Abschnitt 4

Der Oderbruch und seine Umgebung


Kunersdorf


Graf und Gräfin Itzenplitz
1803–1848


An Hitzig, Kunersdorf, Juni 1813:

»Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit meinem Gärtner botanisieren, vergleiche meine Kataloge, korrigiere die französischen Aufsätze der jungen Leute, unterweise sie etwas in der Botanik... Das war ein schwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie klingt doch so seltsam mit einem Male in mir das Wort Fouqués:

Im Mai, im Mai, im jüngsten Mai,
Wo alles Leben sonst geht auf,
Da ist des jungen Helden Lauf
Ganz wider Blumenart vorbei.

O Gott, möchte er es nicht von sich selber gesungen haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sünden; aber es ist wahr:

Das ist die schwere Zeit der Not,
Das ist die Not der schweren Zeit,
Das ist die schwere Not der Zeit,
Das ist die Zeit der schweren Not.

Da hast Du ein Thema.«

An Hitzig (Kunersdorf; wahrscheinlich im September):

»... Du hast nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute abend, wenn Du Zeit hast. Wenn sie neugierig wird zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergangen, und besonders, wer der Mann im grauen Kleide war, so schick mir gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran schreibe – wo nicht, so weiß ich schon, was die Glocke geschlagen hat. Vom dritten Kapitel ist das erst der Anfang; dies und das folgende sind mir sehr beschwerlich – es stehen die Ochsen am Berge.«

An Hitzig (Kunersdorf, Spätherbst 1813):

»Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Kunersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft schreibst. Es ist eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage der Postbote einläuft und die Austeilung der Briefe im Salon geschieht und für einen jeden etwas da ist und für den Herrn von Chamisso – nischt niche!

... Ich kratze immer an meinem ›Schlagschatten‹, und, wenn ich’s Dir gestehen muß, lache und fürchte ich mich manchmal darüber, sowie ich daran schreibe – wenn die andern nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes viertes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, gestern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geschnitten und heute abgeschrieben. Es ist auch schon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Prosa-Schreiben wird mir ungeheuer sauer, mein Brouillon sieht toller aus als alle Verse, die ich je gemacht.«

Bald nach diesem Briefe scheint Chamisso nach Berlin zurückgekehrt zu sein. Es wird zwar in Kunersdorf erzählt, er habe sich zunächst nach Nennhausen hin, zu Fouqué, auf den Weg gemacht, um diesem seinen »Schlemihl« vorzulesen; es liegen aber doch wohl Monate dazwischen, da, wie wir aus dem letztzitierten Briefe ersehen, bis etwa Mitte Oktober erst vier Kapitel von elf beendigt waren. Übrigens stand Fouqué damals auch wohl im Felde.

So waren die Erlebnisse von Schloß Kunersdorf, so waren die Personen, die, während eines halben Jahrhunderts und darüber, dort kamen und gingen.

Wir durchschreiten jetzt zunächst die Zimmer und Säle des Erdgeschosses und verweilen vor älteren und neueren Familienportraits von zum Teil künstlerischem Interesse. Die Aufzeichnung dieser Bilder aber für eine andere Gelegenheit vertagend, wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk gelegenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächst den Bildnissen derer begegnen, die einst Freunde des Kunersdorfer Hauses waren: Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil etc. Was aber unser Interesse lebhafter in Anspruch nimmt, das ist ein großer pultartiger Schrank, der in seinen verschiedenen Kästen und Fächern alles das umschließt, was sich auf den Generalmajor von Lestwitz bezieht. Das ganze Arrangement erinnert mehr oder weniger an die großen Glaskästen, in denen man in England (im Britischen Museum, im Greenwich-Hospital, in Abbotsford etc.) allerhand Erinnerungsstücke an historische Persönlichkeiten, zum Beispiel an Nelson, Walter Scott oder Sir John Franklin, auszustellen pflegt. Auch unsere »Kunstkammer« hat ähnliches.

In diesem Lestwitz-Schranke, dessen oberer Teil aus ebensolchem Glaskasten besteht, befinden sich folgende Gegenstände:

1. Die beiden Degen des Generalmajors von Lestwitz, jeder mit drahtumsponnenem Griff und einfacher Lederscheide.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil