Abschnitt 4

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


Das System des Fruchtwechsels, das, um es zu wiederholen, die Brache entbehrlich machte, trat nunmehr siegreich ins Leben, wiewohl zunächst nur mangelhaft und weitab von dem Grade von Vollkommenheit, dem es später entgegenging. Thaer überzeugte sich alsbald, daß es mit dem bloßen Saat- und Fruchtwechsel an und für sich nicht getan sei, daß vielmehr eine genaue Kenntnis des Bodens vorausgehen müsse, um die für eine bestimmte Örtlichkeit jedesmal vorteilhafteste Produktion von vornherein feststellen zu können. Wenn mancher Landwirt immerfort klagte, »daß sein Lein fast alljährlich mißrate«, so lachte Thaer, daß der Betreffende, ohne alle Not, unverbesserlich darauf aus sei, seinen Lein selber bauen zu wollen, und setzte hinzu: »Ein Landwirt, der alles baut, was er braucht, ist ein Schneider, der sich seine Schuhe selber macht.« Thaer verlangte von jedem Boden etwas, aber er verlangte nicht alles von allem. Wo kein Lein wachsen wollte, da gab er es auf, einen kümmerlichen Ertrag desselben zu erzwingen, und den Boden genau untersuchend, der eine Leinernte verweigerte, stellte er nunmehr fest: auf einem Boden von der und der Beschaffenheit hat sich der Fruchtwechsel in dem und dem Kreise zu drehen, unter Ausschluß von Lein. Glücklicherweise begann eben damals die Wissenschaft, welche ganz besonders zur Bodenkenntnis hinführt, die Chemie, sich zu jener Stufe hoher Ausbildung zu erheben, auf der wir sie jetzt erblicken. Thaer widmete ihr die größte Aufmerksamkeit, und die chemische Zusammensetzung der verschiedensten Bodenarten mit ihrer speziellen Tragfähigkeit oder Unfähigkeit vergleichend, glückte es ihm, seine speziellen Erfahrungen zu allgemeinen Gesetzen zu erheben. Die Frucht aller dieser seiner Anstrengungen war, daß er auch seine schlechtesten Felder nutzbar zu machen wußte und jeden Boden, nach Verhältnis seiner Güte und seines Wertes, bei kluger Bewirtschaftung für einträglich erklärte.

In einzelnen Kreisen, wenn auch nicht gerade in nächster Nähe von Celle, begann die kleine Thaersche Wirtschaft Aufmerksamkeit zu erregen, Besucher kamen, Briefe wurden ausgetauscht, Anregungen gegeben und empfangen. Es ist aber trotz alledem mindestens zweifelhaft, ob Thaer jemals aus seinem engsten Kreise herausgetreten und epochemachend für die Landwirtschaft geworden wäre, wenn sich nicht zu seiner praktischen Tätigkeit eine emsige Beschäftigung mit den Büchern und, als letzte Frucht praktischer Erfahrung und wissenschaftlichen Studiums, ein literarisches Auftreten geselle hätte.

Die deutsche landwirtschaftliche Literatur, die er in all ihren Erscheinungen kannte, hatte ihn im einzelnen angeregt und belehrt, im ganzen aber unbefriedigt gelassen. Dasselbe galt von den englischen landwirtschaftlichen Schriften, soweit er dieselben aus Übersetzungen kennengelernt hatte. Er schloß sich dem Spott derer an, die damals von einer »Anglomanie« zu sprechen begannen, und war – etwa gegen Anfang der Achtziger Jahre – der festen Überzeugung, daß auch aus England nichts zu holen sei und daß die deutsche Landwirtschaft sich selber helfen müsse.

Genau um diese Zeit war es, als ein Ohngefähr ihm einige landwirtschaftliche Schriften im englischen Original zuführte. Wie war er freudig überrascht, darin die genauesten Beobachtungen, die sorgfältigsten Versuche, die lichtvollsten Verhandlungen und Forschungen zu finden! Das war ja genau, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirtschaft vorgeschwebt hatte. Alles, wonach sein Streben ging – die Engländer hatten es bereits. Seitdem studierte Thaer die englische Landwirtschaft mit solcher Aufmerksamkeit, daß die Engländer selbst ihm zugestanden: er kenne ihr Land, wie wenn er es jahrelang durchreist habe.

Die Frucht dieser ernsten und anhaltenden Studien war sein berühmtes Werk, dessen erster Teil 1798 unter dem Titel erschien: » Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft und ihrer neueren praktischen und theoretischen Fortschritte, in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirtschaft für denkende Landwirte und Kameralisten«. 1) Der zweite Band folgte 1800 und 1801, der dritte Band 1804. In derselben Zeit, von 1799 bis 1804, erschienen die » Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft«. Sechs Jahrgänge.

Das Aufsehen, das diese Bücher und Schriften machten, war ein ganz außerordentliches. Man begreift diesen Erfolg nur, wenn man im Auge behält, daß sich ganz Deutschland eben damals nach einem besseren Ackerbausystem sehnte. »Wie ein leitendes Gestirn erschienen diese Werke am Horizont, freudig begrüßt von der landwirtschaftlichen Welt.« Nicht nur in Schriften, sondern auch in den Salons der Residenzen und in den Wein- und Bierstuben der Marktstädte wurde mit Enthusiasmus dafür, mit Wut dagegen gestritten, oft von beiden Seiten gleich unverständig. Seine eigenen Erfolge, die von Jahr zu Jahr wuchsen, unterstützten sein Ansehn, so daß ihm ein großer hannöverscher Grundbesitzer schrieb: »Wenn ich diesen Abend einen Brief von Ihnen erhalte, daß ich meine Gebäude anstecken soll, so stehen sie vor Nacht schon in Flammen.« Alles verlangte seinen Rat, erbat seine oberste Leitung, so daß demselben Manne (dazu noch immer »Leibmedikus«), dessen eigenes Gutsareal sich auf kaum 130 Morgen belief, 100 000 Morgen des verschiedensten Bodens derart zur Verfügung standen, daß er, in Ansehung der Bewirtschaftung, damit schalten und walten konnte wie mit seinem Eigentum. Sein Buch aber gewährte ihm vor allem die Befriedigung: »das Nachdenken besserer Köpfe über Landwirtschaft geweckt und zu energischerer Tätigkeit angespornt zu haben«.

Im Jahre 1802 traten auch die Anfänge seiner » landwirtschaftlichen Akademie« ins Leben. Diese Akademie erwuchs organisch zwangslos; sie machte sich von selbst und ging mehr aus einem glücklichen Ohngefähr als aus einem festen Entschluß hervor, wiewohl Thaer in seinen Schriften bereits auf das Wünschenswerte eines landwirtschaftlichen Lehrinstituts hingewiesen und seine Ideen darüber geäußert hatte. Im genannten Jahre kamen mehrere junge Männer, darunter der später durch sein Buch »Der isolierte Staat« so berühmt gewordene Herr von Thünen, nach Celle, um an Ort und Stelle die Methode und die Erfolge der Thaerschen Bestellungsart kennenzulernen. Sie blieben den ganzen Sommer über. Um diese jungen Leute nicht unbeschäftigt zu lassen, entschloß sich Thaer, ihnen Vorlesungen über Landwirtschaft zu halten und einigen Unterricht in der Naturkunde, Chemie und Botanik hinzuzufügen. Der Fleiß und Eifer, womit man ihm entgegenkam, übertrafen seine Erwartung, aus den zwanglosen Vorlesungen wurde ein »Institut«, das im kleinen bereits all die Züge der erst mehrere Jahre später ins Leben tretenden Moegliner Akademie besaß.




1) Dies Werk »Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft« ist allerdings teilweis eine Kompilation, aber es ist keine Übersetzung. Thaers Arbeit ist aus der gründlichen Kenntnis und Benutzung von mehr als hundert englischen Werken hervorgegangen. Die englische landwirtschaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle von Details; das Zusammenfassen, Ordnen, Aufbauen, das Licht-Hineintragen in das Chaos, ist Thaers Verdienst.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil