Abschnitt 8

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


1825 auf 1826 erweiterte er seinen Besitz durch Ankauf der benachbarten Rittergüter Lüdersdorf und Biesdorf, und dieser neue Besitz regte seinen landwirtschaftlichen Eifer noch einmal auf das lebhafteste an. Aber das Feuer war im Erlöschen. Schon das Jahr zuvor hatte er an seinen Schwager Jacobi in Celle geschrieben: »Wir haben nun bald unsere Laufbahn auf dieser Welt vollendet. Wir können vor vielen andern sagen, daß unser Leben köstlich gewesen, aber doch nur ein elend jämmerlich Ding. Mit Sehnsucht erwarten wir ein anderes; Gott erleichtere uns den Übergang in dasselbe.« Noch einige Jahre waren ihm gegönnt, aber Schmerzensjahre. Er litt an rheumatischen Beschwerden, endlich bildete sich ein schmerzhaftes Fußleiden aus, der Altersbrand. Er litt sehr. Des berühmten Dieffenbach Heilversuche schafften vorübergehend Linderung, aber die Uhr war abgelaufen: Thaer entschlief am 26. Oktober 1828.

Thaer war von mittlerer Größe, fein und schlank gebaut, in allen Teilen von gutem Verhältnis und von fester, ruhiger, immer bequemer Haltung und Bewegung. Sein Äußeres war im ganzen nichts weniger als imponierend, hatte jedoch etwas trocken Ablehnendes, so daß sich der Fremde nicht leicht auf den ersten Blick zu ihm hingezogen fühlte. Seine Züge zeigten wenig Beweglichkeit; der Mund war geschlossen, zurückgezogen, schweigsam, aber mit dem unverkennbaren Ausdruck der absichtslosesten Güte. Seine Augen waren rechte Künstleraugen, sehr bedeutend und von ungewöhnlicher Klarheit; dabei ruhig prüfend, man fühlte, daß er auch den verborgenen Fleck traf. Sein gutes, weiches Herz verriet sich leicht, auch bei geringerer zufälliger Anregung. Was man jedoch ein gefälliges Wesen nennt, war ihm sowenig eigen wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als Schriftsteller innerhalb seines Fachs gehört Thaer in den höchsten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er fand seine Stärke in der beharrlichsten Anwendung seines gesunden Verstandes und sehr ausgebildeten Scharfsinns. Daß er gleich anfangs sich einer fast allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte, verdankte er ganz vorzüglich seiner Aufrichtigkeit und Treue in Erzählung von Tatsachen und der edlen Offenherzigkeit, mit welcher er auch das erzählte, worin er sich früher geirrt hatte. Das Bewußtsein seines großen Ziels machte ihn stark, fest, beharrlich, mutig; seine Leistungen aber schienen ihm immer unzulänglich, ja selbst geringfügig gegen das, was seiner Seele vorschwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es sich bei weniger Begabten so oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Untersuchen, forschen, prüfen war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Natur geworden, und die Verse Hagedorns erschienen wie an ihn gerichtet:

Der ist beglückt, der sein darf, was er ist,
Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt;
Nie sklavisch folgt, oft selbst die Wege weiset,
Ununtersucht nichts tadelt und nichts preiset.

Sein Leben, wie er selbst schreibt, war köstlich gewesen, dennoch empfand er zuletzt die »Sehnsucht nach einem anderen«, wo kein Suchen und kein Forschen ist. Wir aber, die wir noch inmitten des Kampfes stehn, den die Erde von uns heischt, haben ihm zu danken, daß er gesucht und geforscht.

Nachdem wir bis hierher dem Manne gefolgt sind, dessen Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wenden wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt.

Moeglin, auch äußerlich genommen, ist, wenn man den Ausdruck gestatten will, » nur Thaer«, und in diesem Umstande liegt sein Reiz und seine Eigentümlichkeit. Im übrigen wirkt das ganze Dorf fast wie eine Überraschung. Etwas in der Tiefe gelegen und durch keinen Kirchturm in die Weite hin verraten, tritt man plötzlich, unter alten Bäumen hindurch, wie in ein Kamp, eine Niederlassung ein und hat hier, malerisch gruppiert, alles zusammen, was zur Bedeutung und zur Poesie des Ortes gehört.

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet ein Teich, den nach rechts hin hohe Schilfwände, nach links hin hohe Erlenbäume umfassen. Diesseits des Teichs, neben der Stelle, wo wir uns befinden, steht die alte Feldsteinkirche, von einer Linde, die nicht viel jünger sein mag als die Kirche selbst, überschattet. Jenseits des Teichs, freundlich blinkend im Schmuck eines angebauten Glashauses, steht das Wohngebäude; dahinter ein Haus von ähnlicher Größe – die ehemalige Akademie. Die Wirtschaftsgebäude, darunter die berühmte Stammschäferei, verstecken sich zum Teil hinter den hohen Bäumen, die den engen Kreis des Bildes: Teich, Kirche, Wohnhaus, Akademie, umzirken.

Persönlichkeiten, von zum Teil hervorragender Stellung in Leben oder Wissenschaft, drängten sich an dieser Stelle während der letzten funfzig Jahre, und so darf es nicht wundernehmen, daß jeder Fußbreit Erde hier seine Erinnerungen hat. Am Südrande des Teichs, der Kirche zunächst, fällt uns eine Erdpyramide auf, von Blumen überdeckt und terrassenförmig sich zuspitzend. Es ist ein Grabhügel. Unter ihm ruht Albrecht Thaer, und auf den Treppenstufen des Hügels, der mehr ein Blumengarten als ein Grab ist, blühen, den Sommer hindurch, viele Hunderte von Blumen.

Am Westrande des Teichs bemerken wir den zersplitterten Stamm eines vom Winde abgebrochenen Baumes. Das sind die Überbleibsel der »Herzogsweide«, die hier stand. Zu den ersten Freunden und Genossen Thaers, bei seiner Übersiedelung nach Moeglin, gehörte der Herzog von Holstein-Beck, damals ein Mann von nah an funfzig, ein Vertrauter des Kaisers Paul, wie er vorher ein Freund des Rheinsberger Prinzen Heinrich gewesen war. Der Herzog lebte monatelang als Moegliner Gast, und diese Weide am Teich war sein bevorzugter Aufenthalt, wo er zu sitzen und zu sinnen liebte. Es durfte wohl so sein. Die Zweige des Baumes hingen in den Teich nieder, das blaugraue Laub war doppelt schön auf einem Hintergrunde dunkler Erlen, und der an der Wurzel sieben Fuß dicke Stamm teilte sich höher hinauf in zwei Stämme. Zwischen diesen hatte der Herzog seinen Platz. Beim Abschiede schrieb er, in dankbarer Erinnerung an die hier verträumten Stunden:

Gedenket auch an dieser Stelle
Des Freundes, der hier oftmals saß
Und bei dem stillen Spiel der Welle
Die weite Welt um sich vergaß.

Es wird sein Geist euch hier umschweben,
Sein Dank an eurer Seite sein;
Hier erst erfaßt’ er wahres Leben
Und lernte, schaffend, glücklich sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil