Mirow, Zur Goldenen Kugel, 27. August.

Um sechs Uhr aufwachend, sah ich golddunstige Morgenluft, schwarz-weiße Kühe zogen des Weges. An der Schleuse kletterte ich auf den Kahn, wurde von der versammelten Schifferfamilie freundlichst begrüßt, ließ mich auf der so unheimlich schwankenden Hängeleiter in die ,,Formosa“ hinunter, wurde durchgeschleust und segelte davon.

Es war eine selten hübsche Fahrt, ein See folgte dem andern, wurde durch Wasserläufe verbunden. Jeder See hatte einen anderen Grundton; einige waren von Wäldern umschlossen, andere hatten Wiesen- und Feldufer mit einzelnen Bäumen - Mecklenburg ist ein liebliches Land.


Meistenteils konnte ich segeln, ja, manchmal packte eine scharfe Brise das Segel, und ich flog nur drüber hin. Es war einsam, gelegentliche Fischernetze erinnerten an Menschen, Wasservögel wirkten jedoch als Gebieter dieser Seen. Gurrend flatterten sie dicht über der Fläche, flogen in großen Zügen herbei, überall erklang das zierliche Pin Pia, das Piut Piut-Gezwitscher, Wasserrosen, Binsen, Kalmus, Wasserbuchweizen und Wasserranunkeln blühten und sproßten zwischen dem Schilf. Dann sah ich den Turm des Mirower Schlosses, segelte um den Park und in den Burgwall hinein. Große dunkle Bäume beschatteten den Kanal, aus netten Häuschen kamen Frauen, betrachteten mich überrascht. Dem Seminardiener oder vielmehr, da dieser eingezogen, seiner Strohwitwe, konnte ich die ,,Formosa“ anvertrauen, in der stillen Schloßstraße stand auf einem der niedrigen, altmodisch guten Häuser ,,Zur goldenen Kugel“. Das entsprach so recht meinem Geschmack, alles war stilvoll einfach, in meinem Zimmer stand ein begehrenswerter Ofen aus geflammten, purpurbraunen Kacheln, an den Eckchen eingelassene kleine Halb-säulen.

Nun hatte ich Lust, mir das nahe Neustrelitz anzusehen, und fuhr nach Tisch hin. Das meiste ist von einer anständigen Alltäglichkeit, einige der älteren Teile sind erfreulich, und der Marktplatz wirkt noch einheitlich echt. Trotz des erschütternd schlechten Kirchturms, den Schinkel nicht in gutem ,,Schinkelstil“, sondern freier Eingebung folgend, verbrach. Das alte, einfach klassizistische Schloß ist von mannigfaltigen Bauten und Anbauten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts umgeben. Ein ansprechender Fleck Erde, zwischen Lindenstämmen glänzte im Nachmittagslicht ein waldumgebener See, in lieblicher Reinheit erhob sich ein griechisches Rundtempelchen, bei der Orangerie dehnten sich flotte Barockstatuen unter dem Schattengrün. Im alten Schloß mit dem Säulenportal hat Dörchläuchting gewohnt. Eine Mecklenburgerin erzählt, wie ihre Vorfahrin, als junges Mädchen zum erstenmal an Hof gehend, mit ihrem gewaltigen Reifrock dort der Portechaise entstieg. An und für sich schon eine schwierige Sache, aber nun stand noch am Fenster Serenissimus und sah neugierig zu.

Um halb elf Uhr war ich wieder in Mirow, in strahlendem Mondschein lagen die altmodisch verträumten Häuschen dieser kleinsten aller Residenzen, keine Laterne brannte, kein Licht durchkreuzte die Helligkeiten und Dunkelheiten der Mondbeleuchtung. Mondscheinzauber verschwindet rettungslos aus den Städten, so in Rom, so selbst in Nikko bei den prachtvollen Schogungräbern. Sie beglückt nur noch die abgelegenste Provinz.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland