Abschnitt 1

Der Oderbruch und seine Umgebung


Buckow


            Das dritte, das dritte, noch wissen wir’s nicht,
            Doch bleibt es das Best an der ganzen Geschicht,
            Courage, Courage!
            Chamisso

Buckow hat einen guten Klang hierlands, ähnlich wie Freienwalde, und bei bloßer Nennung des Namens steigen freundliche Landschaftsbilder auf: Berg und See, Tannenabhänge und Laubholzschluchten, Quellen, die über Kiesel plätschern, und Birken, die, vom Winde halb entwurzelt, ihre langen Zweige bis in den Waldbach niedertauchen.

Ja, Buckow ist schön, aber doch mit Einschränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen – allen Respekt vor jener, aber Vorsorge gegen diese. Seine Häuser kleben wie Nester an Abhängen und Hügelkanten, und sein Straßenpflaster, um das Schlimmste vorwegzunehmen, ist lebensgefährlich. Es weckt mit seiner hals- und wagenbrechenden Passage die Vorstellung, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt, die schließlich auch leben wollen. Von Löchern ist längst keine Rede mehr; wo dergleichen waren, sind sie zu einer rinnenartigen Vertiefung geworden, und als Friedrich Wilhelm IV. vor einer Reihe von Jahren Buckow passierte, sah sich die Kommune veranlaßt, die Hauptstraße der Stadt fußhoch mit Sand bestreuen zu lassen. Dieser Beschluß wurde aber nicht gleich gefaßt. Viele hatten vielmehr vorgeschlagen, das Pflaster zu lassen, wie es sei, um den König desto eher zu einer milden Beisteuer zu bewegen, in dankbarer Erinnerung »an Rettung aus Lebensgefahr«. Aber der Vorschlag mußte freilich scheitern, weil eben niemand diese Rettung als gesichert voraussagen durfte. So wurde denn Sand gestreut und das alte Pflaster der Stadt erhalten. Für schwache Achsen ist Buckow dasselbe, was Wien für schwache Lungen ist – keiner kommt heil heraus.

Buckow war einmal wohlhabend, aber das ist lange her. Im vierzehnten Jahrhundert, auch später noch, blühte hier der Hopfenbau und gab dreiunddreißig Hopfengärtnern reichliche Nahrung. Sie gewannen jährlich weit über 1000 Wispel, und der Buckower Hopfen war es, der dem Bernauer Bier zu seinem Ruhme half. Noch gibt es Hopfengärten in Buckow, aber ihre Bedeutung für die Stadt ist hin, und die überall siegreiche Kartoffel erobert auch hier das Terrain. Kümmerlich schlägt sich die Stadt mit Spaten und Hacke durch; Kommunalvermögen ist nicht da; die vier Jahrmärkte werden nicht besucht, und die alte Hügelkirche, mit reichem Altar und mächtigen Glocken, würde schwerlich in solcher Stattlichkeit auf die Stadt herabsehen, wenn sie vom jetzigen Buckow gebaut werden sollte.

Die Buckower sind ordentliche, fleißige Leute, die sich’s sauer werden lassen; aber sei es, daß ihre wendisch-deutsche Blutmischung nicht ganz die richtige ist oder daß sie’s nicht verwinden können, vor lieber langer Zeit einmal reich gewesen zu sein, gleichviel, sie haben eine Vorliebe fürs Prozessieren und gelegentlich auch wohl für die Selbsthülfe. Es existieren darüber viel heitre und viel traurige Geschichten. Eine Geschichte dieser Art, die lustig und traurig zugleich, spielte vor kurzem erst, als die Buckower mit ihrem »Grafen« – dem Grafen Flemming, Besitzer der Herrschaft Buckow – in Streit gerieten. Dieser Streit nahm ein paar Tage lang den Charakter an, als habe sich ein Vorgang aus dem fünfzehnten Jahrhundert in unsre Zeit hinein verirrt; die Bürger zogen zu Felde, schlugen die gräflichen Mannen in die Flucht, nahmen Posseß vom streitigen Terrain und pflanzten ihr Banner auf dem eroberten Grund und Boden auf. Kurzum, eine mittelalterliche Fehde in bester Form. Streitobjekt war ein Forst, den der Graf als seine, die Stadt als ihre beanspruchte. Die Gerichte hatten zugunsten des Grafen entschieden, aber die Stadt schüttelte den Kopf, und so geschah, was eben gemeldet. Ein Bänkelsänger, der just des Weges kam, hörte von dem kaum geschlichteten Streit, und das Balladenhafte des Vorganges rasch erkennend, brachte er alles in »neue Reime aus diesem Jahr«. Ich habe das Blatt zufällig in die Hand bekommen und gebe etliche Strophen daraus.

Die Bürger von Buckow saßen beim Bier,
Das gab ein Lärmen und Streiten,
Sie sprachen vom Grafen und ihrem Prozeß,
Von Instanzen, ersten und zweiten.

Sie wußten es alle klipp und klar,
Daß der Graf die Richter betörte
Und daß der Forst, trotz erster Instanz,
Von je zur Stadt gehörte.

Drum (hieß es) hätten sie appelliert,
Und sie wußten aus guten Gründen,
Daß über ein kleines, in Woch oder Tag,
Die Sachen ganz anders stünden.

So klang es. Nur einer saß am Tisch,
Der spielte mit Gabel und Teller
Und rief jetzt: »He! zwei Seidel frisch,
Zwei bayrisch aus dem Keller.«

Er leerte das aufgehobene Glas
Mit einem einzigen Zuge
(Seine blinzelnden Augen tranken zugleich
Aus dem stehengebliebenen Kruge);

Er strich den Schaum sich aus dem Bart
Und wetterte über die Tische:
»He, Bürger von Buckow, was immer ihr prahlt,
‘s sind alles faule Fische.

Ihr habt keinen Mut; dieweil ihr hie
Abschießt eure Pfeile und Bolzen,
Läßt draußen der Graf in eurem Forst
Die Tannen niederholzen.

Ihr habt keinen Mut; ich sprech es mit Scham,
Ihr seid wie andre Philister;
Wer heute die Orgel spielen will,
Der braucht ein tiefer Register.

Ihr wißt nichts von der hohen Magie,
Von dem Zauber dieser Tage,
Der Zauber nennt sich fait accompli,
Und sein Spruch ist: Tu und wage.

Ihr kommet nie und nimmer zum Ziel
Mit Klagen, Akten und Pakten,
Es gibt nur eines, das heut hilft:
Tatsachen, Griffe, Fakten.

Greift zu, verschafft euch selber Recht
Mit euren eignen Händen –
Die Schläger des Grafen schlagen im Wald,
Wohlan, ihr müßt sie pfänden.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil