Abschnitt 3

Der Oderbruch und seine Umgebung


Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens


Hier unterbrach sich der Erzähler einen Augenblick, um mir die Linie zu beschreiben, die der Kahn damals gezogen haben müsse, und fuhr dann fort:

»Keiner steuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; so kamen sie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief jetzt auf, beide sprangen ans Ufer und stiegen bergan. Inzwischen war es dunkel geworden, der Mond war unter; aber ob nun der Hund rückwärts bergan lief oder ob er den Kopf nach hinten zu gedreht hatte, soviel ist gewiß, Trampe sah immer die zwei Feueraugen vor sich, die ihm bis oben hinauf den Weg zeigten. Und als er nun in den Burghof trat, standen da wohl hundert Fässer, alle voll Gold. Das war so blank, daß es im Dunkeln blitzte. Das Schloß selbst aber lag in Nacht, und nur mitunter glühten die Fenster auf, und allerlei Gestalten wurden sichtbar, Ritter und Edelfräulein, die kicherten und lachten. Dahinter klang es dann wie Tanzen und leise Musik. Trampe sah und horchte. Aber nicht lange, so trat ein Ritter an ihn heran, legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter und fragte, ›ob er der Böttcher aus Freienwalde sei‹. Und als Trampe bejaht hatte, befahl er ihm, die Fässer zuzuschlagen: ›Das dreizehnte Faß ist für dich.‹ Und nun ging Trampe an die Arbeit und schlug alle Fässer zu. Das dreizehnte aber, das er vorsichtig gleich beiseite gestellt hatte, rollte er den Berg hinunter. Er war nun fertig und wollte wieder gehn. Da fuhr es ihm mit eins durch den Kopf, ›ob nicht der Ritter jedes dreizehnte Faß gemeint haben könnte‹, und als er noch so dachte, rollte er auch schon heimlich ein zweites Faß bergab. Als er aber unten ankam, lag nur ein Faß da. ›Hm‹, dachte Trampe, ›wirst es noch mal versuchen‹, und stieg wieder bergauf und rollte ein drittes Faß hinunter. Und sehen Sie, das war es ja grade, was sie gewollt hatten, und als er wieder unten war, war alles verschwunden, auch das erste Faß, und nur an der Vorderspitze des Kahns saß wieder der Pudel und sagte: ›Trampe, du hast verspielt.‹ Das ärgerte Trampen, und er dachte, als sie zurückfuhren: ›Das soll dir auch nicht wieder passieren.‹ Ist ihm auch nicht wieder passiert, denn die Uchtenhagens haben ihn nie wieder holen lassen, wenn sie einen brauchten, um ihre Fässer zuzuschlagen.«

Die Geschichte, die bedeutungsvoll mit dem Zusatz: »wie sie sich die Kiezer erzählen«, eingeführt worden war, war kaum zu Ende, so hielten wir auch schon am Fuß des Schloßberges, vielleicht an derselben Stelle, wo an jenem Abend der bedenkliche Uchtenhagensche Fährmann seinen Kahn gelandet hatte. Wir sprangen vom Wagen, schirrten aus, schlugen die Leine vorsichtshalber um einen Baumstamm, wiewohl der Charakter unseres Einspänners alle möglichen Garantien für sein Wohlverhalten bot, und stiegen den Berg hinan. Es war inzwischen immer finsterer geworden, und dichte Schatten lagen um uns her, die durch zwei Lichter am Ausgang einer seitwärts gelegenen Schlucht nur noch zu wachsen schienen. Ich war etwas zurück geblieben und beeilte mich, weil ich an Trampe dachte, wieder an die Seite des Führers zu kommen. Und es gelang auch. In demselben Augenblick aber, wo ich seinen Arm streifte, klang es wie Hundeblaff von der Schlucht her über den Berg, und ich zuckte zusammen und stand. Der Führer, der meinem Gedankengange gefolgt sein mußte, sagte ruhig: »Das ist dem Müller seiner; der andere blafft nicht.« Und die Ruhe, mit der er dies sagte, überhob mich jeder Verlegenheit. So kamen wir endlich auf der Kuppe des Hügels an.

An der Rückseite desselben befinden sich noch halbmannshohe Mauerreste, mit deren Hülfe sich die Grundform der ehemaligen Burg, besonders aber des Burgtors, vielleicht bestimmen ließe. Der Eingang in das letztere, noch deutlich erkennbar, wird irrtümlich als Kellereingang bezeichnet, weil sich die Phantasie der Kiezer am liebsten mit Kellergewölben und den Trampeschen Fässern beschäftigt.

Wir unsrerseits maßen zunächst die Überbleibsel der alten Umfassungsmauer aus, setzten uns dann, einen Strauch als Lehne, auf die Trümmerwand und blickten in die Schlucht nieder, auf der Elsen- und Birkengebüsch so dicht, so still, so schwellend heraufzusteigen schien, wie Blätter aus einem Korbe quellen, in den sie zuvor gepreßt wurden. Und dazu klang es in der Tiefe wie ein Quell, der über Kiesel fällt. Ich fragte: »Ist das ein Wasser unten?« – »Ja.« – »Wie heißt es?« – »Das klingende Fließ.« Sonst war alles ruhig. Der Führer, längst gesprächig geworden, fing an zu erzählen von Pfingst- und Maiennächten, wenn unten in Tal und Schlucht die Rehe schrein und hoch über dem Berg, als wär es der Kyffhäuser, die Dohlen kreischen. Aber es war nicht Mai, nicht Pfingsten mehr, kein Reh schrie durch die Nacht selbst der Hundeblaff in der Mühle schwieg. Nur das klingende Fließ klang nach wie vor im Silberton zu uns herauf.

So fanden wir den Schloßberg. Wir verließen ihn, um heimkehrend uns der Frage zuzuwenden: Was erzählt uns die Geschichte – sie, die jede Auskunft über den Schloßberg selbst verweigert – von den Bewohnern desselben, von den Uchtenhagens?

Die historische Zeit der Uchtenhagen umfaßt einen Zeitraum von etwa drittehalb Jahrhunderten. 1367 wird ihrer zum ersten Male gedacht, und 1618 erlischt das Geschlecht. Eine Urkundensammlung, wie sie neuerdings unter Benutzung der verschiedensten Archive veröffentlicht worden ist, hat die Herstellung einer Stammtafel ermöglicht, der wir – und dadurch mittelbar der Urkundensammlung selbst – einen mühelosen Verkehr zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende des Geschlechts verdanken. Aber wir verdanken ihr nichts, was als eine historische Tat der Uchtenhagens angesehen werden könnte. Vielmehr fehlt nach dieser Seite hin all und jedes. Wir begegnen ihnen weder in Kostnitz noch in Worms; wir sehen sie weder unter Friedrich dem Eisernen vor Bernau noch zu Joachim Hektors Zeiten bei Mühlberg; wir sehen sie weder gegen die Hussiten noch gegen die Türken im Felde und dürfen eben nur annehmen, daß sie nirgends gefehlt haben werden, wo es galt, dem Rufe des Kurfürsten zu folgen oder für die Ehre des Landes einzustehen.

Noch einmal also, das urkundliche Material bietet uns landes- oder allgemeingeschichtlich nichts, es belehrt uns aber über die Vermögensverhältnisse der Familie und zeigt uns dieselbe in ihren Beziehungen zu ihren Lehnsmännern, Burgleuten und Hintersassen oder, wenn uns der Ausdruck gestattet ist, in den Verwaltungsgrundsätzen, wonach sie die Regierung ihres ziemlich ausgedehnten Besitzes leiteten, eines Besitzes, der nach Quadratmeilen rechnete und Städte umschloß. Da finden wir denn die Uchtenhagens, allen alten Sagen, »wie sie sich die Kiezer erzählen«, zum Trotz, als wahre Muster ritterlichen Wandels; fromm, sittig, ehrbar in ihrem Hause, mild, helfend, fürsorglich nach außen hin. Sie bauen Kirchen und schenken Glocken, sie schützen die Bürger in ihrem Recht und ihrem Besitz, sie belohnen den Rat Freienwaldes mit neuen Feldmarken, sie vertreten die Stadt vor dem Kurfürsten und erwirken ihr Jahrmarktstage und Freiheit von Zoll und Abgaben. Nichts, was die finsteren Märchen rechtfertigte, die in Spinnstuben bis diesen Tag mit Graus und Behagen geflüstert werden, vielmehr in allem die Anzeichen einer Regierungskunst im kleinen, dabei, in bestem Sinne, das Bewußtsein von den Rechten und Pflichten des Regiments. Ein Spruch im Freienwalder Stadtarchive gibt uns Auskunft darüber, aus welchem Glauben und Meinen heraus die Uchtenhagen ihre Herrschaft übten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil