Abschnitt 4

Auf dem Plateau


Gentzrode


2. Vom Tode des alten Johann Christian Gentz (1867) bis zum Bau des Gentzroder Herrenhauses 1877


Alexander Gentz


So das runde Zimmer im Erdgeschoß. Auch das im ersten Stock war seinerzeit reich geschmückt mit Teppichen, Geweihen und Tigerfellen, mit Raubvögeln und Wildschweinsköpfen, meist selbstgemachte Jagdbeute. Dazwischen waren andre Räume mit Waffen gefüllt, so daß sie einer Rüstkammer glichen; oben aber lief ein Außengang um den Turm herum, von dem aus man einen trefflichen Überblick über Näh und Ferne hatte.

Das obere Zimmer war Arbeitszimmer für Alexander Gentz, wenn er, auf länger oder kürzer, in Gentzrode verweilte, während das Rundzimmer im Erdgeschoß als Empfangsraum für die Besucher diente, deren sich, in den Sommermonaten, beinah täglich etliche hier zusammenfanden. Auch solche, die für längere Zeit in Gentzrode verweilten, hatten in diesem Parterreraum ihr regelmäßiges Frühstücksrendezvous mit der Familie. Diese Besucher waren meist Freunde aus Berlin, unter ihnen Adolf Stahr und Fanny Lewald, die hier vorübergehend ihren Sommeraufenthalt nahmen.

All dies war in den ersten siebziger Jahren. Aber wie seinerzeit das »Inspektorhaus« nicht mehr genügt hatte, so wollte jetzt auch der »Turmanbau« nicht mehr genügen, und A. Gentz, dessen Torfgeschäft »im Wustrauer Luch« nach wie vor große Gewinnsummen abwarf, hielt jetzt den Zeitpunkt für gekommen, um seine speziell hier in Gentzrode von Anfang an auf das künstlerisch Prächtige gerichteten Ideen verwirklichen zu können. Mit andern Worten, es handelte sich darum, zum Abschluß des Ganzen, ein Schloß, einen Park, ein Mausoleum entstehn zu lassen. Und mit dem ihm eignen Feuereifer ging er an die Durchführung dieser neuen Idee. Sein Bruder Wilhelm, der schon damals, einigermaßen kopfschüttelnd, dem allen zusehen mochte, schreibt mir über das Vorgehen aus jenen Tagen: »Alexander wandte sich zunächst an die Herren Kyllmann und Heyden und bat dieselben um einen Entwurf. Aber was die Herren ihm einsandten, eine reizende Zeichnung im Villenstil, mißfiel ihm, weil es ihm nicht groß genug war. Er ging nun die Herren Gropius und Schmieden um einen andern Plan an. Dieser kam und gefiel ihm. Er war«, so schrieb Wilhelm Gentz (der Maler) an mich, »orientalischem Geschmacke angepaßt, und diesem neuen Plane gemäß ward denn auch beschlossen, mit dem Bau zu beginnen. Zuvor aber erschien meinem Bruder Alexander, und von seinem Standpunkt aus mit Recht, eine Erhöhung des Terrains notwendig, und zwar ›imposanteren Aussehns halber‹. Viele Tausende wurden dafür ausgegeben. Schmieden erzählte mir später, es sei ihm angst und bange geworden bei den Ausgaben, die das alles verursacht habe. Nun, gleichviel, es kam zustande, desgleichen eine dem Schloß gegenübergelegene, durch eine künstliche Felsengrotte verschönte Parkanlage, die Richard Lucae, bei seinem Besuch in Gentzrode, ein Meisterstück gärtnerischer Kunst nannte.« 3)

So war das, was hier entstand. Die ganze Prachtschöpfung ging ihrem Abschluß entgegen, und nur das »Mausoleum« fehlte noch. Die Pläne zu demselben lagen schon vor, und A. Gentz war von einer fieberhaften Hast erfüllt, daß mit der Ausführung begonnen werde. Die Mittel waren da, denn es war die Zeit unmittelbar nach den Gründerjahren, und Ansehn und Vermögen standen auf der Höhe. »Gestehe, daß ich glücklich bin«, konnte der Herr auf Gentzrode, wenn er Umschau hielt, wie König Polykrates ausrufen, und im Gefühle dieses seines Glücks kam er auf den Einfall, neben andrem auch sein und seines Werkes eigner Geschichtsschreiber sein zu wollen. Diesem Einfall verdanken wir ein, meines Wissens, in seiner Art einzig dastehendes Schriftstück. Energisch und rasch wie in allem, so ging er auch in dieser Sache vor und schrieb eine Geschichte der Entstehung von Gentzrode nieder, die, nach seinem Wunsch und Willen, in den großen vergoldeten Turmknopf des in vorstehendem ausführlich geschilderten Speicheranbaus deponiert werden sollte. Der Ernst, fast könnte man sagen, die Feierlichkeit, mit der er dabei verfuhr, erhellt am besten aus den Einleitungsworten zu dieser »Urkunde«. Dieselben lauten:

»Im Namen Gottes!«


» Im Namen Gottes! Johann Christian Gentz und ich, Alexander Gentz (Sohn Johann Christians), haben das auf den Kahlenbergen bei Neuruppin belegene Gut Gentzrode durch Ankauf von Ländereien im Jahre 1856 begründet und das Jahr drauf mit Herstellung der nötigen Wirtschaftsgebäude begonnen. In den vergoldeten Knopf, den ich dem Turm am Kornspeicher vor Jahren gegeben habe, soll diese Schrift niedergelegt werden und unseren Nachkommen über unsre bisherige Wirksamkeit auf Gentzrode Kunde geben.«

So der Beginn, an den sich, am Schluß des Ganzen, folgende Worte reihn:

»Die vorstehenden, für den Turmknopf am Kornspeicher bestimmten Aufzeichnungen habe ich in den Nächtestunden geschrieben, die mir der letzte Winter gewährte. Der erste Gedanke war, nur einfach in richtiger Reihenfolge niederzuschreiben, wie das alles nach und nach entstand. Im Schreiben selbst aber kam mir dann die Lust zu allerhand Exkursionen, die nun Schlaglichter warfen auf die Personen, mit deren Beschränktheit und Schlauheit ich all die Zeit über zu kämpfen hatte. Was ich im Luch an Torfwiesen erstand, das hatte nur den Zweck des Gelderwerbes, meine Tätigkeit in Gentzrode dagegen war meine Lust und Freude. Zugleich hab ich es ins Leben gerufen, um es zur Grundlage für den Wohlstand und Zusammenhalt einer Familie zu machen, denn der Grundbesitz bleibt das sicherste und stabilste Besitztum.«

So schrieb er damals, ahnungslos, wie bald diese Herrlichkeit und mit ihm der stolze Plan eines andauernden Familienbesitzes zusammenbrechen würde. Die Katastrophe war nah.

Aber ehe wir diese schildern, wenden wir uns dem Manuskript zu, das in den vergoldeten Turmknopf gelegt werden sollte.




3) Von anderer Seite her wird mir über ebendiesen Park geschrieben: Überraschend schön und kühn ist die westlich vom Gutshofe sich hinziehende Parkanlage. Die Verteilung von Rasenflächen und Busch innerhalb derselben, die Gruppierungen von Nadel- und Laubhölzern, endlich die Auswahl der letzteren in bezug auf Wechsel in der Farbe des Laubes je nach der Jahreszeit – all das ist das Resultat eines geläuterten Geschmacks. Entworfen wurde das Ganze von dem verstorbenen Gartendirektor Meyer aus Berlin, ausgeführt aber von Alexander Gentz selbst, der im einzelnen auch zu kleinen Änderungen schritt. Ob zum Vorteil, stehe dahin. Der Park schließt ab mit einer Felsengrotte, zu der mächtige, bis zu fünfzig Fuß hohe Felsblöcke verwandt wurden, um deren Wände sich dichter Efeu rankt.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil