Kanow, 28. August.

Um fünf Uhr weckte mich in der ,,Goldenen Kugel“ langgezogenes, oft wiederholtes Hörnergetute, dann trappte es vorbei, muhend, es waren die Kühe. Mein Gasthof liegt nahe am Schloß, war gewiß ehemals der erste, der englische Reisende Nugent mag hier übernachtet haben, bestieg hier geschmeichelt und befriedigt den ihn nach dem Schloß abholenden Hofwagen.

Junge Mädchen gingen mit Badezeug vorüber, ich folgte ihnen, schwamm im tiefklaren See. Eine alte Badefrau betreute uns, zehn Pfennige kostete, alles einschließend, das Bad. Darauf besah ich mir die ehemalige Johanniter-Komtur, das nachmalige Schloß. Durch ein wappen-geschmücktes Torhaus gelangte ich in das Gebiet; gute altmodische Verwaltungsgebäude, dahinter das um die Mitte des Achtzehnten erbaute Schloß. Einfach aber ansprechend, zwei Seitenflügel, ein gebrochenes Dach, Steinstufen, eine verschnörkelte Tür, mit prächtig ziselierten eisernen Klinken. Eine grauhaarige Kastellanin führte mich umher, hatte sichtliche Freude an dem ihr unterstehenden kleinen Reich. Bequem geführte Treppen mit weißem geschweiften Geländer führten in wohnliche Räume und in die durch die ehemaligen Heizverhältnisse gebotenen kleinen Kabinette. Alle waren mit groben, aber flotten, vergoldeten Schnitzereien verziert, mit Malereien, auch mit lustiger handgemalter Glanzleinewand behangen oder mit guten alten Tapeten. Derbfröhlich strampelten (anders läßt sich das nicht ausdrücken) Stuckamoretten im großen Saal, überall gab es gutes Parkett, eingelegte Möbel aus der Mitte und aus dem Ende des Achtzehnten, vortreffliche Öfen und Kamine. Provinz, aber doch aus geschmackvoller, künstlerischer Zeit. Im neunzehnten s, denn die vereinzelten Proben von Neueinrichtungen waren kläglich. Bilder erzählten von einstigen Bewohnern: da hing Dörchläuchtings närrischer Vater und seine berüchtigte Mutter, eine Sachsen-Hildburghausen. Schlecht war ihr Gesicht, harte Augen, ein lasterhafter Mund, entsprach ihr Lebenswandel auch nur annähernd ihrem auf uns gekommenen Ruf, war sie die liederlichste Fürstin einer bedenklichen Zeit. In Anbetracht dieser Eltern fielen die Kinder erstaunlich gut aus. Die Prinzen waren gewandte, vielgereiste, elegante junge Herren, und wenn auch der älteste, der achtundzwanzigjährige Adolf Friedrich der Vierte, ,,Dörchläuchting“, zweifellos etwas töricht ausfiel, war auch er gebildet, vielgereist. Er beherrschte mehrere Sprachen, hatte ,,eine majestätische Haltung“, ging prächtig gekleidet, ,,höchste Freude war es ihm, Gutes zu tun“. Seine Schwester Charlotte füllte als Königin von England ihre Stellung glänzend aus, wurde in ihrer neuen Heimat geliebt und bewundert. ,,Christel“ hatte neben ihren gelehrten Neigungen ,,scharfe Beobachtungsgabe“, schön und hoch gewachsen, wird ihr vorzügliches Tanzen hervorgehoben. Diese gelehrten Neigungen waren in der Hofgesellschaft keineswegs vereinzelt. Sammlungen und wohlgefüllte Büchereien befanden sich sowohl bei Edelleuten wie bei bürgerlichen Honoratioren, der Hofmarschall war edeldenkend und hochgebildet, war Philosoph, Minister von Dewitz begünstigte Künstler und Gelehrte, richtete jedoch vor allem sein Augenmerk auf ,,Kommerz- und auf Manufakturware“, auf landwirtschaftlichen Fortschritt. Eine überaus fein durchdachte Schilderung des ,,vollendeten Hofmannes“ entwarf dem fremden Gast der mecklenburgische Graf B. Hübsche, aristokratisch wirkende Damen der Hofgesellschaft werden erwähnt, die interessanteste unter ihnen war Frau von Grabow, ehemalige Erzieherin der Prinzessinnen. Sehr kenntnisreich, besaß sie eine größere Bibliothek, las viel, sprach nicht nur das Französische, sondern auch das italienische fließend, beklagte Nugent gegenüber die Leibeigenschaft, erwünschte sich die Befreiung des Bauernstandes. Mit der ,,Würde und Hoheit ihres Standes“ vereinigte sie die zuvorkommendste Liebenswürdigkeit, empfing gern und häufig Gäste. Frau von Kospoth war gesprächig, unterhaltend, munter, ,,sehr fein im Umgang“. Und die entzückendste Dame war Frau von Dewitz, Gattin des Ministers. Offenkundig verliebte der Engländer sich in diese ,,Engelgestalt“ mit ihrer ,,Silberstimme“, ihrer vollendeten Haltung, ihrem liebenswürdigen Wesen.


So ging es in Wahrheit hier zu, so war in Wirklichkeit Dörchläuchtings Hof. Aber wer fragt danach? Es siegt die geniale Karikatur. Nun ließ ich mir die Schloßkirche zeigen; oft werden unsere Kirchen der letzten Jahrhunderte noch von unseren Behörden, ,,weil künstlerisch belanglos“, in Frieden gelassen, sind darum noch harmonisch und echt. Nicht ohne Aufwand ist um die Mitte des Achtzehnten, als Mirow seine Glanzzeit erlebte, der ursprünglich gotische Bau hergerichtet worden. Es umgab flott geschwungenes Rankenwerk die Kanzel, von Engeln gesegnete Wappen hingen hernieder, gestenreiche Apostelstatuen wirkten etwas grotesk.

Verwildert wucherte der Park, zwischen den Stämmen erglänzte der See.

Dann setzte ich die ,,Formosa“ instand; der Sohn des Seminardieners und dessen Freund baten, ,,etwas mitfahren zu dürfen, sehr artig steuerte der eine Knabe, der andere saß hinter mir. Anscheinend fanden sie dies sehr unterhaltend, sagten von Zeit zu Zeit ,,fein!“. An der nächsten Brücke stiegen sie, höflich dankend, aus.

Günstig war der Wind nicht gerade. Manchmal sauste ich dahin und saß, ehe ich mich versah, mitten im Schilf, aus dem ich mich dann mühsam mit herabgelassenen Segeln entwirren mußte. Oft ging es sehr ,,sachtig“, oft gar nicht.

Schönes Wetter und eine herzerfreuende Gegend, bald flußartig mit Wasserrosen und Wiesenblumenrand, bald ein stiller Waldsee. Oft konnte ich nicht das rautenförmige Einsahrtzeichen ersehen, trieb mich, zwecklos genießend, in der Wasser- und Waldschönheit umher. Endlich versagte der Wind gänzlich, rudernd erreichte ich den, vielleicht allerschönsten dieser vielen Seen, den Labussee. Eine opalglatte Flut, über dem Wald lilagrauer Dunst, in dem mennigrot eine kreisrunde Sonne erlosch. Ringsumher Hochwald mit Vorsprüngen und Buchten, am Wald zog sich in seinem blassen Blaugrün das Schilf entlang. Violettrot zeichneten sich die Föhrenstämme, hier und da stiegen die Ufer empor, Waldtauben girrten eindringlich und sanft.

Auf der in allen Abendtönen spielenden Flut schwammen, fast unmerklich segelnd, vor mir zwei mächtige schwerbeladene Kähne, der eine hochrot, der andere tiefschwarzbraun mit veronesergrünem Kajütenhäuschen und schlohweißen Fenstern, Frauen in weißen Helgoländern steuerten, tiefgebückt stakten die Männer. Unmerklich vergehend spiegelten sich die Kahnumrisse im Wasser. Lautlose Schönheit.

Dann kam ich an einen Vorsprung, sah die rotbraunen Dächer von Kanow, in einer schmalen Waldbucht wateten schwarzweiße Kühe. Ein Fischerboot fuhr hinüber, stehend ruderte ein blaugekleidetes junges Mädchen, im Bug saßen drei gelbhaarige rosige Kinder, hell klangen ihre stimmen herüber.

Beim Schleusenmeister landete ich, ging umher, besah mir das erhöht zwischen den Seen sich erstreckende Dors. Eine Terrafse mit alten Baumreihen wies auf ein jetzt verschwundenes, ehemals prächtig gelegenes Schloß, leider waren einige der Dorfhäuser so geschmacklos, daß mir die Nähe unserer mißleiteten Mark gewärtig wurde. Unerfreulich war auch das Gasthaus, der Wirt, der Schmied und noch ein anderer Eingeborener setzten sich zu mir, und während solche Gespräche im allgemeinen anregend verlaufen, ödeten mich die drei an, ergingen sich nur in Bedauern über mein ,,langweiliges und ängstliches Alleinfahren“. Immerhin wurde mir eine durchaus anständige, saubere Bodenkammer angewiesen, und vor dem Schlafengehen draußen unter den Baumterrassen umherwandernd, genoß ich Mondlicht über dem blassen See.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland