Abschnitt. 1 - Es war ein Rasttag ohne Rast, ...

Es war ein Rasttag ohne Rast, den die reisenden Freunde in Jena hielten, denn da gab es herum zu wandeln und zu sehen genug, und länger als einen Tag wollten sie sich nicht aufhalten. Als sie nach einem guten Abendtrunke die von Musensöhnen belebte Rasenmühle verliessen, führten Otto und die Begleiter sie durch die einfachen alten Baumreihen auf eine Rasentrift, welche den stolzen Namen „das Paradies“ führt. Der Phrat dieses Paradieses ist die bescheidene Saale, die hier sanft hinfluthend die einfachen Uferbilder wiederspiegelt. Es ist ein belebter und beliebter Spaziergang der Jenenser vornehmen Welt, und entfaltet viel idyllische Schönheit. Allein auch in das grünende Paradies blickt wie ein nackter Mauerthurm ein scharfgespitzter Kalkkegel; eine Schneidemühle mit mehren andern Gebäuden gewährt dem Auge angemessenen Ruhepunkt.

Während des Lustwandelns unterliess Otto nicht, die berühmten sieben Wunder Jena’s zur Introduction des Introitus zu machen. Er nannte sie, das wohlbekannte lateinische Distichon gleich übersetzend:


„Altar, Drache und Kopf, der Berg, die Brücke, der Fuchsthurm
Und das Weigelische. Haus, die sieben Wunder von Jena“,

und verhiess, so weit es möglich, sie zu zeigen. „Uebrigens“, sprach er, „hat Jena jetzt ganz andere Wunder aufzuweisen, als jene alterthümlichen Wahrzeichen und Curiosa: eine Menge wissenschaftlicher Anstalten von hoher Bedeutung und Wirksamkeit, welche die Wunder der Erde und des Himmels, der Natur und des Menschen den lernbegierigen Jüngern offenbaren, von denen wir morgen eine und die andere besuchen wollen.“

Im Gasthause zur Sonne auf dem schöngebauten Marktplatze nahmen die Reisenden ihre Wohnung, in welcher sich bald die eingeladenen Freunde Otto’s aus Jena einfanden. Bei vollen Flaschen ächten Rheinweines wurde nun Manches herüber und hinüber erzählt und besprochen. Ein geschichtskundiger Professor theilte Interessantes über den Ursprung der Stadt und deren spätere Zeiten mit. Den erstem datirte er von den Sorben her, welche unstreitig in diese Gegenden streiften und zur Burgen- und Städtegründung Anlass gaben; später fand sich der Ort als Eigenthum benachbarter Burgherren, oft halbirt oder gar geviertelt, und deshalb Gegenstand des Streites, bis Jena an die Nachkommen des Landgrafen Friedrich des Strengen und später an die Sachsenherzoge kam. In einer sehr trüben Zeit, nach der Schlacht von Mühlberg und Churfürst Friedrich des Grossmüthigen Gefangennehmung, wurde hier die hohe Schule, jedoch noch nicht als Universität, gegründet; erst als der Churfürst 1552 wieder frei ward und hierher kam, wurden die besten Hoffnungen auf eine schönere Zeit lebendig, die sich auch im Jahre 1557 erfüllten, wo die feierliche Einweihung der Universität Statt fand, die durch manche wechsel- und drangvolle Zeiträume ihren ehrenhaften Ruf bewahrte. In Jena kam stets das akademische Leben in der Eigenthümlichkeit, welche der jedesmalige Zeitgeist mit sich brachte, zu hoher Blüthe, und in diesen mannichfaltigen Phasen gestaltete sich die Universität immer als ein tüchtiges Ganzes, das sich getrost neben die übrigen Schwester-Hochschulen Deutschlands, ja sogar über manche, stellen konnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen