Abschnitt 4

Der Oderbruch und seine Umgebung


Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens


All’ Obrigkeit, die ist von Gott
Und soll handhaben sein Gebot.

Es soll ihr gehorchen alle Welt,
Nicht leben, wie’s Lust und Laune gefällt.

Das Schwert gab Gott in ihre Hand,
Damit zu wahren Leute und Land.

Dem Guten soll sie geben Schutz,
Den Bösen strafen, dem Guten zu Nutz.

Eines Vaters Herz aber soll sie ha’n
Zu denen, so ihr sind untertan.

So war der Spruch, nach welchem die Uchtenhagen in Haus und Hof ihre Rechte wahrten, ihre Pflicht erfüllten; nichts, was auf Fluch und Untat hinwiese, auf Taten, die unsühnbar gewesen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte mischte sich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geschichte des Hauses, ein Vetter erstach den andern im Zweikampf oder aus Notwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürst Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in seine Huld und Gnade auf, »gleichweis, als ob die Geschichte nie geschehen wäre«.

Durch sechs Generationen hin, der vorhistorischen Zeit zu geschweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahlreich, aber doch immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sprossen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tode. Eh ein Menschenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauses tot bis auf einen, und der überlebende achte, inzwischen vermählt mit Sophie von Sparr, einer Vaterschwester des berühmten Feldmarschalls, schaukelte ein einzig Kind auf seinen Knien – ein zartes Kind, die blauen Adern sichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte seines Geschlechts. Er starb, neun Jahr alt, und wurde in der Kirche zu Freienwalde beigesetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden sei, und die Sage – die hier wieder für die Geschichte eintritt – erzählt sein Ende so:

Einer der Lehnsvettern des Hauses, voll Verlangen nach dem Besitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige Goldbirne zu reichen, die mit einem langsam wirkenden Gifte vergiftet war. Ein Bologneser Hündchen, das den Knaben auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte, sprang, als dieser die Birne essen wollte, an ihm herauf, halb liebkosend, halb geängstigt, um dem Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen, aber Kaspar nannte ihn lachend ein »neidisches Tier« und aß die Birne. Eine Traurigkeit, so fährt die Sage fort, begann alsbald den Knaben zu beschleichen, seine Lebendigkeit verlor sich, und sein Auge wurde matt. So verging er wie eine Blume. Seine Mutter saß in der Sterbenacht an seinem Bett; da richtete er sich noch einmal auf, küßte der Mutter die Hand und sprach sterbend, aber leise-vernehmlich vor sich hin:

»Alle Liebe ist nicht stark genung,
Ich muß doch sterben und bin so jung.«

So die Sage. Eh wir aber auf dieselbe in aller Kürze noch einmal zurückkommen, begleiten wir die Uchtenhagen durch ihre letzten Jahre bis zum völligen Erlöschen des Geschlechts, Hans von Uchtenhagen, der überlebende Vater des früh heimgegangenen Kindes, den Freuden dieser Welt für immer abgewandt und ohne tieferes Interesse, das alte Erbe des Hauses zusammenzuhalten, verkaufte, bald nach dem Tode Kaspars von Uchtenhagen, die Stadt Freienwalde samt allen seinen sonstigen Gütern an den Kurfürsten Johann Sigismund, zugleich sich verpflichtend, die reichen Besitzungen jenseits der Oder, die sogenannte Insel Neuenhagen, sofort in kurfürstlichen Besitz übergehen zu lassen. Andererseits ward ihm, dem Hans von Uchtenhagen, die Beibehaltung aller diesseits der Oder gelegenen Besitzungen, namentlich der Stadt Freienwalde, auf die Dauer seines Lebens zugestanden, auch das Recht ihm eingeräumt, bei etwaiger Geburt eines Erben, gegen Rückzahlung der Kaufsumme, in den alten Besitz wieder eintreten zu können. Aber kein Erbe wurde geboren, und in das alte, still und freudlos gewordene Stadthaus der Uchtenhagens, das sich, mit Turm und Zinnen, ein alter gotischer Bau, neben der Freienwalder Kirche erhob, trat nur noch der Engel des Todes. Dem Sohne folgte drei Jahre später die Mutter, bis nach abermals zwölf Jahren voll stillen Leids und frommer Betrachtung auch Hans von Uchtenhagen aus der Unrast dieser Zeit eintrat in das Reich des ewigen Friedens. Das Kirchenbuch berichtet:

»Anno Domini 1618, am Abend Judica des 21. Martii, zwischen zwölf und ein Uhr, ist der edle, gestrenge und ehrenfeste Hans von Uchtenhagen, dieses Städtleins Erbherr und Junker und der letzte dieses Geschlechts, selig im Herrn eingeschlafen und verschieden und danach, am Sonntag Exaudi (war der 17. Mai), allhier in Sankt-Nikolaus-Kirche unter den Altar in sein gewölbtes Begräbnis, nach adliger Weise, zu seiner in Gott ruhenden Frauen und Söhnlein gesetzet, da er in seinem ganzen Alter das vierundsechzigste Jahr erreicht hatte.« Soweit das Kirchenbuch.

Helm und Schild waren ihm in die Gruft gefolgt, Freienwalde wurde kurfürstlich, und nur das Wappen der Stadt: das rote Rad im silbernen Felde, deutet bis diesen Tag auf die Uchtenhagensche Zeit.

Das Geschlecht ist erloschen, und es erübrigt uns nur noch die Frage: Was blieb in Freienwalde und Umgebung von Erinnerungsstücken an die Uchtenhagensche Zeit? Doch noch mancherlei. Das wohlerhaltene und bis diese Stunde bewohnte Amtshaus des Dorfes Neuenhagen, früher eines der Schlösser der alten Familie, darf an sich als ein solches Erinnerungsstück gelten, und die gewölbte Schloßkapelle mit Stuckaltar und symbolischen Figuren 1) verlohnte wohl, zu anderer Zeit, eine eingehendere Besprechung, als ich ihr in unten stehender Anmerkung gebe.




1) Das Schloß Neuenhagen jenseits der Oder ist verhältnismäßig wohl erhalten bis auf den heutigen Tag. Es wird noch bewohnt und bietet, wie wir nicht zweifeln, einen besseren Aufenthalt als mancher moderne Bau. Die alten Uchtenhagen-Räume dienen den verschiedensten ökonomischen Zwecken: das Burgverlies ist ein Wirtschaftskeller, die große Halle eine Waschküche geworden. Ein anderes Zimmer (man verzeihe diesen Exkurs), drin ein schwedischer Oberst in der nach-Uchtenhagenschen Zeit den Amtmann von Neuenhagen über Strohfeuer rösten ließ, um die verborgenen Schätze zu erkunden, diente, dieser Reminiszenzen unerachtet, noch vor kurzem als Schlafzimmer. Ich hätte mir ein anderes gewählt. Was aber besser als alles andere erhalten ist und mehr als alles andere interessiert, das ist ein gewölbter Raum: jetzt Amtsstube, früher die Schloßkapelle der Uchtenhagens. Die Altarwand, noch vollkommen gut erhalten, ist ein umfangreiches, aus verschiedenen Teilen zusammengesetztes Stuckrelief, das, nach Art solcher Stuckbilder, nicht einen frei stehenden Schrein bildet, sondern in das Mauerwerk selber, wie eine Wandverzierung, eingelassen ist. Es besteht aus einem Christus am Kreuze, zu dem zwei Heilige aufblicken; dies Hauptstück des Bildes ruht aber auf einer Art Fries, in dessen Feldern wir die symbolischen Figuren des Hahns, des Greifen, des Pelikans und des Wiedehopfs erblicken. – In der Kirche zu Neuenhagen befindet sich übrigens noch ein gut erhaltener Grabstein aus der Uchtenhagener Zeit. Seine Inschrift lautet: »Das Blut Jesu Christi reiniget uns von allen unseren Sünden. Johannes 3. Anno Domini 1592 den 13. Dezember. Hier ruhet... die viel tugendreiche Hippolyta von Uchtenhagen, in Gott selig entschlafen.« Hippolyta, dem Bilde nach etwa vierzig Jahr, war eine ledig gebliebene Schwester von Hans von Uchtenhagen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil