Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


Aus dieser Zeit studentischen Zusammenlebens mit Leisewitz datieren aber noch andere Arbeiten Thaers, die ihn uns nicht nur auf kritischem, sondern auch auf produktivem Gebiete zeigen, freilich auf einem der Kritik verwandten, auf dem der philosophisch-theologischen Untersuchung. Thaer selbst schreibt über diese später in etwas veränderter Gestalt so berühmt gewordene Arbeit: »Ich erschuf mir damals – gleich wenig mit den Orthodoxen wie mit den neuern sogenannten ›Berliner Theologen‹ einverstanden – ein selbständiges religionsphilosophisches System und brachte es flüchtig zu Papier. Es ward wider meinen Willen abgeschrieben, fiel in die Hände eines großen Mannes, der den Stil etwas umänderte und einen Teil davon, als Fragment eines unbekannten Verfassers, herausgab. Bis jetzt wissen es nur drei lebende Menschen, daß ich der Urheber bin.« In diesen Worten Thaers wird weder Lessing genannt noch mit Bestimmtheit angegeben, welches der »Fragmente eines Wolfenbüttelschen Unbekannten« Thaer für sich in Anspruch nimmt; es ist aber nach den scharfsichtigen und sehr eingehenden Untersuchungen W. Körtes, des Thaerschen Anverwandten und Biographen, sehr wahrscheinlich, daß die kleine, bis dahin Lessing zugeschriebene Schrift »Über die Erziehung des Menschengeschlechts« eine Jugendarbeit Albrecht Thaers ist, die, von Leisewitz an Lessing übergeben, von diesem teils überarbeitet, teils fortgesetzt wurde.

Fast gleichzeitig mit diesem Aufsatze schrieb Thaer seine Doktordissertation. Sie erschien 1774 zu Göttingen unter dem Titel: »De actione systematis nervosi in febribus«. Bald darauf kehrte er in seine Vaterstadt Celle zurück, um sich daselbst als praktischer Arzt niederzulassen.

Hier hatte er zunächst durch eine harte Schule zu gehen. Weder gefiel die Stadt ihm noch er der Stadt. Ihm erschien alles klein, beschränkt, krähwinklig; er erschien allen eitel und eingebildet. Seine Jugend und das noch Unentwickelte seiner Erscheinung ließen ihn, bei den Ansprüchen, die er erhob, fast in komischem Lichte erscheinen, und an die Stelle der Auszeichnungen, die ihm in Göttingen so reich zuteil geworden waren, traten nun Kränkungen. Der Prophet galt nichts in der Heimat.

Jahre vergingen in Unmut und Unbefriedigtheit, aber seine bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich siegreich durch, und vor Ablauf von fünf oder sechs Jahren sah er sich, als der bedeutendste Arzt in Celle, hochgeehrt und von allen gesucht. Sein alter Vater, der noch weiter praktizierte, fand einst Gelegenheit, sich von dem wachsenden Ruhme des Sohnes zu überzeugen. Jener nämlich begegnete, als er eben seine Krankenbesuche beginnen wollte, einem Bauer auf der Treppe, und folgendes Zwiegespräch griff Platz:

»Zu wem will Er?«

»Is woll de Doktor Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht em spräken.«

»Ich bin der Doktor Thaer.«

»Ja, he is de olle; ick will abersch den jungschen spräken, de is klöger.«

Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn seinen Triumph.

Um diese Zeit etwa hatte Thaer auch in Gemeinschaft mit Leisewitz seine erste Reise nach Berlin gemacht und Spalding, Mendelssohn, Engel, Nicolai, Madame Bamberger (»eine Frau, die über die abstraktesten Materien der Philosophie rosenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß«) kennengelernt. Es war von einer Übersiedelung nach Berlin die Rede, aber es zerschlug sich wieder. Bald nach seiner Rückkehr nach Celle lernte er Philippine von Willich, eine Tochter des Vizepräsidenten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm von Willich, kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte, sie von einer schweren Krankheit wiederherzustellen, erfolgte 1785 die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jungen Paares. Thaer war damals Stadtphysikus und Hofmedikus und genoß eines großen ärztlichen Ansehens.

Aber sein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in seiner Dissertation die Heilkunst als das Herrlichste, Angenehmste, ja, innerhalb aller menschlichen Bestrebungen Nützlichste gepriesen; je mehr er jedoch fortschritt, desto zweifelhafter erschien ihm der Anspruch auf das Lob, das er gespendet, und desto mehr beschlich ihn die Vorstellung, daß eine andere, segensreichere Kunst dasein müsse, herrlicher, nützlicher, heilender als die Heilkunst. Nach dieser Kunst begann sein Herz zu suchen. Er fand sie. Aber erst allmählich und von Stufe zu Stufe.

Als diese schönste, segensreichste Heilkunst erschien ihm der Ackerbau. Ihrem Dienste beschloß er sich zu widmen. Von kleinen Anfängen ging er aus.

Er hatte sich in Celle ein geräumiges Haus mit einem sehr großen Hofraum gekauft, welchen er zu einem kleinen Garten benutzte. Er wandte sich alsbald mit Vorliebe der Blumenzucht zu und bezeigte ein besonderes Geschick und eine glückliche Hand im Variieren von Nelken und Aurikeln. Es sprach sich hierin schon dieselbe Neigung für das »Prinzip der Kreuzung« aus, das er später, innerhalb der Tierwelt, so glänzend durchführte.

Der kleine Raum hinterm Hause genügte dem »Hofmedikus« bald nicht mehr; er kaufte einen größeren, vor dem Tore gelegenen Garten mit einem daranstoßenden Kamp von meist dürrem Flugsandboden, aber mit schönen Gruppen alter Eichen und Buchen besetzt. Garten und Kamp umfaßten sechzehn Morgen, und der Bebauung und Verschönerung dieses Fleckchens Erde waren von nun an alle seine Mußestunden gewidmet. Akazien, Lärchenbäume, Pappeln wurden gepflanzt; Weißdorn- und Buchenhecken zogen sich als lebendiger Zaun um die Anlage, Rasenflächen wurden geschaffen und Obstbaumplantagen angelegt. Dazwischen Fruchtsträucher aller Art. Gartenbau trat an die Stelle der Pflege von Nelken und Aurikeln – aus dem Blumisten war ein Gärtner geworden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil