Abschnitt. 2 - Es war ganz heimlich und still in dem hohen, kühlen Forst, ...

Es war ganz heimlich und still in dem hohen, kühlen Forst, der Himmel lachte blau herab durch die Tannenwipfel, der Geist der Natur rauschte in den Bäumen. Die Freunde sangen ein Lied:

„Der Wald ist stille, der Wald ist grün,
Die Blätter flüstern, die Blumen blüh'n;
Die Wolken zieh'n, die Wipfel glüh'n,
Die Bäume rauschen im Walde.“


„Im Wald ist Frieden, im Wald ist Ruh';
Die Blumen schliessen die Aeuglein zu.
Und heimwärts flieh'n Vogel und Bien',
Die Bäume rauschen im Walde.“

„Was rauscht ihr Bäume fort und fort?
Sprecht mit dem Wand'rer doch auch ein Wort!
Waldbäume grün, fragt er zu kühn? –
Die Bäume rauschen im Walde.“

„Wer spricht zum Frager, der da fragt?
Wer kündet, was diess Rauschen sagt? –
Die Wolken zieh'n, die Sterne glüh'n,
Die Bäume rauschen im Walde.“

Geräusch wurde laut, Stimmen von Arbeitern; der Boden war mit Schiefertrümmern bedeckt, die Freunde standen am Griffelschieferbruch des Fellberges. Schwarz starrten die Gesteinwände der Brüche, die Lenz und Wagner in dieser Art zum ersten Male sahen. Ein Arbeiter erklärte die Gewinnung, zeigte die scheitgrossen, angefeuchteten und mit Reisern bedeckten Stücke, die sich leicht bis zu den dünnen Griffeln spalten lassen, mit denen wir in der Schule die ersten Schreibversuche auf Sonneberger Tafelschiefer machten und die vier Species der Rechenkunst uns einprägten. Gleich daneben wurde auch ein Wetzsteinbruch besucht und besehen. – Die Wanderer weilten an einem Scheidewege; ein Pfad führte hinab in das Thal der Effelder, zunächst nach dem Eisenhüttenwerk Augustenthal, mit einer Eisengiesserei; der andere nach Steinach. Otto schlug den ersten ein, bald sahen sie die Essen rothe Gluth ausspeien, hörten den Takt des Zainhammers und traten aus dem Walddunkel und der düstern Umgebung Augustenthals auf eine Thalwiese, längs deren das grosse Dorf Hämmern sich hinstreckt. Das Thal wurde immer weiter, ruhiger floss der Waldbach, Mengersgereuth mit einer Marmelmühle wurde erreicht, doch stand schon das Werk, es war Feierabend. Nahe bei der Mühle lagen ganze Haufen kleiner Stücke aus älterem Flötzkalk, viele mit hübschen Dendriten, die, meist von Kindern viereckig geschlagen, zu den runden Marmorkugeln verarbeitet werden, die unter dem Namen Schusser, Schüsser, Märbel u s.w. (jede Provinz hat eine andere vulgäre Benennung dafür) ein Spielwerk deutscher Kinder sind, die aber zu ernstern Zwecken millionenweise nach Holland und über die See versandt werden. Wieder drang vom nahen Hammerwerke Schwarzwald das Tosen der Werke aus dem Thale herauf zu dem Bergpfade längs der Emisleite, deren Schieferbrüche von den heimkehrenden Arbeitern verlassen wurden. Jetzt auf äusserst belebter Fahrstrasse noch durch das Dorf Forschengereuth wandelnd, wurde mit der sinkenden Dämmerung die Meiningische Berg-und Fabrikstadt Sonneberg, mit 340 Häusern in eine Thalenge hingebaut, in welcher die Wanderer nach ihrem tüchtigen und angreifenden Marsche ersehnte Rast fanden, erreicht.

„Sonneberg“, erzählte Otto am andern Morgen beim Frühstück, „hiess früher das Städtlein zu Rotin beim Hause Sonnenberg, welches Haus der Wohnsitz eines mythischen Frankenherzogs, Namens Suno, gewesen sein soll. Das ist fast der einzige romantische Zug, den ich hier zu berichten weiss. Der Lebenspulsschlag Sonnebergs seit früher Zeit ist Handel, Handel, Handel! Der Magistrat des freien Frankfurt lud die Kaufleute Sonnebergs zu den Messen ein und gewährte ihnen grosse Vorrechte, wofür bestimmte Geschenke an Waaren gewährt wurden. Aufzählen will ich Euch die Masse der Waaren, die hier und in der Umgegend gefertigt werden, nicht; sie sind bekannt genug, Holz und Stein, Glas und Metall, Leder und Papier liefern das Material, das auf tausendfache Weise verarbeitet, vom feinsten Kunstwerk bis zum Spielzeug, das man für einen Kreuzer kauft, in alle Welt wandert. Das Meiste wird fabrikmässig gefertigt. Fünfundzwanzig bis dreissig Handelshäuser en gros senden Waaren nach Holland, England, Russland und Amerika, und man kann den Waarenabsatz eines Jahres durchschnittlich jetzt, wo freierer Verkehr herrscht, wohl auf 400,000 Gulden anschlagen. Rechnet man den Absatz der übrigen Fabriken des Meininger Oberlandes, dessen Herz Sonneberg ist, und den Ertrag der Wälder an Bau- und Brennhölzern hinzu, so erhöht sich diese Summe noch über das Doppelte.“

Die Freunde durchwandelten nun mit behaglicher Schaulust das räumlich und gut gebaute Städtchen, das fast nur aus einer einzigen Strasse besteht. Viele stattliche Häuser künden Wohlstand an, und aus freundlichen Anlagen längs der bebauten Anhöhen grüssen bunte Gartenhäuschen herab. Mit dem rothen Thonboden der Aecker wechselt anmuthiges, frisches Wiesengrün, und massige Waldberge schliessen auf drei Seiten die Aussicht, während nach Süden das Thal der Röthen sich in ein gut bebautes, waldloses Hügelland öffnet. Manches Haus wurde betreten, manche Fabrik besehen, und es war interessant, zu sehen, wie z.B. in einer grossen Malerstube Spielwaaren von Hand zu Hand gingen, davon eine das Roth, eine zweite das Blau, eine dritte das Grün an die Figuren malte. Heraustretend aus dem erstickenden Firnissdunst der wegen des schnellern Trocknens stark geheizten Stube, schöpfte Wagner tief Odem und rief: „Ich möchte hier kein Maler sein und Tag für Tag den hölzernen Soldaten blaue Monturen malen!“ worauf Lenz spottend versetzte: „Du würdest zur Abwechslung wohl auch einmal grüne Monturen malen dürfen!“ –

Allzuvieles Schauen ermüdet, und technische Gewerbe, die in Stuben betrieben werden, in denen ganze Generationen ein bleiches, einförmiges und kein Glück irgend einer Art darbietendes Dasein verleben, sind nicht geeignet, eine andere als eine schmerzliche Theilnahme dem einzuflössen, der gewohnt ist, in glücklicher Freiheit zu wandeln und in den Reizen der Natur unverkümmerten Genuss zu finden. Das Merkantile hat nur dann romantischen Anstrich, wenn es in grossartiger Ausdehnung, mitten in einer schönen Natur, mit übermächtiger Gewalt die Elemente sich zinsbar macht, wie, um ein Beispiel anzuführen, die Fabriken des berühmten Maschinenbauers Coquerill im Thale der Maas bei Lüttich.

Neu gestärkt verliessen die Wanderer noch am Vormittag die Kaufmannsstadt und pilgerten thalaufwärts, um dem Laufe der muntern, geschwätzigen Röthen zu folgen, deren lebendige Wellen über Mühlwerke aller Art stürzen, und kamen wieder an zwei Märmelmühlen, auch einer Puppenmassenmühle, anderer nicht zu gedenken, vorbei. Bald hob sich die Chaussee über den Thalweg, der zur Linken blieb, stieg über die Höllenkuppe und leitete nach dem Dorfe Steinach zu. Zur Rechten sahen die Wanderer hinunter in das Thal der Steinach, das belebteste, gewerblichste im ganzen Oberlande, zur Linken hinab auf den einsamen Hof Wibelsburg, in dessen Nähe der Sonneberger Tafelschiefer bricht. Steinach und Obersteinach zeigten sich schon im Thalgrunde; so weit das Auge reichte, gewahrte der Blick mannichfaltige Mühlwerke; beide Orte sind durch solche zu einem einzigen geworden.

Der Tag war heiss, die Sonne stand im Mittag; auf der Berghöhe hatte frischer Luftzug belebend die Wanderer umhaucht, in den Thälern aber lag drückende Schwüle. Prächtige Wolken hingen mit Silberrändern über dem Gebirge, über dem Frankenwalde hing ein Wetter, das aber südlich, nach Kronach zu, hinabzog. Der Steinacher Felsenkeller bot das frischeste, schmackhafteste Bier, der Anker tischte herrliche Forellen auf und Krebse; Krebse, die Cardinäle der Leckerbissen, die roth uniformirte Nobelgarde der Thiere, welche auf des Menschen Tafel getragen werden.

Von Steinach zieht die Kunststrasse, der Thalkrümmung folgend, eine Strecke dem Laufe des wasserreichen Waldflusses entlang, überspringt diesen dann, sich zur Rechten wendend, und biegt in das Thal der Lausche, aus dem die zahlreichen Häuser des Glashüttendorfes Lausche mit ihrer schwarzen Schieferbekleidung an der Wetterseite schon sichtbar werden. Diese eigenthümliche Bauart, verbunden mit oft sehr grotesken Verzierungen von Staniol, der blendend weiss von dem dunkeln Grunde des Schiefers absticht, gewährt ein etwas melancholisches Bild, zumal wenn, wie es bei den Reisenden der Fall war, eine dunkle Wolke vor die Sonne tritt und ein tiefer Schatten die Gegend wie ein Trauerflor überhüllt. „Noch seltsamer ist der Eindruck“, bemerkte Otto, „wenn man zur Winterzeit aus dem blendenden Schnee diese schwarzen Häuser von weitem liegen sieht; sie nehmen sich dann aus, wie Riesensärge auf ein weisses Bahrtuch hingestellt.“

Nicht so ernst, freundlich vielmehr erschienen den Fremden die Bewohner dieses und der benachbarten Waldorte; kräftige Formen, gesundes Aussehen zeichnete die Männer, blühende Schönheit viele Frauen und Mädchen aus. Während die Wanderer sich kurze Rast gönnten, erzählte Otto den Freunden die Geschichte des Ursprungs der bedeutenden Hüttenwerke in Lausche und dem nahen Henriettenthal und Ernstthal, welche jetzt Hunderten nützliche Beschäftigung und guten Erwerb gewähren.

„Ich kann meine Geschichte“, sprach er, „beginnen, wie ein Mährchen. Es war im Schwabenlande ein Mann, der hiess Hans Greiner und lebte am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, in welchem aller Orten die Gräuel des Fanatismus sich in Verfolgung anders Glaubender kund thaten. Auch Hans Greiner, der Lehre Luthers zugethan, musste sein Vaterland flüchtend meiden und suchte eine neue Heimath in den thüringischen Wäldern. Da fand er einen Schicksalsgenossen, Namens Müller, der aus Böhmen gekommen war und die Kunst des Glasmachens aus jenem Lande mit herüberbrachte. Beide Männer vereinigten sich und legten auf dem Gebiete der Pappenheim, die ihr Stammhaus in Gräfenthal haben, die erste Glashütte an. Aber es währte nicht lange, so gab es Streit zwischen ihnen und dem Grundherrn, sie gingen aus seinem Territorium, was mit ein paar Schritten gethan war, und legten ihre Hütten, vom Herzog Johann Casimir zu Coburg begünstigt, da an, wo jetzt das 107 Häuser zählende Dorf Lausche steht, welches nach seinem Waldbache den Namen führt. Erst hundert und fünf und zwanzig Jahre später wurde die neue Hütte bei Henriettenthal durch einen Nachkommen jenes Greiner begründet und Ernstthal zu Ehren des damaligen Herzogs Johann Ernst zu Saalfeld genannt. Bald mehrten sich die Familien der Gründer, Glasmacher und Gesellen siedelten sich an, lange blieb der Schwabenhans im Gedächtniss der Nachkommen, sein Fleiss, seine Geschicklichkeit, seine Ausdauer erbten nicht minder, wie seine Züge, in seinen Nachkommen fort, und seit lange durchklingt der Name Greiner das ganze Oberland. Fragt, wem die übrigen Glashütten zu Alsbach, Gehlberg, Glücksthal und Bernhardsthal, die Porzellanfabriken zu Limbach, Breitenbach, Rauenstein, Schmiedefeld, Veilsdorf, Tettau, wo jährlich 400 Centner Porzellan gebrannt werden, Volkstedt bei Rudolstadt, wo Schiller eine Zeitlang wohnte, und andere ganz oder antheilweise gehören? immer wird Euch der Name eines Greiner entgegentönen, an Schwabenland erinnernd, und immer rühmlich und mit Achtung genannt. Aber auch die Familie Müller zählt wackere Nachkommen, namentlich hier, und es besteht noch nach mehr als zwei Jahrhunderten der Geschäftsverband, der die Gründer einigte. – Wir wollen nun zunächst einige Glasbläser vor der Lampe aufsuchen und erst am Abend den Schmelzofen betreten.“

Es ist höchst interessant zu sehen, aber höchst schwierig zu beschreiben, mit welcher Fertigkeit, mit welcher einfachen, aber sichern und kunstgeübten Technik die Millionen farbiger Glasperlen, glatte, geriefte, runde, längliche, goldne, silberne, stahlblaue u.s.w., die kleinen Stickperlen, welche noch vor einem Jahrzehend die schönen Augen liebender Mädchen und Frauen verderben halfen, und die in den höhern Kreisen von der leichtern Arbeit des Seidenstraminnähens auf eine Zeitlang verdrängt wurden, und die mannichfaltigen künstlichen und niedlichen Glasspielwaaren gefertigt werden. An einem einfachen Tische, unter welchem ein Blasebalg mit einem Tretzuge befestigt ist, der einem rechtwinkelig gekrümmten Löthrohr immerwährenden Luftstrom zuführt, sitzt der Arbeiter; vor dem Schmelzrohre brennt eine Dochtlampe, auf deren starke Flamme der Luftstrom geleitet wird. Manche bedienen sich aber nicht einmal dieses Gebläses, sondern des Mundes mittelst dazu besonders eingerichteter Lampen. Aus den verschiedenartigsten Glasröhren nun werden mit Hülfe höchst einfacher Werkzeuge die mannichfaltigsten Glaswaaren zu Stande gebracht, und so sahen die Fremden da Spielwaaren, anderswo Thermometer, Barometer und ähnliche nützliche Geräthe fertigen; in einem andern Hause wurden Krystallgläser geschliffen u.s.f.

Ueber dem belehrenden Besehen so mannichfacher Verschiedenheiten eines einzigen Gewerbes war der Abend herbeigekommen. Otto führte die Freunde zur Glashütte. Ein sanfter Choralgesang geübter Männerstimmen schallte ihnen entgegen, die Arbeiter sangen ein Abendlied und schickten sich an, in der Nachtkühle ihr Werk zu beginnen; ihnen, den Gluthgewohnten, war Kühle die Hitze, die den Fremden beim Eintritte kaum erträglich schien, bald aber gewöhnt man sich an die erhöhte Temperatur. Lodernde Kienfackeln beleuchteten mit grellen Lichtern das Haus und die bis zum Gürtel nackten, geschwärzten Arbeiter. Ein malerisches Nachtstück! Alles rührte sich nach beendigtem Gesang in schweigsamer Thätigkeit; aus den glühenden Häfen, in denen die flüssige Glasmasse in der Feuerhölle inmitten der Hütte stand, nahmen mit ihren langen Eisenpfeifen die Arbeiter die zähe Masse, schwenkten sie und bliesen sie auf, während andere mit allerlei Eisengeräth dem weichen Glase die nöthige äussere Form geben halfen. Auch den Besuchenden wurde freundlich angetragen, sich selbst Reiseflaschen zu blasen; sie thaten es, aber mit ungeübten Lungen, und der Glasbläser musste das Beste dabei thun. Wieder begann Gesang, wobei jedoch Niemand müssig blieb, sondern fort und fort ging unter Klirren und Klopfen, Singen und Klingen, Schwirren und Rasseln die Arbeit ihren Gang. Wagner skizzirte sich rasch das bewegliche Bild mit den grellsten Lichtern und den tiefsten Schatten, und sprach, als die Hütte verlassen wurde: „Ich wundere mich, dass unsere Maler nicht mehr Nachtstücke liefern. Glashütten, Eisenhämmer, Schmelzöfen, letztere meist neben rauschenden Waldbächen, schaumstäubenden Mühlrädern, wo das vom Feuer grell, oder vom Mond sanft beleuchtete Wasser herrliche Effecte macht, bieten den wechselvollsten Stoff, die Hüttenarbeiter und allenfalls dazu kommende Reisende, etwa auch Damen, langgliederige Ladies und kurzhalsige Dandies die bunteste Staffage und den Reiz des Contrasts. Nächstens versuche ich mich an solchem Bild und male eine Amazone, deren Pferd im Clairobscur vor der Hütte schnaubt, wie sie eine Glashütte besieht und sich eine Whiskyflasche bläst. Die Hütte muss einsam im Walde stehen, umrauscht von dunkeln deutschen Tannen, durch die, von bethauten Farrenkräutern umbuscht, ein Bergbach sich über Wacken und Granitblöcken Bahn gebrochen.“

„Male doch lieber uns Drei darauf“, ermahnte Lenz, „und ein schönes deutsches Mädchen! Dandies, Incroyables und Amazonen passen nicht in diese Gegend, besuchen sie auch schwerlich, folglich dürfte Deinem Bilde der Reiz der Wahrheit mangeln.“
„Es geschehe also“, versetzte Wagner mit leichtem Spott; „ich werde malen, was Du wünschest, und Dich, naturforschenden Beschäftigungen obliegend, dazu.“

Die Wanderer sprachen im ländlichen Gasthause der Lausche ein und fanden dort Gelegenheit, sich noch lange mit Fabrikarbeitern, Glasbläsern, Forstmännern und Holzleuten über ihre Beschäftigungen und den Wald überhaupt zu unterhalten, und ihre Kenntniss von einem so gewerbthätigen Theile Thüringens, wie das Meininger Oberland ist, erwünscht zu bereichern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen