Abschnitt 3

Der Oderbruch und seine Umgebung


Kunersdorf


Graf und Gräfin Itzenplitz
1803–1848


Aber wenn man im Oderbruch und speziell in Kunersdorf dieser schweren Kavallerie nicht vergaß, so vergaß auch diese nicht, wie »fette Weide« sie hier gefunden hatte. Im Januar 1813 kamen Quartiermacher durch das Dorf und gaben Zettel im Schloß und auf dem Schulzenamt ab, in denen die nahe Ankunft der »Nansoutyschen« und ihrer Anverwandten (nunmehr, wenn wir nicht irren, unter dem Oberbefehl des General Sebastiani) fast wie ein bevorstehendes freudiges Ereignis angekündigt wurde. Aber ob nun diese nachrückenden Reiter, die meist keine Reiter mehr waren, eine andere Route nahmen oder ob diese Zettel einzig und allein den Zweck verfolgten, die Gegenden, durch die man kam, immer noch an das Vorhandensein einer Grande armée glauben machen zu wollen, gleichviel, die schwere Kavallerie kam nicht. Wer kam, das waren andere.

Am 18. Februar, als man es mit gutem Grunde längst aufgegeben hatte, die Nansoutyschen wiederzusehn, hielten plötzlich, unvermutet und unangemeldet, struppige Pferde vor jedem Ausgange des Dorfes, und auf den kleinen abgetriebenen Gäulen saßen seltsame Leute mit Pelzmützen und Piken, wie sie seit den Tagen von Zorndorf und Schlachten-Kunersdorf in diesen Gegenden nicht mehr gesehen worden waren. Es waren Kosaken.

Damit hatte es folgenden Zusammenhang. General Tschernyschew, der Führer der russischen Avantgarde, nachdem seine Vorhut unter Oberst von Tettenborn bereits am Tage zuvor bis Werneuchen und Altlandsberg vorgedrungen war, hatte am 18. in der Mittagsstunde die Oder passiert. »Ein Alliierter von Rußland her«, so schreibt Friedrich Adami, »hatte ihm und seinen 2000 Pferden die Brücke dazu gebaut: die Oder trug noch ihre Eisdecke. Wenige Stunden später, um vier Uhr nachmittags, brach das Eis, auf dem drei russische Regimenter: Kosaken, Dragoner, Husaren, ihren Übergang bewerkstelligt hatten. Es hatte, so schien es, nur eben noch die Landsleute des harten, nordischen Winters hinüberlassen wollen. Diese 2000 Reiter erschienen jetzt in den Dörfern zwischen Wriezen und Moeglin. Tschernyschew selbst übernachtete in Kunersdorf.«

In Schloß Kunersdorf selbst erzählt man den Hergang etwas abweichend. Danach erschien Tschernyschew nicht spätnachmittags, sondern bereits früh am Morgen, übernachtete auch nicht im Schloß, sondern brach nach kurzer Rast und nachdem alle 2000 Reiter im Dorfe gefuttert hatten, in der Richtung von Strausberg und Herzfelde auf. Dafür, daß alle 2000 Reiter Kunersdorf passierten, scheint allerdings der Umstand zu sprechen, daß, nach einer noch fortlebenden Erinnerung, an jenem einem Vormittage siebzehn Wispel Hafer verfuttert wurden.

Das Jahr 1813 brachte noch einen andern Gast nach Schloß Kunersdorf, und mit seinem Besuche schließen wir wie mit einem Idyll. Dieser Gast war Chamisso.

Chamisso, bekanntlich infolge der Französischen Revolution aus Frankreich emigriert 1) , hatte als preußischer Offizier die unglückliche Campagne von 1806 und speziell die Kapitulation von Hameln mit durchgemacht. Seitdem lebte er ausschließlich den Wissenschaften, besonders dem Studium der Botanik. Im Frühjahr 1813 waren seine Mittel erschöpft, und Professor Lichtenstein, dem Itzenplitzschen Hause befreundet, empfahl den jungen Botaniker nach Kunersdorf hin, wo er, nach bald erfolgtem Eintreffen, die Anlegung einer großen Pflanzensammlung unternahm, eines Herbariums, das einerseits die Flora des Oderbruchs, andererseits alle Garten- und Treibhauspflanzen des Schlosses selbst enthalten sollte. Chamisso verweilte einen Sommer lang in dieser ländlichen Zurückgezogenheit und unterzog sich seiner Aufgabe mit gewissenhaftem Fleiß. Das von ihm herrührende Herbarium existiert noch. Die Mußestunden gehörten aber der Dichtkunst, und im Kunersdorfer Bibliothekzimmer war es, wo unser Chamisso, am offenen Fenster und den Blick auf den schönen Park gerichtet, den »Peter Schlemihl«, seine bedeutendste und originellste Arbeit, niederschrieb.

Einige Stellen aus Briefen, die er damals an Varnhagen und Hitzig richtete, mögen hier auszugsweise einen Platz finden.

Er schreibt an Varnhagen, Kunersdorf, den 27. Mai 1813:

»Lieber Varnhagen, tun und lassen war für mich gleich schmerzhaft; durch den Machtspruch von Ehrenmännern in Untätigkeit gebannt, bring ich den Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf seinen Gütern zu, in Kunersdorf bei Wriezen, und beschäftige mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichsten Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den Landsturm exerzieren, und kommt es zu einem Bauernkrieg, so kann ich mich wohl darein mischen – pro aris et focis. – Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen.« 1)




1) Zwei ältere Brüder Adelberts von Chamisso: Hippolyte und Karl, waren Leibpagen im Dienste Ludwigs XVI., und Karl war unausgesetzt um die Person des unglücklichen Monarchen in dessen bedrängtesten Lagen, namentlich am 10. August 1792. Bei einem Auflauf zerschlagen und verwundet, wurde Karl von Chamisso nur mit Mühe gerettet. Der König verkannte das Verdienst nicht, das sich der Page um ihn erworben hatte, und fand Gelegenheit, ihm einen Degen zuzustecken, den er, der König, in glücklicheren Jahren getragen hatte. Zu gleicher Zeit schrieb er auf einem nur etwa talergroßen Zettelchen: »Ich empfehle Herrn von Chamisso, einen meiner treuen Diener, meinen Brüdern. Er hat mehrere Male sein Leben für mich auf das Spiel gesetzt. Ludwig.« Dies Zettelchen und der Degen befinden sich bis diesen Tag in Händen der Familie. Der älteste Sohn Adelbert von Chamissos besitzt beides.
2) Er fühlte sich, trotz der natürlichen Bande, die ihn an Frankreich knüpften, so ganz als Deutscher, daß er im Jahre 1818 bei seiner Rückkehr von der »Reise um die Welt«, die er unter Otto von Kotzebue an Bord des »Rurik« gemacht hatte, auf der Reede von Swinemünde schreiben konnte:

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil