Abschnitt 1

Der Oderbruch und seine Umgebung


Moeglin


            Das Kleine blieb,
            Das Große ist vergessen.
            Die Zeit verfließt, wohl hundert Jahr
            Verflossen unterdessen.

Etwa eine halbe Meile vom Westrande des Oderbruchs entfernt liegt Moeglin, ein nur zwölf Häuser zählendes, weder durch Größe noch Bodenbeschaffenheit ausgezeichnetes Dorf, dem nichtsdestoweniger der Ruhm zufiel, in alter und neuer Zeit unter den historischen Dörfern des Landes genannt zu werden.

Drei Jahrhunderte lang lebten hier die im Ober-Barnim reichbegüterten Barfuse. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts scheint die Mehrzahl aller Rittergüter des Kreises in Händen der Barfuse gewesen zu sein, da es heißt daß auf einem 1720 abgehaltenen Kreistage nur zwei Stimmen nicht barfusisch gewesen seien. Diese zwei waren: von Jena und von Pfuel, die sich, wie wir das noch in dem Kapitel » Predikow« hervorheben werden, in zwei Linien teilten, in die Barfuse von Predikow und in die Barfuse von Moeglin. Der berühmteste Barfus (Hans Albrecht von B.; Feldmarschall unter König Friedrich I.) war ein Moegliner Barfus; er verließ aber früh sein väterliches Gut, kehrte nie wieder dahin zurück und ist deshalb der Erinnerung des Dorfes verlorengegangen.

Aber von einem unberühmten Barfus geht noch die Sage daselbst. Das macht, der lokale Vorfall ist immer siegreich über das historische Ereignis; das Allgemeine verblaßt, das Besondere gewinnt an Kraft.

Dieser einzige Barfus, von dem Moeglin und seine Bewohner noch wissen, ist Dietlof von Barfus. Sie wissen von ihm, daß er reich war, daß er vierzig Dörfer besaß und daß er in einer Winternacht, als er zu Schlitten von Wriezen kam, seinen plötzlichen Tod fand. Es war Schneetreiben, nicht Weg, nicht Steg erkennbar. Durch die nächtliche Öde hin, immer gradaus, dem Instinkt der Pferde das Beste überlassend, so ging die Fahrt. Schon waren sie dicht am Dorf, da, auf einem überschneiten und nur mit dünnem Eis bedeckten Sumpfloch, brach der Schlitten ein, und alles ging in die Tiefe.

Die kleine Feldsteinkirche (ohne Turm) ist aus der ersten christlichen Zeit und stand hier um vieles früher, als die Barfuse nach Moeglin kamen. In der Kirche selbst aber, aus verhältnismäßig später Zeit, hängt ein Wappenschild des alten Geschlechts, schmucklos, grün und rot übermalt und mit der Umschrift: »Alexander von Barfus, geboren 1580, den 11. Decembris, gestorben den 19. Decembris 1647.« Wahrscheinlich ein Onkel, vielleicht auch der Großvater Hans Albrechts.

Die Pfuels, die Moeglin in ältester Zeit besaßen, hatten es hundert Jahre, die Barfuse dreihundert inne. Dazwischen lag ein Interregnum, das zwanzig oder dreißig Jahre gedauert haben mag und von dem wir, mit Hülfe des Schloßregisters von 1450, nur erfahren, » daß in Moeglin ein Schäfer war«. Das klingt wie eine Verheißung für die Zukunft, und der Schäfer von 1450 erscheint uns fast wie der Schatten, den Albrecht Thaer, »der Moegliner Schäfer par excellence«, durch vier Jahrhunderte rückwärts wirft. Ihm, der dem Namen »Moeglin« zu einem weit über die Grenzen unseres Landes hinausgehenden Ruhme verholfen hat, wenden wir uns nunmehr ausführlicher zu.

Albrecht Daniel Thaer

            Ehre jedem Heldentume,
            Dreimal Ehre deinem Ruhme,
            Aller Taten beste Tat
            Ist: Keime pflanzen für künftige Saat.

Albrecht Daniel Thaer wurde am 14. Mai 1752 zu Celle geboren. Sein Vater, Hofmedikus ebendaselbst, stammte aus Liebenwerda in Sachsen; seine Mutter war die Tochter des Landrentmeisters Saffe zu Celle. Seine ersten Studien machte Albrecht Thaer auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, aber er verfuhr dabei in so unregelmäßiger Art und Weise, daß er, um ihn selbst zu zitieren, »im sechzehnten Jahre französisch und englisch sprechen konnte, aber kein Wort lateinisch verstand«. Die Lehrer ließen es eben gehen. Endlich entdeckte er sich dem Rektor des Gymnasiums, nahm Privatstunden und holte in einem einzigen Jahre alles Versäumte so völlig nach, daß er, abermals ein Jahr später, imstande war, nach Göttingen zur Universität abzugehen.

Sein ganzes Wesen damals, im Gegensatz zu seinen reiferen Jahren, war genialisch und exzentrisch; er hatte etwas Wunderkindartiges an Gaben wie an Unarten. Mit großem Eifer wandt er sich der Medizin zu und schien namentlich bestimmt, in der Chirurgie Bedeutendes zu leisten. Er verweilte tagelang, das Seziermesser in der Hand, auf dem anatomischen Saal, sah aber bei der ersten Operation, der er beiwohnte, daß er seltsamerweise wohl zum Anatomen am leblosen, aber nie und nimmer zum Chirurgen am lebendigen Organismus bestimmt sein könne, denn er fiel in Ohnmacht – eine Erscheinung, die sich wiederholte, sooft er den Versuch machte, die angebotene Scheu zu überwinden. Er wählte nun Pathologie, hörte Collegia bei den berühmten Professoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz besonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz seiner noch knabenhaften Erscheinung, ein solches Ansehen bei alt und jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rate gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbstgefühl, auch eine besondere Position, eine Art Mittelstellung zwischen Lehrern und Schülern.

Den eigentlich studentischen Kreisen, namentlich seinen speziellen Fachgenossen, wurd er immer fremder, und nur Bücher, philosophische Studien und philosophische Freunde schienen ihm eines vertrauteren Umgangs wert. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leisewitz, der Dichter des »Julius von Tarent«, den ersten Rang ein. Thaer selbst schreibt darüber: »Unsere Seelen waren in beständigem Einklang, fast hatten wir nur ein Herz.« Ihre Freundschaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Interessen und Bestrebungen, und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden ersten Versuchen, die noch in seine Schulzeit fielen, die dichterische Produktion nicht als sein eigentliches Feld erkannt hatte, so war er doch, neben philosophischem Scharfblick, mit so viel ästhetischer Fühlung ausgerüstet, daß er dem dichterisch produktiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit- und nebeneinander; auch nachdem beide Göttingen verlassen (1774), bestand ihr Freundschaftsverhältnis fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß sehr lebhaften Korrespondenz zwischen den beiden, noch jetzt existieren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leisewitz dem kritischen Freunde auf seine Arbeiten gestattete. Einer dieser aufbewahrten Briefe enthält eine sehr eingehende Kritik des »Julius von Tarent«, und ein aufmerksames Verfolgen des berühmten Trauerspiels in seiner gegenwärtigen Gestalt zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivierten Bemerkungen Thaers von dem Freunde und Dichter benutzt worden sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil