Abschnitt 3

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


So ging es eine Weile. Aber wie ihm das Blumenbeet zu beschränkt geworden war, so wurd ihm jetzt der Garten, trotz seiner relativen Größe, zu klein. Er kaufte deshalb in kurzer Zeit noch so viele Ländereien hinzu, daß alles zusammen eine zwar bescheidene, aber ziemlich anständige Wirtschaft ausmachen konnte. Diese Wirtschaft lag nur eine Viertelstunde vor dem Tore, zog sich am Aller-Fluß entlang und umfaßte ohngefähr 110 Morgen unterm Pfluge und 18 Morgen natürliche Wiesen. Da er kein Wirtschaftsgebäude vorfand, so entwarf er einen Plan zu einem »Gehöft« und ließ Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude nach seinem eigenen Plane aufführen. Er hatte dabei überall nur das Zweckmäßige, nirgends die Eleganz im Auge und verfuhr ganz nach der Regel des M. P. Cato: »Baue dein Gehöft so, daß es weder den Gebäuden an Ländereien noch den Ländereien an Gebäuden fehlt.« Der Boden bestand aus Lehm und Sand; drei Arbeitspferde und vierzehn Kühe wurden angeschafft und zwei Knechte und zwei Mägde in Dienst genommen.

So war Thaer, nachdem er die Stadien des Blumisten und Gärtners durchgemacht hatte, zum Landwirt geworden. Er blieb noch Arzt, sogar ein vielbeschäftigter, vielfach ausgezeichneter (1786 ward er zum Leibarzt des Königs Georg III. ernannt), aber sein Herz, sein Sinnen und Trachten gehörte der »Wirtschaft« draußen, und die Sommermonate pflegte er, samt seiner Familie, auf dem »Gute« zu wohnen. Sein Leben war ein sehr angestrengtes; die Frühstunden von vier bis sieben und der Spätabend gehörten seinen landwirtschaftlichen Studien, der Tag seinem ärztlichen Beruf. Nur die Passion half über alles hinweg.

Es lag ihm zunächst daran, seiner Umgebung augenscheinlich darzutun, daß es einen Ackerbau gebe, der vollkommener und ergiebiger sei als der, welchen man im Celleschen Felde betreibe. Er wollte durch sein eignes Beispiel zeigen, wie man den Ackerbau, mit höchstem Unrecht, nur als ein Handwerk, ja oft noch geringer ansehe, in der Meinung, daß weniger Kunst dazu gehöre, einen Acker zu bestellen als einen Schuh zu machen. Er wollte die Betreibung dieses wichtigen, verwickelten, dieses unerschöpflich künstlichen Gewerbes zu wohlverdienten Ehren bringen. Er stellte sich bei seiner kleinen Wirtschaft einen doppelten Zweck: den zum Teil widerstrebenden Boden in eine möglichst hohe Kulturstufe zu heben und vor allem eine Experimentalwirtschaft zu seiner eignen Belehrung und Förderung zur Hand zu haben.

Selbstdenkend, aber auch Rat nicht verschmähend, wie gute Bücher oder bewährte Landwirte ihn boten, ging er ans Werk. Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als jetzt, sich in dem Satze gefiel: »Ein günstiger Regen ist besser als alles Geschreibse der Federfuchser«, und zu seinen Lieblingssätzen gehörte der Ausspruch Zimmermanns: »Ein Trommelschläger, der in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte.« Gegen die Trommelschläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer jetzt zu Felde; auch seine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt haben, daß es mit der »Erfahrung« untergeordneter Naturen ein eigen Ding sei und daß sie nur da belehre, wo eine Neigung vorhanden sei, sich belehren zu lassen. Wo diese Neigung fehlt, glauben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber nie an Fehler des Systems.

Thaer begann, die Anfänge einer rationellen Landwirtschaft in seinem Kopfe allmählich auszuarbeiten, und fing mit der Aufstellung gewisser Probleme an. Das erste Problem, dessen Lösung er zustrebte, war folgendes:

die größte Masse zur tierischen Nahrung geeigneter Pflanzen auf einer bestimmten Fläche Landes zu gewinnen.

Das zweite, nicht minder wichtige Problem bestand darin:

die verschiedenen Frucht kräfte jedes Bodens für die verschiedenen, dieser Fruchtkräfte bedürftigen Frucht arten soviel als möglich und in einer der Regeneration des Absorbierten günstigen Wechselfolge zu benutzen. Also die Brache entbehrlich zu machen.

Die Lösung des ersten Problems fand er im Anbau der Futtergewächse, ganz besonders der Kartoffel, die Lösung des zweiten Problems in der seitdem siegreich durchgedrungenen »Lehre von der Fruchtfolge«.

Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und widerlegte alte Vorurteile. Er wies darauf hin, daß die Irländer die stärksten und ältesten Kartoffelesser und zugleich, unter allen europäischen Racen, vielleicht die gesundeste, kräftigste und schönste seien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf diesem Gebiete freundlich bekämpfte, antwortete er in späteren Jahren: »Der Herr Graf ist mein sehr verehrter Freund, aber der Kartoffelbau ist mein Kind.«

Seine Lehre von der »Fruchtfolge« stieß anfangs auf vielen Widerspruch, und da er seine eigenen Felder danach bestellte, prophezeite man ihm, daß seine Äcker nach vier Jahren völlig ausgezogen sein würden. Thaer ließ sich das nicht anfechten. Schon Friedrich der Große hatte sich seinerzeit für ein rationelles, aber konstantes Tragen der Felder ausgesprochen und den Widerspruch mit den Worten zurückgewiesen: »Seh Er doch nur sein Gartenbeet an, wie das alljährlich trägt.« Thaer war gewillt, die treffende Bemerkung des Königs sich selber gesagt sein zu lassen. Er überzeugte sich alsbald, daß der Acker nicht dadurch ausgezogen wird, daß man ihn alljährlich tragen läßt, sondern dadurch, daß man ihn nicht das tragen läßt, was er zur Wiederherstellung seiner Kräfte bedarf. Es führte das später zu dem Axiom, daß den Acker, wie den Menschen, nichts so sehr entnerve und aussauge als das Nichtstun, das Nichttragen. Aber auf das richtige, das ihm passende Tragen kommt es an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil