Abschnitt 7

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


Aber die Mitte des Oktober 1806 brachte andere Ereignisse; der siegreiche Feind überschwemmte die Marken, und statt der angemeldeten einundzwanzig jungen Leute kamen drei. Im Frühjahr 1807 waren es acht. Die Zahl wuchs später, da aber, bei der völligen Zerrüttetheit aller Geldverhältnisse, viele Söhne sonst wohlhabender Eltern mit ihren Pensionen im Rückstand blieben, andere, die Aktien genommen hatten, ihre Aktienbeiträge nicht zahlen konnten, so entstanden, ohne daß von irgendwelchen Seite her eine Verschuldung vorgelegen hätte, die schwersten Verlegenheiten für Thaer, der, dem guten Sterne Preußens vertrauend, in freilich schon bedrohter Zeit, dies Institut ins Leben gerufen hatte. Sechs Jahre später, während des Befreiungskrieges, wiederholten sich diese Verlegenheiten. Alles war in den Krieg (auch Thaers drei Söhne), und so kam es, daß die Lehranstalt, die doch einmal da war, ohne Verlust weder aufgegeben noch fortgeführt werden konnte. In Not und Sorge schrieb er seiner damals abwesenden Frau: »Wollte Gott, daß ich das Institut nicht angelegt hätte, denn es ist die Quelle aller Verlegenheiten und Sorgen geworden. Aber es ist für unser Land zu wichtig, und nun es einmal da ist, muß es bleiben.« Ein Glück, daß es blieb. Mit dem Frieden kamen gesegnetere Zeiten, und wie Thaer, während des letzten Jahrzehnts, das ihm noch zu leben und zu wirken vergönnt war, seinen Ruhm wachsen und die verschiedenen Zweige seiner Wirtschaft prosperieren sah, so wuchs auch das »Institut« (seit 1819 » Königliche akademische Lehranstalt des Landbaus«) von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und Ansehn. Anfangs hatte Thaer es für das Zweckmäßigste gehalten, das Instituthaus auf den Fuß eines Gast- und Logierhauses zu setzen, damit jeder Akademiker nach Vermögen, Geschmack und Gewohnheit darin leben und zehren könne. Allein dies erwies sich bald als nachteilig für alle Teile. Nur ungern entschloß er sich endlich dazu, einen gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtisch zu halten. Die Mitglieder des Instituts waren, nach Thaers ausdrücklicher Bestimmung, nicht Studenten im gewöhnlichen Universitätssinne. Am wenigsten waren sie Schüler. Thaer äußerte sich dahin: »Schulmeister können wir nicht sein, sondern müssen unsere Zuhörer wie freie vernünftige Männer betrachten, die nur allein ein lebhafter Trieb zu den hier zu lehrenden Wissenschaften zu uns geführt. Kein Zwang. Aber freilich würd es andererseits schmerzlich für uns sein, wenn wir uns zu der sonst bewährten Maxime gezwungen sähen: ›Sumimus pecuniam et mittimus asinum in patriam.‹« – Das Institut wurde von einer ähnlichen Bedeutung für unser Land wie die »Forstakademie« in dem benachbarten Eberswalde. Die große Wirksamkeit jenes hat darin bestanden, daß mit Hülfe der darin gebildeten und später zur Selbständigkeit gelangten Männer eine höhere, umfassendere Ansicht des landwirtschaftlichen Betriebes weiter und allgemeiner verbreitet worden ist, als jemals durch Schriften hätte geschehen können. Namentlich hat es das siegreiche Vordringen der Thaerschen Prinzipien beschleunigt und, um eines speziell hervorzuheben, ein Zurückversinken der landwirtschaftlichen Sprache und Ausdrucksweise in das alte wirre Chaos unmöglich gemacht. 2)

Wir wenden uns zum Schluß noch einmal der literarischen Tätigkeit Thaers zu.

Auch in Moeglin, wie Körte sich ausdrückt, war Thaer ebenso tätig am Schreibtisch wie auf dem Ackerfeld. In den ersten zehn Jahren seines Aufenthalts in der neuen Heimat würd es ihm sogar sehr schlimm ergangen sein, wenn der Erwerb seiner Feder nicht dem stockenden Erwerbe des Pfluges zu Hülfe gekommen wäre. Mannigfaches erschien in jenen Jahren von ihm, vor allem jedoch sei hier seines Meisterwerkes gedacht, das unter dem Titel » Grundzüge der rationellen Landwirtschaft« (vier Bände) 1810 bis 1812 veröffentliche wurde. Das Werk, wie alle Welt jetzt weiß, war epochemachend. Dennoch hätte er sich schwerlich schon damals zur Herausgabe desselben verstanden, wenn nicht die pressende Not, in der er sich befand, ihm keine Wahl gelassen hätte. Er beklagte dies oft, denn wie groß die Freude gewesen war, mit der die landwirtschaftliche Welt dieses Werk begrüßt hatte, ihm selbst genügte es keineswegs. Wir können indes auf Thaer und sein berühmtes Werk anwenden, was Luther einst bei Tisch vom Melanchthon sagte: »Magister Philippus hätte Apologiam Confessionis zu Augsburg nimmermehr geschrieben, wenn er nicht wäre so getrieben und gezwungen worden; er hätte wollen es immer noch besser machen.« Die »Rationelle Landwirtschaft« hat verschiedene Auflagen erlebt und ist in verschiedene Sprachen übersetzt worden; zu einer Umarbeitung aber ist Thaer nicht gekommen, wie sehr dieselbe auch innerhalb seiner Wünsche lag. Die anderweiten Schriften seiner Moegliner Epoche, namentlich verschiedene Bücher und Broschüren über Schafzucht und Wollproduktion, übergehen wir hier. Es mögen statt dessen von ihm selbst herrührende Worte hier Platz finden, die ihn uns, bis in sein hohes Alter hinein, von einer seltenen Frische des Geistes und von einer steten Geneigtheit zeigen, das Gute durch das Bessere zu ersetzen. »Meine Meinung«, so schreibt er, »habe ich über verschiedene Dinge in meinem Leben oft geändert und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand erhält, noch mehrmals zu tun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn so komme ich in meinem Wissen vorwärts. Ich halte den für einen Toren, der in Erfahrungssachen seine Meinung zu ändern nicht geneigt ist.«

Wir werfen noch einen Blick auf die letzten Jahre seines Lebens. Nachdem er schon seit 1810 und 1811 mittelbar im Staatsdienste tätig gewesen und zum Beispiel 1813 eine Ge meinheitteilungsordnung – eine Angelegenheit, mit der er auch später praktisch viel beschäftigt war – entworfen hatte, wurd er 1819 zum Geheimen Oberregierungsrat ernannt. 1823 folgte der schon erwähnte Leipziger Wollkonvent, dem er präsidierte; das Jahr darauf (1824) feierte er unter zahlreicher Beteiligung von nah und fern sein Doktorjubiläum. Unter den vielen Geschenken und Überraschungen, die der Tag brachte, war auch ein Goethesches, eigens für diesen Tag gedichtetes Lied:

Wer müht sich wohl im Garten dort
Und mustert jedes Beet?




2) Das »Institut«, nachdem es noch im Jahre 1856 das fünfzigjährige Fest seines Bestehens gefeiert hatte, ist bald darauf eingegangen. Es war das, bei total veränderten Zeitverhältnissen, das Verständigste, was geschehen konnte. Der damalige Besitzer von Moeglin, Landesökonomierat A. Thaer, hatte die Akademie wie eine Ehrenerbschaft angetreten und hielt es, durch dreißig Jahre hin, für seine Pflicht, die Schöpfung seines Vaters, selbst mit Opfern, aufrechtzuerhalten. Es kam aber endlich die Zeit wo das Gefühl, durch ähnliche Institute, die der Staat mit reichen Mitteln ins Leben gerufen hatte, überflügelt zu sein, sich nicht länger zurückweisen ließ und wo die Wahrnehmung eines wachsenden Mißverhältnisses zwischen Aufgabe und Opfer endlich den Rat eingab, diese Opfer einzustellen. Und so wird denn der Moegliner Akademie nicht nur das Verdienst bleiben, als erstes Institut der Art und als Muster aller folgenden in Deutschland dagestanden zu haben, es wird sich zu diesem Verdienst auch noch die Ehre gesellen: zu rechter Zeit vom Schauplatz abgetreten zu sein. 773 Landwirte haben im Lauf eines halben Jahrhunderts ihre wissenschaftliche Ausbildung in Moeglin empfangen, und was die Landwirtschaft in unsren alten Provinzen jetzt ist, das ist sie zum großen Teil durch Thaer und seine Schule. Natürlich sind »die Jungen immer klüger als die Alten«, und der »überwundene Standpunkt« spielt auch hier seine Rolle. Aber selbst unter den Fortgeschrittensten wird niemand sein, der undankbar genug wäre, die schöpferische Bedeutung Thaers und mittelbar auch seiner Akademie in Zweifel zu ziehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil