Abschnitt. 1 - Zur linken Seite den waldigen Höhenzug des Gebirges, ...

Zur linken Seite den waldigen Höhenzug des Gebirges, zur rechten massige Kalkhügel und die sanft durch das Wiesenthal sich hinschlängelnde, hier noch sehr kleine Werra, fuhren die drei Reisegefährten wieder über Hessberg und einige andere Dörfer auf gut gebahnter Kunststrasse dem Walde zu und erblickten bald den hohen Wartthurm des Eisfelder Schlosses, der, frei in dem alten Burghofe stehend, genau so viel Fuss hoch sein soll, als sein Umfang zählt, und erreichten die fast ganz neu gebaute Meiningische Stadt Eisfeld von 335 Häusern und 2762 Einwohnern, bei guter Zeit. Ein Theil der Mauerwerke des alten Schlosses, früher Wittwensitz der Herzoginnen von Hildburghausen, bot während der kurzen Rast, die sich die Freunde hier vergönnen wollten, dem fleissigen Zeichner ein malerisches Bild, und eben so wurde ein Denkmal nicht unbesehen gelassen, das, an eine ewig denkwürdige Zeit erinnernd, die bescheidene Gottesackerkirche zu Eisfeld aufzuweisen hat: das des berühmten Dr. Justus Jonas, Luthers Zeitgenossen und wackern Mitstreiters, der in Eisfeld als Superintendent starb.

Otto erzählte während der Weiterfahrt den Genossen, was Eisfeld im dreissigjährigen Kriege erlitt. Die Völker Wallensteins brannten das Städtchen grösstentheils nieder; Ungarn, Croaten, das Cambrische Regiment und Schweden verheerten nach einander Stadt und Land und trieben die Einwohner in die Wälder, so dass sich nur schwer und allmälig der Ort wieder erholte.


Nach der kurzen Fahrt einer Stunde grüsste die Reisenden abermals eine schöne Burgruine von massiger Höhe herab: der Schaumberg, der über dem Städtchen Schalkau aufragt; in diesem wurde der Wagen entlassen und die Fusstour wieder begonnen, denn es winkte der Wald, der herrliche, rauschende, mit seinen zahllosen Hütten und Hämmern, in welchem sich's so anmuthig wandert. Schalkau mit seinen 126 Häusern und 922 Einwohnern bot ausser der schönen gothischen Kirche kaum etwas Sehenswerthes dar; aber Otto bewog die Freunde, ihm zur Ruine Schaumberg zu folgen, dem einstigen Sitze von Rittern gleiches Namens. Die Besucher kamen über den geschmackvoll angelegten Ida's-Platz am Fusse des Berges, zum Gedächtniss eines schönen ländlichen Festes so genannt, und hatten bald die Höhe des Burgberges erstiegen. Die Burg war kastellartig erbaut, mit runden Mauerthürmen und einem merkwürdigen Wall umgeben, welcher nämlich geräumig hohl war, so dass Volk und Vorräthe sich in ihm bergen konnten; ausserdem zeugten noch ein ziemlicher, doch nicht hoher Wartthurm und ansehnliche Mauerreste von dem grossen Umfange der Burg. Den Freunden, die auf der Höhe des Walles sich der pittoresken Aussicht auf den freundlichen Itzgrund, seine ausgebreiteten Wiesen, den nahen, vom Pless oder Bless (2668 Fuss über d. Meeresfl.) und dem Kieferle (2717 F.) überragten Wald und auf mehr als 16 im Thalgrunde verstreute Dörfer und Höfe erfreuten, erzählte Otto, dass Burg Schaumberg im dreissigjährigen Kriege durch die Kaiserlichen unter dem Marchese di Grana zerstört wurde. „Alles kündet hier den Untergang durch Feuer“, sprach er; ,,vor mehrern Jahren ergab eine Nachgrabung auf diesen Trümmern keinen andern Fund, als in der Glut verglastes oder geschmolzenes Geräth; eine Kanonenkugel von sechzig Pfund Schwere ward aufgegraben, nebst mehren kleinern.“ – Hierauf wandte sich der Erzähler zum nächstvorliegenden Reiseplan, indem er sagte: „Wir könnten Tagelang in den Gründen dieses Theils der Thüringer-Waldkette umherpilgern, jeder Tag würde uns Neues und Sehenswerthes bieten, des Romantischen freilich weniger, als des Gewerblichen; dieser Theil Thüringens ist neben ungeheurer Betriebsamkeit doch der ärmste, weil er der rauheste, unwirthbarste ist. Alles Wohl und alles Weh, das im Gefolge zahlreicher Fabriken geht, findet sich auch hier; ein armes Volk, auf die Kartoffel als Nahrungsmittel fast einzig hingewiesen, in Missjahren und harten Wintern oft bitterm Mangel Preis gegeben, neben reichen und glücklichen Brodherren. Hier arbeitet Alles, Kinder von zartester Jugend an, und Greise und Mütterchen sind noch mannichfach thätig. Der Wald hier oben hat einen ganz andern Charakter, als jener Theil, durch den ich Euch vom Dolmar aus führte; die Schieferbedeckung und Schieferbekleidung der Häuser in Städten und Dörfern, mit weissen Blumen, Arabesken und Inschriften, gibt diesen etwas ganz Originelles; der mindere Wohlstand lässt uns Schaaren von kleinen Kindern selbst bei rauher Temperatur in völliger Nacktheit, wie junge Wilde erblicken, in der sie sich jedoch immer besser ausnehmen, als in Lumpen; dabei ist bei aller Armuth des Volkes ein reicher Kindersegen bemerkbar: eine Ausgleichung des Himmels für manches andere entbehrte Glück, denn je mehr Hände zur Arbeit, um so besser, es kommen doch in der Regel erst zwei Hände auf einen Mund. Aus diesem Hochlande, sowohl aus dem Meiningischen, als noch mehr aus dem Koburgischen Antheile, sind in der neuesten Zeit viele Leute nach Amerika ausgewandert, Begüterte und Unbegüterte, und es ist zu hoffen, dass es diesem einfachen, thätigen Volke, das gewohnt ist, der Natur ihre Gaben durch Fleiss und Ausdauer abzutrotzen, in der neuen Heimath wohlergehen werde.“

„Das wollen wir allen unsern deutschen Landsleuten von Herzen wünschen“, nahm Wagner das Wort. „Es ist ein schwerer Schritt, dem Vaterland auf Nimmerwiedersehen Valet zu sagen, vom alten wohnlichen Heimathheerde zu scheiden, um in irgend einer halben oder ganzen Wildniss einen neuen zu gründen, wo sich's doch bei Vielen fragt, ob die heimathlichen Laren sich übersiedeln lassen wollen?“

„Ein trübes Thema“, sprach Lenz, „so reich an tiefem Schmerz, wie an hohen Hoffnungen, Völkerkrankheit und Völkerheilung; Fingerzeig der Gotteshand und Mene Tekel zugleich. Ich habe nie in das ubi bene, ibi patria stimmen können!“ „Auch ich nicht!“ bestätigte Otto. „An irgend Etwas muss der Mensch sich mit allen geistigen Organen klammern, ein Einzelnes muss er lieben, und Heimathliebe ist eine Tugend. Darüber schrieb mir jüngst eine gemüth- und geistreiche Freundin wahre und schöne Worte: Wer nicht Etwas auf Erden über Alles liebt – ist wohl schwerlich fähig, das Ganze zu lieben, und die Weltbürger neuester Sorte strafen diese meine Behauptung wenigstens nicht Lügen, denn sie lieben Nichts, als sich selbst, und ihre Wetterfahnennatur hält in der Eile, mit der sie sich nach dem Winde ihres Vortheils dreht, nicht einmal dem Scheine des Gegentheils, womit sie ein Weilchen bestehen könnten, lange Stich. Die wahrhaft edeln Geister aber, die als Ausnahmen gelten können, sind rar, oder schmachten gefesselt. – Mancher jedoch wandert aus, mit glühender Heimathliebe in der wunden Brust, für die kein Heilkraut in den Savannen und Urwäldern Amerika's wächst.“

Sehr ernst gestimmt schritten die Wanderer den Burgberg herab, und die nächste Stunde sah sie dem Dorfe Grümpen zueilen, das am Bache gleiches Namens in einem düstern Thalgrunde liegt, den die Reisenden aufwärts verfolgten. Doch begünstigte heiterer Himmel die Wanderung; der Fusspfad krümmte sich oft über grünende Wiesen hin, und der Mineralog wurde aufmerksam auf viele grösstentheils beras'te Haufen von Sand und Gerölle am Ufer des murmelnden Bergflüsschens. Otto gab ihm darüber Aufschluss, indem er berichtete, dass vor Zeiten hier Seifenwerke (Goldwäschen) bestanden und der Berg zur Linken noch den Namen Goldberg führe. „Dieser Goldberge, Silberberge, Bäche und Quellen gibt es im Thüringer-Walde viele“, erläuterte er, „das Vorwalten der Bergmanns-Traditionen ist hier ausserordentlich, daneben auch noch ungemein viel Aberglaube im gemeinen Volke, der immer am meisten in Thalschluchten und Waldengen haften blieb. Es hat der Volksaberglaube bei aller Verwerflichkeit in moralischer und ethischer Beziehung doch eine hochpoetische Seite; er ist Nachhall der wunderbaren und räthselhaften Naturstimme, die das Menschenherz in den frühesten Zeiten schon durchklang und durchzitterte, und darum selbst so unerklärlich, weil das Unerklärliche sein weites Reich ist, darin er herrscht und waltet, ein über- und ein unterirdischer Dämon zugleich.“

Aus der Enge eines Seitenthales der Grümpen, in das die Wanderer einbogen, ragte über dem Dorfe Rauenstein höchst malerisch die Burgruine Rauenstein empor, mit hohem, halb zertrümmertem Thurm und wenigem Gemäuer; dicht unterm Burgberge leuchten die weissen Wände des Thalschlosses, das von den Herren von Schaumberg aufgeführt wurde, als der dreissigjährige Krieg das Bergschloss gebrochen, der im Meininger Oberlande die Zerstörung übernahm, die im Unterland ein Jahrhundert früher der Bauernkrieg mit den Ritterburgen übte. Otto lenkte den Schritt der Freunde, nach einer nöthigen Erquickung, zunächst zur grossen, 1785 angelegten, Greinerschen Porzellanfabrik, die den Wohlstand nicht nur des früher sehr dürftigen Dorfes Rauenstein, sondern auch der nahen Umgegend, vortheilhaft hob. Der Bach treibt hier ein Pochwerk, das neben der Fabrik liegt und zu ihr gehört. Diese, eine der blühendsten des Thüringer-Waldes, beschäftigt, ohne Taglöhner und Holzarbeiter, über 120 Menschen, deren Arbeitslohn sich jährlich auf 30,000 Rthlr. beläuft. Ihr Inneres wurde besehen, die Reisenden durften alle Arbeitsstuben durchwandern; Wagner aber blieb zurück und trug von Burg und Dorf eine Zeichnung in sein Skizzenbuch. Die Fabrik hat drei grosse Oefen nach thüringischer Einrichtung, im Gegensatze zu der englischen. Es bedurfte nur eines kleinen Fussweges, um wieder in das sich immer mehr verengende Waldthal der Grümpen und den Theuerngrund zu gelangen, in welchem die Reisenden wacker aufwärts schritten. Dort ist Thonschiefer das vorwaltende Gestein; die Gegend trägt einen ernsten, melancholischen Charakter, einsam rollt der Bach und mit einförmigem Geräusch seine Wellen, ihm zur Linken zieht die chaussirte Strasse neben mehren Mühlwerken hin. Von beiden Seiten fallen Bäche in das Thal.

„Ich würde Euch“, sprach Otto zu den Freunden, „gar nicht in diese Einöde und zu dem kleinen, nur 75 Häuser zählenden Stadtflecken Steinheide, den wir in Kurzem erreichen werden, geführt haben, da wir nachher gerade entgegengesetzte Richtung einschlagen müssen; allein ich wollte Euch gern so viel als möglich von meinem geliebten Thüringen zeigen; es ist unmöglich, auf gerader Linie das Meininger Oberland kennen zu lernen, es muss auf Kreuz- und Querzügen geschehen, und zum Glück wandelt sich's in der Abendkühle und auf dem Moosteppich der Wälder überaus angenehm.“

Die Freunde versicherten, durchaus nicht müde zu sein und dass ihnen die Fusswanderung bergauf und bergab grosses Vergnügen gewähre. Nur kurze Zeit konnte in dem Städtlein „auf unser lieben Frauenberge“, wie Steinheide früher hiess, gerastet werden; man wollte noch Sonneberg erreichen. Der Ort Steinheide sah früher eine bessere Zeit; der Bergsegen schüttete auch über ihn sein reiches Füllhorn, über tausend Bergleute wohnten hier, jetzt ist er verarmt; alle Gruben kamen zum Erliegen und die Einwohner müssen meist ihren Erwerb in der Nachbarschaft, in Fabriken und beim Steinbrechen suchen.
Von dem 2,523 Fuss hohen Frauenberg, auf dem Steinheide liegt, stiegen die Wanderer auf schattendüstern Waldwegen nieder. „Wenn ich Euch alle Bergsagen aus der Gegend um Steinheide erzählen wollte, die ich weiss, ich würde vor Abend nicht fertig“, sprach Otto. „Vom Silbergeheg, vom Sonnenthal, von der Sackpfeife, überall Traditionen von Schätzen und Erzgängen. Im ungeheuern Thal oder wüsten Adorf fingen einmal einige Einheimische einen Venetianer und bedräuten ihn hart, dass er ihnen offenbare, wo die Bergschätze verborgen. Gezwungen ging er mit, doch als sie an den Ort kamen, begann in Wald und Lüften ein entsetzliches Brausen und Toben und der Wale stürzte, von epileptischen Zuckungen ergriffen, zu Boden, dass seine Peiniger meinten, er werde unter ihren Händen sterben. Da liessen sie ab von ihm und gingen eilig von dannen, ohne Frucht ihrer Gewaltthat. –“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen