Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Buckow


Nun folgen sechs, acht Strophen, in denen beschrieben wird, wie alles dem Redner zujubelt, wie die Bürger sich rüsten und andern Tages wirklich ausziehen, um die »Pfändung der Gräflichen« vorzunehmen. Drei andre Strophen schildern den Zug selbst; dann endlich treten sie in den Wald.

Und als sie sich nahten dem strittigen Grund –
Da, vernehmbar aus dem Gehege
Her klangen schon durch die stille Luft
Der Holzaxt dumpfe Schläge.

Der Tag war heiß, die Luft war still,
Der Wald schwieg wie beklommen,
Nur leise rauschten die Wipfel sich zu:
»Sie sind es; die Buckower kommen.«

Der Kampf ist nun kurz. Die gräflichen Holzschläger strecken die Waffen, und die Sägen und Äxte werden gepfändet. Ein Hurra klingt dreimal durch den Wald. Aber der Sieg ist von keiner Dauer. Die Gräflichen verstärken sich und rücken andrentags, unterstützt durch die ganze Polizeimacht der Kreise Barnim und Lebus, ins Feld. Die Polizei, bekanntlich ein prosaisches Institut ohne Glauben an Gespenster, hat auch kein Herz für Romantik und Mittelalter und schickt die Buckower in sehr bestimmten Ausdrücken heim.

Die Buckower sprechen noch immerzu
Vom Forst und ihrem Streite;
Und doch, wo das strittige Waldstück stand,
Da stehen jetzt Klafter und Scheite.

Und kommt ein Buckower still entlang,
Halb traurig und halb verbissen,
Da singen die Vögel so lustig. Warum?
Die Vögel werden’s schon wissen.

Aber ich habe vielleicht zu lange schon bei den Buckowern verweilt; wenden wir uns wieder ihrer Stadt zu. Buckow und seine Umgebungen bilden die »Märkische Schweiz«. Freilich geht es der Stadt mit diesem Namen und Anspruch nicht viel besser als mit ihrem Forst, denn Freienwalde tritt mit überlegener Miene in die Schranken und sagt: »Dieser Name ist mein.«

Wo liegt denn nun aber die wirkliche Märkische Schweiz? Wir werden uns einen Dualismus, wie auch sonst wohl, gefallen lassen müssen. Freienwalde ist immerhin eine Dame, Buckow ist eine ländliche Schönheit, die mit nacktem Fuß in den See tritt und unter Weidenzweigen ihr Haar flicht. Nun wähle jeder nach seinem Sinn. Binnen kurzem wird sich solche Wahl erleichtern. Die neuprojektierte Eisenbahn zwischen Berlin und Küstrin führt auf kürzeste Entfernung an Buckow vorüber, und einmal in den Verkehr hineingezogen, wird das »Aschenputtel« von heute ihrer bevorzugten Schwester vielleicht schon morgen gefährlich werden.

Buckow liegt in einem Kesseltale, dessen Sohle von einem großen See gebildet wird. Dieser See hat die Form eines abgestumpften Halbmonds, ist also bohnen- oder nierenförmig und heißt der Schermützel-See. Wir werden noch weiter von ihm hören. An der konkaven Seite des Sees, ziemlich genau an der Stelle, wo sich das hüglige Erdreich in den See hineinbuchtet liegt die Stadt, von der aus sich in kürzester Zeit und mit leichtester Mühe die verschiedensten Ausflüge in die Umgegend ermöglichen. Alle diese Ausflüge, verschieden, wie sie sind, lassen sich nichtsdestoweniger in drei ganz bestimmte Gruppen bringen: in Spazierfahrten über den See, in Besteigung des Bollersdorfer Plateaus und in Wanderungen durch die Täler und Schluchten der nach Nord und Ost hin gelegenen »Märkischen Schweiz«.

Besteigen wir zunächst das Plateau.

Wir wählen dazu, statt der Fahrt über den See, einen Umweg, und zwar durch jene lieblichen Schluchten und Waldpartien, die von einem Bergwasser, dem Marienfließ, durchflossen werden. Alles hat hier den mitteldeutschen Charakter. Wer den Harz, wer Thüringen und die Sächsische Schweiz kennt, ist manche liebe Stunde unter gleichen Bildern und Eindrücken bergan gestiegen. Tannen und Lärchenbäume fassen zu beiden Seiten die Hügelabhänge ein, Buchen und Birken sind in das Nadelholz eingestreut, der Kuckuck ruft, der Bach plätschert, und auf dem frischen Rasen, der das Wandern so leicht macht, liegen die Tannenäpfel oder spielen die Schatten und Lichter der Nachmittagssonne. So auch hier. Über die primitivsten Brücken hinweg – sechs Feldsteine quer durch den Bach – schreiten wir vom linken auf das rechte und wieder vom rechten auf das linke Ufer, bis wir, nach halbstündigem Marsche den Tann ohne Weg und Steg durchbrechend, uns plötzlich auf dem ersehnten Plateau befinden, das wir, den Windungen des Baches folgend, fast wie auf einer Wendeltreppe ohne Stufen erstiegen haben. Aber noch wissen wir es kaum, daß es ein Höhepunkt ist, auf dem wir stehen, denn das Plateau dehnt sich bis zum Horizont hin wie eine Ebene vor uns aus, und erst am Ausgang eines tiefen Ackereinschnitts, der uns einer hier und dort unterbrochenen Wand von Brombeer- und Weißdornsträuchern entgegenführte, blicken wir überrascht in eine völlig senkrechte Tiefe nieder. Fünfhundert Fuß unter uns der See.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil