Abschnitt 6

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


So kam das Jahr 1804, das unsern Thaer nach Preußen führte.

Nicht gleich in den ersten Jahren seines Moegliner Aufenthalts, vielmehr erst 1811 bis 1813, nachdem Koppe als Gehülfe und Wirtschaftsführer bei ihm eingetreten war, hatte Thaer eine Schäferei – wozu er Merinoschafe aus Sachsen erhielt – einzurichten begonnen. Es ging auch nicht von Anfang an alles vortrefflich, aber schon 1815 und 1816 wurde seine Wolle auf dem Berliner Wollmarkt für die beste erklärt. 1817 schrieb er an seine Frau: »Für mich ist der diesmalige Wollmarkt zwar nicht der pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist zwanzig Prozent geringer verkauft als im vorigen Jahre, aber um zwanzig Prozent höher, als irgendeine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproduzenten ist es ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahekomme, viel weniger ihr an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein anderer Anspruch machen kann. ›Solche Wolle‹, sagt man, ›kann man erzeugen, denn Moeglin hat sie erzeugt.‹ Wenn ich auf den Markt komme, so steht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!«

Thaer erzielte dies alles durch sein Kreuzungsprinzip und die geschickte, scharfsinnige Handhabung desselben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem sehr erfahrenen Wollhändler sagte er: »Zeigen Sie mir nur irgendein Vlies, wie Sie es zu haben wünschen, und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Generation einen Stamm herstellen, der nur solche Vliese liefert.« Man hielt dies für Übertreibung, überzeugte sich aber bald, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollproduktion wie dem berühmten englischen Viehzüchter Backwell mit der Fleischproduktion, der Schafe herstellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, so daß er sich veranlaßt sah, allmählich wieder Schafe mit längeren Beinen zu machen. Man sagte von ihm: »es sei, als ob er sich ein Schaf nach seinem Ideale schnitzen und demselben dann das Leben geben könne«. Dies paßte auf Thaer so gut wie auf Backwell.

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaersche Züchtungsverfahren, das geniale Operieren mit der Natur, auch Gegner fand. Diese warfen ihm vor, daß er, bei seiner Art und Weise der Züchtung, die Natur schließlich dahin zwinge, wohin sie nicht wolle, und daß er sie dadurch schwächen und ermüden werde. Denn die Kunst, wie groß auch, werde nie die natürlichen Anlagen ersetzen können. Er rechtfertigte sich mit Shakespeares tiefgeschöpfter Lehre (»Wintermärchen« IV, 3):

Doch wird Natur durch keine Art gebessert,
Schafft nicht Natur die Art. So, ob der Kunst,
Die, wie du sagst, Natur bestreitet, gibt es
Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen.
Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen
Den edlern Sproß dem allerwildsten Stamm;
Befruchten so die Rinde schlechtrer Art
Durch Knospen edler Frucht: Dies ist ‘ne Kunst,
Die die Natur verbessert, mindstens ändert:
Doch diese Kunst ist selbst Natur.

Thaer erfuhr Angriffe, aber sie waren vereinzelt, und speziell auf dem Gebiete der Schafzucht ward er mehr und mehr eine europäische Autorität. Bei Errichtung (1816) der beiden auf Rechnung des Staates gegründeten Stammschäfereien zu Frankenfelde in der Mark und zu Panten in Schlesien wurde Thaer zum Generalintendanten derselben ernannt, und 1823, als auf seine Veranlassung in Leipzig der erste »Wollzüchterkonvent« zusammentraf, huldigte man ihm nicht nur als dem Präsidenten, sondern speziell auch als dem Meister der Versammlung.

Aber der Weg zu diesen Erfolgen war ein weiter und mühevoller. Unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen waren ihm die ersten Jahre seiner Moegliner Wirtschaftsführung vergangen. Zu den Sorgen und Fehlschlägen, die, namentlich nach dem unglücklichen Kriege von 1806, alle damaligen Grundbesitzer trafen, gesellten sich für ihn noch ganz besondere Schwierigkeiten: sein relatives Fremdsein in der neuen Heimat und – das »Institut«.

Die Herstellung einer landwirtschaftlichen Lehranstalt war, wie bereits erwähnt, bei Thaers Übersiedelung nach Moeglin allerdings in Erwägung gezogen, aber von seiten der preußischen Regierung mehr als ein Anspruch, den Thaer erheben könne, wie als eine Pflicht, die er zu erfüllen habe, angesehen worden. Thaer ging indes sofort an die Errichtung eines »Instituts«, ähnlich dem, das er in Celle geleitet hatte. Und in der Tat, alles ließ sich vielversprechend an. Schon im Jahre 1805 traf er Vorbereitungen zum Bau eines Instituthauses; da es jedoch an den erforderlichen Mitteln gebrach, so machte er den Plan, den Bau auf Aktien zu unternehmen. Von allen Seiten kamen Zuschriften; schon im Juli 1806 konnte er bekanntmachen, daß die Unterzeichnung nunmehr geschlossen sei. Ziemlich um dieselbe Zeit berichtete Thaer dem König, »daß die Eröffnung des Moegliner Instituts in der Mitte Oktober erfolgen werde«. Und wirklich, das Wohnhaus mit vierundzwanzig Zimmern, außer dem Souterrain, stand fertig da; einundzwanzig junge Leute hatten sich zum Eintritt gemeldet; alles versprach einen glänzenden Anfang.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil