Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Das Oderbruch


2. Die Verwallung


Der Kanal wurde gegraben, und die Oder fließt seitdem in einem neuen Bett, das nur zweieinhalb Meilen statt sechs Meilen Länge hat. Dies ist die sogenannte » neue Oder« zwischen Güstebiese und Hohensaaten (H. S.). Aber das alte Bett wurde durch diesen geradlinigen Durchstich, wie sich denken läßt, nicht absolut wasserleer, es blieb vielmehr Wasser genug in der »alten Oder«, um den verschiedenen an ihr gelegenen Städten und Dörfern mehr oder weniger ihren alten Wasserverkehr zu erhalten. Erst 1832 kam dieser Wasserverkehr in Gefahr. Die Verwallung, wie sie bis dahin bestand, hatte im Lauf der Jahrzehnte verschiedene Mängel gezeigt, und namentlich war der flußabwärts gelegene Teil des Niederbruchs, das sogenannte Mittelbruch, nach wie vor vielfachen Überschwemmungen ausgesetzt gewesen. Dem vorzubeugen, entwarf der Geheime Oberbaurat Cochius schon zwischen 1810 und 1818 einen kühnen Plan, der darauf hinausging, die alte Oder bei Güstebiese zu schließen, das heißt also, einen Riegel vorzuschieben. Dieser vorgeschobene Riegel, ein Damm, eine Zuschüttung, sollte alles Wasser zwingen, im Bett der neuen Oder zu bleiben, und ein teilweises Abfließen des Wassers in das Bett der alten Oder unmöglich machen. Der Plan war kühn, weil die dadurch im Bett der neuen Oder sehr wesentlich wachsende Wassermasse leicht Gefahren (Deichbrüche) im Geleite haben konnte. Außerdem war das Aufhören jeder Wasserverbindung, wenn auch das Ganze dadurch gewann, für viele Bewohner des Mittelbruchs eine wenig wünschenswerte Sache. Alles wurde indessen glänzend hinausgeführt. Die wachsende Wassermasse der neuen Oder schuf keine Gefahren, oder man wußte doch diesen Gefahren zu begegnen, und, was ebenfalls wichtig war, eine absolute Trockenlegung der alten Oder erfolgte durch Vorschiebung jenes Riegels ebensowenig, wie sie siebzig Jahre früher durch Grabung des neuen Oderbettes erfolgt war. Die Anwohner, namentlich in den an der alten Oder gelegenen Städten Wriezen und Freienwalde, erfreuen sich nach wie vor einer Wasserverbindung, da teils das Grundwasser, teils auch ein geschicktes, alle Bruchgewässer sammelndes Kanalsystem das Bett der alten Oder, trotz der Coupierung (Zuschüttung) bei Güstebiese, mit Wasser speist. Ausbaggerungen und Tieferlegung des Betts halfen nach.

Man darf sagen, daß sich die Herstellung eines geradlinigen und dadurch verkürzten Oderbetts (»die neue Oder«) in allen Punkten bewährt hat, nur vielleicht in dem einen nicht, den man dabei zunächst und vorzugsweise im Auge hatte. Man hatte, wie schon angedeutet, von diesem neuen, kürzeren Bett eine Verbesserung des Oderfahrwassers erwartet und gehofft, daß das raschere Fließen des Wassers an dieser Stelle das Flußbett vertiefen, den Strom einengen, konzentrieren und dadurch die Stromkraft steigern werde. Dies alles ist wenig oder gar nicht in Erfüllung gegangen. Der vielfach versandete Fluß ist nach wie vor mehr breit als tief, die Schiffahrt nach wie vor schwierig, oft ganz unterbrochen, und sogar die Kanalanlage selbst hat ihren ursprünglichen Charakter zum Teil verloren und ist breiter und infolge davon wieder flacher und sandiger geworden.

Ad 2. Die zweite Aufgabe war die Anlegung von » tüchtigen Dämmen«. Das sogenannte Oberbruch, wie wir gesehen haben, hatte solche Dämme schon. Es handelte sich also vorwiegend um Eindämmung des Niederbruchs, eine Aufgabe, die dadurch so kompliziert wurde, daß nicht nur die »neue Oder« auf ihrer Strecke von Küstrin bis Saaten, sondern vor allem auch die sich in weiten Windungen durch das Land ziehende »alte Oder« eingedämmt werden mußte. Große Anstrengungen und große Geldsummen waren dazu erforderlich. Endlich glückte es. Die Gesamtstrecke der hier im Nieder-Oderbruche angelegten Deiche beträgt über zehn Meilen. Diese Deiche waren nicht gleich anfangs, was sie jetzt sind, weder an Höhe noch Festigkeit. So kam es, daß auch nach Anlage derselben verschiedene große Überschwemmungen stattfanden, zum Beispiel 1786 und 1838. Auch jetzt noch ist die Möglichkeit solcher Überschwemmungen nicht ausgeschlossen: ein Dammbruch kann stattfinden, oder die Höhe des Wassers kann die Höhe der Dämme übersteigen. Indessen verringert sich diese Möglichkeit von Jahr zu Jahr, da die Dämme, wie nach immer verbesserten fortifikatorischen Prinzipien gemodelte Festungen, alljährlich an Ausdehnung und Widerstandskraft gewinnen.

Ad 3. Die dritte Aufgabe war, das Binnenwasser abzufangen. Dies war kaum minder wichtig als die Anlegung der Dämme. Die Dämme schützten gegen die von außen her hereinbrechenden Fluten; aber sie konnten nicht schützen gegen das Wasser, das teils sichtbar in Sümpfen, Pfuhlen und sogenannten »faulen Seen« dastand, teils als Grundwasser unter dem Erdreich lauerte, jeden Augenblick bereit, zu wachsen und an die Oberfläche zu treten. Um diesem Übelstande abzuhelfen, ohne den eine eigentliche Trockenlegung nicht möglich war, bedurfte es eines ausgedehnten Kanalsystems. Auch ein solches wurde geschaffen. Zahllose Abzugsgräben, kleine und große und unter den verschiedensten Namen, wurden hergestellt, die sämtlich in den sogenannten »Landgraben« und mittelst desselben, an Wriezen und Freienwalde vorüber, in die »neue Oder« mündeten. Zum Teil sind es auch wohl diese Gräben, die das tiefer gelegene Bett der »alten Oder« mit Wasser speisen und dasselbe vor völligem Austrocknen schützen. Dies ganze Kanalsystem, ebenso wie die Verwallung, ist im Lauf der Jahrzehnte vielfach verbessert worden, und weite Strecken, die noch vor vierzig Jahren eine durchaus unsichere Heuernte gaben, zeigen jetzt um die Sommerzeit die schönsten Raps- und Gerstenfelder.

Das Wesentliche dieser Arbeiten – die selbstverständlich nie ganz ruhten und bis diesen Tag fortgesetzt werden – war bereits vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges beendet. 1) Niemand ahnte damals, was im Laufe der Zeit durch den Einfluß von Luft und Sonne, durch den Fleiß der Bewohner, durch Verstärkung der Dämme, durch Erweiterung und bessere Richtung der Abzugsgräben aus diesem Landesteile werden würde – man hielt es überwiegend nur zum Graswuchs und zur Weide geeignet. Der Brief eines Reisenden, der das Bruch im Jahre 1764 passierte, gibt Auskunft darüber. Der Brief lautet:

»So angenehm auch diese Gegend geworden (denn es ist die ebenste Pläne, die Wege mit Weiden besetzt, wie auch die Deiche, und zwar mit mehreren Reihen, nicht nur auf dem Kamm, sondern auch auf der Böschung zu beiden Seiten, damit sie von den verwachsenen Wurzeln eine mehrere Festigkeit bekommen), so haben die neuen Dörfer doch mehrfach schon durch Überschwemmung gelitten, so daß man mit Kähnen die Einwohner retten oder ihnen doch, da sie auf die Böden ihrer Häuser geflüchtet, zu Hülfe kommen mußte. Der eingedeichte Acker dürfte wohl mit der Zeit der Wische in der Altmark ähnlich werden; aber noch ist er es nicht... In den ersten Jahren gab der Roggen fast gar kein Mehl, sondern lauter Kleie, und die Gerste taugte gar nicht zu Malz, weil es lauter Lagerkorn gewesen war.«

Seitdem ist es unser eigentliches Gerstenland geworden. Neuerdings blüht in ihm die Rübenkultur. Große Zuckerfabriken existieren auf den Ämtern, und immer neue Unternehmungen treten ins Leben. Der Anblick dieses fruchtbaren Landesteiles aber ruft immer wieder die Worte des großen Königs in unser Gedächtnis zurück: »Hier hab ich im Frieden eine Provinz erobert.«




1) Es heißt, Friedrich der Große habe bei seinem berühmten Flankenmarsche, der der Schlacht von Zorndorf vorherging (vergleiche »Zorndorf«), bereits Vorteile von der veränderten, das heißt mehr passierbaren Gestalt des Bruchs gezogen. Dies ist jedoch höchstwahrscheinlich eine zu Ehren des Bruchs und seiner Melioration erfundene Geschichte, da die Zorndorfer Schlacht am 25. August stattfand, also zu einer Jahreszeit, wo das Bruch immer trocken und passierbar zu sein pflegte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil