Abschnitt. 2 - Dort ist auch jenes komische Wunder Jena’s...

Ein anderer Freund sprach sich belehrend über die blühenden Anstalten für Wissenschaft und Kunst aus, die eine Zierde Jena’s sind, während ein Dritter aus dem Schatze seiner Erinnerungen Einzelzüge jener Zeit mittheilte, in welcher Schiller hier lebte und lehrte, Göthe hier anregend und nach allen Richtungen hin fördernd wirkte, Carl August mit Liebe die akademische Freiheit sich entfalten liess und zu den meisten der jetzt bestehenden scientifischen Einrichtungen sichern Grund legte. Endlich kamen auch Schilderungen grossartiger Studentenaufzüge und Comitate, Fahrten nach Weimar, dortiger Theaterscenen, des berühmten Bierherzogthums Lichtenhain, der Landsmannschaften und der Burschenschaft, der Wartburgfeier u. s. w. zur Mittheilung. Der Wein regte an, alte Erinnerungen wurden lebendig, die leeren Flaschen mit vollen vertauscht, das Gaudeamus erklang und unter Gesang und Scherzen kam unvermuthet die Mitternacht herbei, als eben die weinfröhliche Gesellschaft das Burschenlied ertönen liess: Stosst an! Jena soll leben! Hurrah hoch! –

Die deutschen Hochschulen, und vornehmlich Jena, haben eine eigenthümliche Art der Romantik zur Erscheinung gebracht, deren chevaleresken Geist erst eine spätere Zeit gehörig ergründen und würdigen wird, ein zweites Mittelalter voll tiefer Innerlichkeit und kecken Heraustretens aus den Schranken des Alltäglichen, eben so viel Hang zur Wissenschaft und Gelehrsamkeit, als zu Possen und Mummenschanz, zu Sitte und Anstand, wie zu Rauferei und Händelsucht, mit stetem Vorwalten enormen Durstes. Im geistigen Leben dieser Hochschulen ist für künftige Novellendichter eine unerschöpfliche Stofffülle enthalten, die nur Wenige erst ahnen, aber die reichste Ausbeute verheisst. Sollten gutgeschriebene Studenten-Romane nicht ein zahlreiches, antheilnehmendes Publicum finden? –


Der nächste Vormittag sah nun die Freunde, welche die halbe Nacht durchlacht und durchschwärmt, mit sehr gesetzten Mienen durch Jena wandern. Die Universitätsbibliothek mit ihren zahlreichen Schätzen ward zunächst besehen und vor Allem dem Minnesängercodex und den mit seltenen Malereien versehenen Antiphonarien gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dort ist auch jenes komische Wunder Jena’s, der Drache, aufgestellt, ein künstlich aus Skeletten gebildetes Thier der Apokalypse, von gräulichem Ansehen, welches vor einigen hundert Jahren Studenten in den Teufelslöchern, am Fusse der Kernberge, gefunden zu haben vorgaben.

Länger noch als auf der Bibliothek veranlasste Lenz die Freunde zum Verweilen im Grossherzoglichen mineralogischen Museum, und äusserte unverholen seine Freude über den grossen Reichthum dieser Sammlung sowohl, als auch über die Pracht einzelner Exemplare und die grosse Mannichfaltigkeit der Gebirgs- und Steinarten aus fast allen Ländern der Erde. Mit grösstem Antheile wurden die vielen Suiten einzelner Länder betrachtet, und die mündlichen nähern Erläuterungen des kundigen Custos dieser Anstalten gehört. Nicht minder anziehend war die Betrachtung der Grossherzoglichen Petrefactensammlung mit mehren Prachtstücken, darunter vorzüglich ein kleines Stück angeschliffenen Madensteins höchst merkwürdig ist, indem es Blätter des Smolecopteris elegans mit gestielten und gespaltenen Keimkornkapseln zeigt. Auch hier höchst interessante Petrefacten aus fast allen Ländern, oft weit Hergekommenes dem Verwandten nahen Ursprunges zu wissenschaftlichem Vergleiche passend zugesellt. Doch es musste geschieden werden, um mit Uebergehung der zoologischen und osteologischen Cabinette, wie des anatomischen Museums, die Sternwarte und den botanischen Garten noch zu besuchen und Zeit zu einem Ausfluge in die Umgegend zu behalten.

Den Garten der Sternwarte weihen schöne Erinnerungen. Er liegt zwischen dem Neuenthore und der Engelbrücke und war früher Schillers Eigenthum, der hier ein Wohn- und ein Gartenhaus besass und vornehmlich in letzterm gern weilte und dichtete. Aus dem engen Raume dieses Häuschens gingen viele der unsterblichen Schöpfungen hervor, welche Deutschland erfreuten und seine Jugend begeisterten. Schiller hat fast während seines ganzen Lebens sich grosser Prunkräume nicht erfreut; in engen Zellen besuchte ihn die Muse, seine himmlische Freundin, und führte die idealen Gestalten seiner Dramen zu dem Dichter. Als dieser sich so weit durchgekämpft, des Lebens und grössern Besitzthums froh werden zu können, starb er. Eine schöne Fernsicht in das reizende Saalthal hin entschädigte ihn für die beschränktere Häuslichkeit. Hierher, in Schillers Garten, wo der grössten Dichtersterne Deutschlands einer bescheiden glänzte, wurde 1812 die Jenaische Sternwarte gebaut. Als diese und der botanische Garten von den Freunden besehen war, mussten sie eilen, ihr Gasthaus zu erreichen, denn der Himmel hatte sich ganz trüb umzogen und der einfallende Regen drohte die Hoffnung auf einen Nachmittagsspaziergang gänzlich zu vereiteln.

Und es regnete immer noch, als schon der aromatische Duft der Bohnen von Mokka das Zimmer der Freunde mit Wohlgeruch erfüllte. „So macht der Himmel mir die Freude zu Wasser,“ klagte Otto wehmüthig ironisch, während er seinen Gefährten und sich einschenkte, „Euch heute tüchtig zu ermüden und von Thal zu Berg, von Berg zu Thal zu führen. Jammerschade! Welche malerische Punkte, lieber Wagner, hätte ich Dir gezeigt, wenn wir uns bis zum Gipfel des steilen Hausberges, darauf der Fuchsthurm steht, hinaufgearbeitet, und welche Fülle von seltenen Pflanzen aus der hiesigen, wirklich reichhaltigen Flora Dich, lieber Lenz, unterwegs finden lassen! Bei jedem Schritte fast über die secundäre Flötzformation und den Muschelkalk der hiesigen Berge hättest Du eine interessante Versteinerung gefunden, und am Ende hätte Keiner von euch Beiden mir zugehört, wenn ich die Geschichte der drei Kirchbergischen Schlösser auf dem Hausberge oder die der Kunitzburg auch noch so gründlich abgehandelt und die schönsten Sagen dazu und davon euch erzählt hätte.“

Die Freunde gaben dem Sprecher lachend Recht, und Wagner nahm das Wort: „Hört, ich will euch etwas sagen! Wenn es lange regnet, bringen wir hier ungenutzt die Zeit hin. Wie wäre es, wenn wir noch heute weiter führen und liessen es bei dem, was wir bereits gestern und heut von Stadt und Gegend gesehen, bewenden?“

„Ich wäre gleicher Meinung“, äusserte sich Lenz: „ist es uns doch ohnediess mehr um Totaleindrücke zu thun, als um Besehen und Betrachten jeder Einzelnheit.“ „So muss ich sehr um Verzeihung bitten, euch so oft und viel im Verfolg unsrer Reise mit Einzelnheiten belästigt zu haben!“ versetzte Otto scheinbar empfindlich. „Ich danke für dem gütigen Fingerzeig, und nehme ihn ad notam.“

„Nun wahrlich, das fehlt noch!“ rief Wagner. „Ihr seid auf bestem Weg, euch zu zanken! Pax vobiscum! Es ist zwar gar nichts Ungewöhnliches bei derlei gemeinschaftlichen Reisen, doch soll es zwischen uns ungewöhnlich sein. Der Regen wirkt verstimmend, daher hängen sich im Regenwetter die Engländer. Gebt den Farben der Unterhaltung einen hellern Ton! Fahren wir fort?“ – Otto sprach scherzend: „Wenn ich Böses mit Bösem vergelten wollte, so bestellte ich jetzt einen zugemachten Wagen nach Naumburg, sperrte dieses mineralische Herz hinein, liesse euch in Gottesnamen durch das schöne Saalthal kutschieren, spräche im Vorbeifahren: dort oben liegt Dornburg, und bei Camburg: diess ist Camburg, und heute Abend kämen wir in Naumburg an, ohne dass ihr auch nur das Mindeste von den reizend gelegenen Schwesterburgen Rudelsburg und Saaleck, von der freundlichen Saline Kosen, und von dem berühmten Schulpforte gesehen, denn über alle diese Orte führt der gerade Weg nicht. Seht, so habe ich euch in meiner Gewalt, so strafe ich Auflehnung gegen meine wohlüberdachte Führung, wenn euch blos nach Totaleindrücken lüstet, und mein Bemühen euch Vergnügen zu machen, so verkannt wird. Solcher Reisenden weiss ich mehr, die sich einbilden, Thüringen zu kennen, oder gesehen zu haben, wenn sie einmal von Leipzig oder Halle über Gotha und Eisenach nach Frankfurt am Main mit der Eilpost reisten.“

„Ich ergebe mich auf Discretion!“ rief Lenz; die Eintracht war hergestellt, und ein Wagen bis Camburg wurde gemiethet. Bis dieser vorfuhr, war eben noch Zeit für Otto, den Jenaischen Freunden Valet zu sagen. Bald hatten die Reisenden den Musensitz im Rücken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen