mehr schon wissen wir von dem siebzigsten Geburtstage, wiewohl der Fürst beschlossen hatte, ihn in Stille zu feiern. Mancher Gratulant traf ein: unter diesen Beglückwünschenden, freilich brieflich nur, auch Goethe. Die Zeilen, die er schrieb – wie wir offen gestehen müssen, etwas gezwungen und schwerverständlich waren folgende:

Wer die Körner wollte zählen,
Die dem Stundenglas entrinnen.
Würde Zeit und Ziel verfehlen,
Solchem Strome nachzusinnen.

Auch vergehn uns die Gedanken,
Wenn wir in dein Leben schauen,
Freien Geist in Erdesschranken,
Festes Handeln und Vertrauen.

So entrinnen jeder Stunde
Fügsam glückliche Geschäfte.
Segen dir von Mund zu Munde!
Neuen Mut und frische Kräfte.

Am 13. Oktober 1817 hatte die festliche Einweihung der durch Schinkel restaurierten Neu-Hardenberger Kirche statt, und das Interesse, das der Staatskanzler dieser Kirche widmete (er vermachte ihr eine Dotation und fehlte nie beim Gottesdienst), läßt darauf schließen, daß er bei dieser Einweihung zugegen war.

Auch ein anekdotenhafter Vorfall mit seinem Schwiegersohn, dem Fürsten Pückler, zeigt uns den Staatskanzler in seinem Hardenberger Schloß. Der Park hinter dem Hause war bei jedem Besuch ein Punkt freundschaftlichen Disputs zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. Das feine Auge des letztern hatte seit lange gegen die altfränkisch-steife Anlage, die damals noch vorhanden war, protestiert, und das in andrem Sinne feine Gefühl des Schwiegervaters hatte mit gleicher Beharrlichkeit die Neuerungen abgelehnt, weil diese Neuerungen gleichbedeutend waren mit Entfernung eines Dutzend der allerschönsten Bäume. Davon wollte der Staatskanzler nichts wissen; man sieht, er hatte auch seine Pietät. Der Schwiegersohn aber, als er alle Überredungskünste scheitern sah, schritt endlich auf jede Gefahr hin zu Tat und Abhülfe. Ein Kreis nächstes Freunde war bei Tisch versammelt, und in dem schon erwähnten Gartensalon aus der Prittwitz-Zeit herrschte jene Tafelheiterkeit, an der das Herz des Fürsten hing und auf deren Pflege und Hervorrufung er sich so wohl verstand. Nun war das Mahl beendet, und Wirt und Gäste traten auf die Veranda hinaus, die den Blick hat auf Wiese und Park und Monument. Der alte Fürst stand wie getroffen – das war der Park nicht mehr, dessen großen Mittelgang er noch vor Tisch in lebhaftem Geplauder durchschritten hatte. In der Tat, der Park war während der Stunden des Diners ein andrer geworden, ein solcher, wie er jetzt ist, wie er nach des Schwiegersohnes Ansicht werden mußte. Eine Allee war verschwunden, und wo ein Elsbruch war, war eine Parkwiese entstanden, an deren Ausgang das Wasser des Kanals blitzte. Der Fürst, im ersten Augenblicke sichtlich unangenehm berührt, war doch artiger Wirt und guter Schwiegervater genug, um gute Miene zum bösen Spiele zu machen, und die jetzigen Besucher mögen sich des Einfalls freuen. Wir aber entnehmen diesem kleinen Hergang abermals das Faktum einer längeren oder kürzeren Anwesenheit des Staatskanzlers auf seinem Neu-Hardenberger Schlosse.

Gleichviel indes, wie selten oder wie häufig seine Besuche stattfanden, jedenfalls war von Anfang an seine Sorgfalt diesem neuen Besitze zugewandt, und Schloß, Park, Kirche sind in ihrer jetzigen Gestalt seine Schöpfung.

Machen wir zuerst einen Rundgang durch die Zimmer des Schlosses. Wir werden hier einer reichen Anzahl von Kunstschätzen begegnen, die der Aufmerksamkeit des Besuchers wert sind. Das Schloß erinnert nach dieser Seite hin am meisten an Schloß Tegel, welches letztere freilich den Vorrang behauptet. Vielleicht wäre dies anders, wenn Neu-Hardenberg alle die Kunstschätze umschlösse, die es umschließen müßte, wenn nicht eine großmütige Laune des Staatskanzlers es darum gebracht hätte.

Es hat das folgenden Zusammenhang. Der Staatskanzler hatte bereits im Jahre 1804 – also lange bevor ihm die Herrschaft Neu-Hardenberg zufiel – das im lebusischen Kreise gelegene Gut Tempelberg käuflich an sich gebracht und daselbst ein Schloß aufgeführt, das, zu anererbtem Hardenbergschen Familienbesitz, auch noch jene Fülle von Kunstschätzen beherbergte, die der kunstliebende Fürst auf seinen Wanderungen durch Europa an sich gebracht hatte. 1)




1) Es war dies eine Fülle von Dingen. Vieles, namentlich Bilder und Stiche, hatte er in früheren Jahren in England gekauft andres rührte aus der Zeit seiner Ansbach-Bayreuther Verwaltung her. Es ist bekannt, mit welchem Eifer er die Archive jener Landesteile durchforschen ließ; von allem nahm er Abschrift. Eins der wichtigsten Resultate dieser Untersuchungen war die Auffindung der »Memoiren der Markgräfin von Bayreuth«. Ein feiner, literarisch-ästhetischer Sinn, ein Sinn für das Sammeln historischer Erinnerungsstücke oder auch bloßer Kuriositäten, begleitete ihn durchs Leben. In sehr charakteristischer Weise zeigte sich dies im Jahre 1786, unmittelbar nach dem Tode Friedrichs des Großen, als er das in Braunschweig deponierte Testament des Königs nach Berlin brachte und sich als Belohnung lediglich eines der Windspiele des großen Königs erbat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil