Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Kunersdorf


Graf und Gräfin Itzenplitz
1803–1848


Vielleicht das wichtigste Ereignis, das in diesen neun Jahren Schloß Kunersdorf und seine Bewohner traf, war die große Oderüberschwemmung im Jahre 1785. Es war dieselbe, der, in dem benachbarten Frankfurt, der junge Herzog Leopold von Braunschweig zum Opfer fiel. Weder vorher noch nachher hat das Oderwasser in diesen Gegenden eine gleiche Höhe erreicht. Ein Pfeil am Kunersdorfer Schlosse zeigt noch, wie hoch damals das Wasser stand. Die Fluten strömten in die Küche ein, und mit ihnen kamen allerlei Fische, groß und klein, und plätscherten ungefährdet und wie zum Spott in den eingemauerten Kesseln umher, aus denen sie dann bei guter Zeit ihren Rückzug antraten. Der Park stand unter Wasser, und in halber Höhe der Rampe, auf der sonst die Equipagen vorfuhren, legten die Kähne an.

Das war ein Ereignis. Sonst vergingen die Tage in jener stillen Weise, die das Leben alter Militärs, vielleicht nach einem Naturgesetze, so oft kennzeichnet. Der Lärm und die Leidenschaften des Kriegshandwerks machen sie doppelt begierig nach der Stille des Friedens und des Alters. So war es auch hier. Alte Kameraden kamen oft und waren gern gesehen; im Wort lebte wieder auf (auch wohl ausgeschmückt), was einst Tat gewesen war. Die großen Tage wurden wieder lebendig. Ein Gang durch den Park, ein Ritt ins Feld, die Freuden der Tafel, auch Billardspiel füllten den Tag aus. Zur Jagd war man zu alt; auch war sie nicht Mode unter dem großen König. Der Abend gehörte dem Tarock oder dem Geplauder. Festtage waren die Besuchstage in der Umgegend, zumal bei »Prittwitzens« in dem nahe gelegenen Quilitz. Mit allen Dehors, die dem gegenseitigem Range gebührten, ging man dabei zu Werke; sechs Pferde, nie weniger, wurden vor die Staatskarosse gelegt, der Staub auf dem ziemlich öden und sandigen Wege wirbelte auf, und der Kutscher beschrieb mit möglichster Eleganz die Kurve, die das langgespannte Gefährt auf die Rampe des Quilitzer Schlosses führte. Aber solche Besuche fanden nicht häufig statt. Prittwitz spielte hoch (noch 1790 nahm er dem Herzog von Mecklenburg 30 000 Taler in einer Nacht ab), und Lestwitz war ein guter Wirt und frommer Christ.

So vergingen die Tage in Schloß Kunersdorf bis 1788, vielleicht bis zu der Zeit, wo die Generalin von Lestwitz ihrem Gatten folgte. Von da ab wurd es lebendiger. Sinn und Geschmack der Frau von Friedland lagen nach anderer Seite hin, und statt der »alten Kameraden«, die nichts hatten als ihre Erinnerungen und nichts liebten als ihre Spielpartie, wurden nun – gleichsam eine andere Hinterlassenschaft aus der friderizianischen Zeit her – die Berliner Savants, die Akademiker und Philosophen, in Schloß Kunersdorf heimisch. Zum Teil mochte das Nicolaische Haus, in welchem Frau von Friedland ihre Stadtwohnung beibehielt, eine äußerliche Veranlassung dazu bieten; was aber den Ausschlag gab, das lag tiefer. Die Epoche der geistreichen Zirkel, die später in der Prinz-Louis-Ferdinand-Zeit ihren Höhepunkt erreichte, war eben angebrochen; Geburt war nicht viel, oder sollte nicht viel sein; Talent war alles. Dieser damals herrschenden Anschauung neigte man sich auch in Schloß Kunersdorf zu; Buttmann und Bode, Engel und Spalding, Biester und Nicolai waren gern gesehene Gäste, und die Vertreter historisch berühmter Namen galten wenig, wenn sie nicht ihresteils gewirkt und geschafft und das ererbte Pfund durch eigene Kraft gemehrt hatten.

Der Tod der Frau von Friedland änderte hierin nichts Wesentliches; ihre Tochter, die Gräfin Itzenplitz, trat eben in jedem Sinne die Erbschaft der Mutter an, und alles, was hervorragte, sei es in Staat, Leben, Wissenschaft, fand nach wie vor die gastlichen Tore von Schloß Kunersdorf offen. Wenn sich ein Unterschied zeigte, so war es vielleicht der, daß die einseitige Bevorzugung des Talents, wie es die Zeitströmung mit sich gebracht hatte, nunmehr einer nach allen Seiten hin gerechteren Würdigung des Lebens und seiner tausend Kräfte Platz machte. Die persönlichen Neigungen der Tochter lagen im wesentlichen nach derselben Seite hin wie die der Mutter; die Wissenschaften standen in erster Reihe, unter diesen die Botanik obenan, und Klaproth, Wildenow, Lichtenstein, Erman, beide Humboldts, Leopold von Buch, dazu Savigny, Ranke, Knesebeck, Reden, Marwitz, Oberst von Romberg, vor allem der alte Oberpräsident von Vincke waren Freunde und Gäste des Hauses. Aber, wie schon angedeutet, der Kreis war doch ein weiter gezogener als früher, und die Kunst, deren erstes Dämmern in diesem Lande Frau von Friedland nur eben noch erlebt hatte, fand jetzt ein eingehenderes Verständnis und, soweit es die Zeit und Mittel eines Privathauses überhaupt gestatteten, auch Förderung und Pflege. Rauch, Friedrich Tieck, Wach (der beiden Altmeister Schadow und Weitsch zu geschweigen) traten, teils gesellschaftlich, teils künstlerisch, in nähere Beziehung zu dem Itzenplitzschen Hause, und der Verlauf dieses Aufsatzes wird mir noch Gelegenheit geben, ihre Werke, soweit sie auf Schloß Kunersdorf Bezug haben, aufzuzählen.

Die eben genannten Namen haben uns fast bis an die Grenze der Gegenwart geführt. Aber noch haben wir in aller Kürze von Tagen zu erzählen, die dem Anfange dieses Jahrhunderts angehören, der Epoche von Jena bis Leipzig. Auch Kunersdorf hat seine Erinnerungen und sogar seine kleinen historischen Momente aus jener Zeit her.

Die Schlacht von Jena war geschlagen, und die Sieger gingen wie eine Welle über das Land. Indessen scheint Kunersdorf von dieser ersten Not des Krieges wenig oder gar nicht berührt worden zu sein, und erst der Rückschlag der Welle, wie er dem Frieden von Tilsit folgte, brachte den Feind auch in diese Gegenden. Die Marken, unter allerhand Vorwand, blieben okkupiert, trotzdem der Wortlaut des Friedens alles Land östlich der Elbe dem besiegten Preußen gelassen hatte, und von den okkupierenden Truppen kamen die berühmten Kavallerieregimenter, die die Division Nansouty bildeten, in die Oderbruchdörfer zu liegen. Die Wahl war gut getroffen. Wo hätten die 10 000 Pferde sich wohler fühlen können als in der Korn- und Heukammer der Provinz? In Schloß Kunersdorf allein lagen achtundvierzig Franzosen in Quartier, darunter wenigstens zehn Offiziere. Einzelne gehörten guten Familien an, die meisten aber waren roh und ungebildet und machten es der Itzenplitzschen Familie unmöglich, mit ihnen zu leben. Zehn Monate lang lag diese »schwere Kavallerie« (schwer in jedem Sinne) in den Oderbruchdörfern; endlich rückte sie westwärts. Liebesaventuren, Händel, Hasard und Pistolenschießen hatten plötzlich ein Ende, und Schloß Kunersdorf wurde gelüftet und gebadet, als wäre der Böse darin gewesen. Die Regimenter zogen nach Spanien, später, wenigstens teilweis, nach Rußland.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil