Im freundlichen Imperial-Hôtel in Lavaletta abgestiegen, mussten wir nun freilich in Malta längere Zeit bleiben, ...

Im freundlichen Imperial-Hôtel in Lavaletta abgestiegen, mussten wir nun freilich in Malta längere Zeit bleiben, als wir, wenn es nach unserem Wunsche gegangen wäre, beabsichtigt hatten; aber mit Malta hat der regelmässige Verkehr ein Ende, wenigstens wenn man nach Tripolis will, und man muss sich den Launen der türkischen Dampfschiffs-Eigenthümer, sowie dem Wetter fügen.

Indess kann man die Zeit in Lavalletta und Malta recht gut hinbringen. Freilich bietet die Stadt für einen Nichtmilitair des Interessanten nicht viel. Das Palais des Gouverneurs, ehemals das des Grossmeisters der Johanniter, die Johanniskirche, einige Palläste der ehemaligen Zungen, besonders das castilianische Hôtel, einige hübsche Promenaden, zwei Bibliotheken, endlich Oper und einige Clubs gewähren wohl für einige Tage dem Fremden Unterhaltung, wer aber all dies von früher her schon kennt, und ich war nun schon verschiedene Male in Lavalletta gewesen, der sehnt sich nach etwas Anderem. Dazu kömmt nun noch, dass an keinem Orte von Europa die Familien so abgeschlossen und für den Fremden schwer zugänglich sind, als in Malta. Längere Zeit unter der Herrschaft der Araber, wie ja auch heute noch die Volkssprache auf Malta ein arabischer Dialekt ist, halten die Familien ihr Haus dem Fremden fast so fest verschlossen, wie es der Mohammedaner einem nicht zu seiner Sippe Gehörigen thut, und trotzdem ich mehrere Bekannte in Lavalletta hatte, war es mir nie gelungen, Eingang zu ihren Familien zu bekommen. Natürlich nehme ich die dort residirenden Engländer hiervon aus, welche auch hier wie überall ihre gastlichen Eigenschaften beibehalten haben.


Wer nun aber längere Zeit einen gezwungenen Aufenthalt auf diesen Inseln haben sollte, der bleibe nicht in der Stadt, sondern mache Ausflüge, und ob er diese zu Fuss mache, oder mit jenem antiken Einspänner ohne Springfedern, er wird seine Spaziertouren nicht bereuen. Malta hat die lieblichsten Buchten, viele interessante Ruinen aus phönicischer Zeit, von denen ich hier nur Hedjer Kim, Mnaidra und die merkwürdige natürliche Einsenkung Makluba nenne. Auch Gozzo mit seinem ebenfalls aus phönicischer Zeit stammenden Riesenthurm ist eines Besuches werth; kurz wenn man nicht seinen Aufenthalt auf Lavalletta selbst beschränkt, kann man 14 Tage recht gut auf Malta hinbringen.

Erst am 11. December war der „Trabulos Garb“, ein türkischer Dampfer, welcher dem Schich el bled von Tripolis gehört, segelfertig. In den Wintermonaten ist es gar nicht angenehm und oft sehr gefahrvoll auf dem Mittelmeere, und Jeder erinnert sich noch wohl der heftigen Stürme, welche gerade in dem Monat auf unserer Hemisphäre stattfanden. Zudem kam noch, dass „Trabulos Garb“ so eben erst eine unheilvolle Katastrophe erlebt hatte: Von Smyrna abgehend mit für Tripolitanien bestimmten Soldaten, sprang der Kessel noch ehe der Dampfer den Hafen verlassen hatte. Der Maschinist, die Heizer und über 50 Soldaten waren augenblickliche Opfer, wie viele aber noch später starben infolge von Verwundungen, hat man nie erfahren können; in dem türkischen Reiche kümmert man sich um dergleichen nicht. Andererseits bot jedoch jetzt das Dampfschiff eine gewisse Garantie, denn in den Docks von Lavalletta mit einem neuen Kessel versehen, durfte man annehmen, dass das Schiff nur seetüchtig entlassen worden sei. Ueberdies war es das einzige Mittel, um nach Tripolis zu kommen, wenn man nicht mit einem Segelschiffe, die im Winter jedoch noch weit gefährlicher und unsicherer sind, die Fahrt hätte machen wollen.

Die Einpackung und Verladung der vielen Kisten hatte unser norddeutscher Consul, Hr. Ferro, schon besorgt, und überhaupt während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Malta sowohl als auch später in Tripolis nicht aufgehört, auf das Liebenswürdigste sich meiner Sache anzunehmen.

Unsere Ueberfahrt nach Tripolis war eine sehr gute, schon nach 30 Stunden erreichten wir das afrikanische Ufer. Oea mit seinen grossen Palmenwäldern lag vor uns, und einen Augenblick später konnten wir schon die einzelnen Häuser unterscheiden. Angesichts der Stadt, liess ich mit Bewilligung des Capitains unsere norddeutsche Flagge am Hauptmaste aufhissen, es war das erste Mal, dass sich dieselbe vor Tripolis zeigte; für meine vielen Freunde und Bekannten daselbst sollte es zugleich ein verabredetes Zeichen sein, dass ich mich an Bord befände. Und kaum hatte man unsere Flagge bemerkt, als sämmtliche Consulatsfahnen an ihren hohen, langen Mastbäumen emporstiegen. Nirgends ist wohl unsere deutsche Flagge ehrenhafter und freudiger bei ihrem ersten Erscheinen begrüsst worden; die Stadt hatte ihr sonntäglichstes Aussehen angenommen. Die Formalitäten des Passes, der Douane und der Sanitätspolizei waren rasch durchgemacht, und kurz nachdem wir Anker geschmissen hatten, konnten wir landen.

Die Ankunft des Dampfers, der zugleich die verschiedenen Posten aus Europa bringt, ist für eine so abgelegene Stadt wie Tripolis immer ein Ereigniss, und die ganze Stadt findet sich dann am Quai des Hafens versammelt; auf diese Art konnte ich auf Ein Mal fast meine sämmtlichen Bekannten begrüssen, fast alle waren auf dem Quai versammelt.

Ich hielt mich nicht lange in der Stadt auf, sondern fuhr gleich nach der Mschia hinaus, wo Consul Rossi mit bekannter Liebenswürdigkeit seinen Landsitz zu meiner Disposition gestellt hatte. Tripolis hatte einen weiteren Schritt in der Civilisation gemacht: es hatte ein Fuhrwerk bekommen, eine kleine Malteser „Kascha“, welche Droschkendienst verrichtete. Früher hatten nur der Pascha und einige der Consuln Wagen, jetzt konnte sich jeder, wer einige Piaster über hatte, das Vergnügen des Fahrens machen, und oft genug sah man elegant gekleidete Judendandi's, die noch vor wenigen Jahren baarfuss bei jedem Moslim vorbeigehen und sich jedwede Schmach von einem fanatischen Druisch gefallen lassen mussten, die Kascha benutzen, und durch Extrabakschische angefeuert, fuhr der Kutscher sie zum Aerger der Rechtgläubigen in rasender Geschwindigkeit über den Grossen Platz, zwischen Stadt und Mschia.

Unsere Sachen waren auch bald in dem Landhause des Herrn Rossi, das recht freundlich und heimisch in einem Palmgarten gelegen ist, angekommen; die nach Bornu bestimmten Sachen liess ich indess alle in einem eigens dazu gemietheten Hause in der Stadt. Beim Auspacken fand sich, dass alle unversehrt, mit Ausnahme einer grossen Glasglocke übergekommen waren. Die noch fehlenden Sachen: Kameele, Seidenstoffe, Corallen etc., wurden nun auch gleich eingekauft, da man dergleichen in Tripolis besser, und eigens für den Geschmack der innern Völker hergerichtet, bekommen kann, als in Europa. Ich hatte hier wieder Gelegenheit, zu bewundern, wie die Tripolitaner, seien es Christen oder Juden, es geschickt anzufangen wissen, einem Fremden gegenüber den Uneigennützigen zu spielen, ohne dabei im Mindesten ihren oft beträchtlichen Gewinn aus den Augen zu verlieren. Man sollte in der That meinen, wenn man es mit diesen Leuten zu thun hat, als ob sie beim Verkauf verlören, und trotzdem, wenn sie Fünfzig auf Hundert gewinnen, glauben sie schlechte Geschäfte gemacht zu haben—denn sie hätten ja hundert Procent und mehr gewinnen können. Es ist dies übrigens so natürlich, dass ich mich gar nicht darüber wundern sollte: Die Juden und Christen leihen den Arabern ihr Geld zu 5 Procent monatlich; 2 Procent oder 1½ Procent monatlich zu nehmen, sind seltene Fälle, ein solcher Mann ist sicherlich ein Ehrenmann, und wird allgemein wegen seiner Uneigennützigkeit gelobt. Die meisten, oder man kann fast sagen, alle in Tripolis lebenden Juden und Christen haben auf diese Weise ihr Geld verdient, denn der eigentliche reelle Handel wirft in Tripolis keinen grossen Gewinn ab.

Welch merkwürdige Schicksale hat aber diese Stadt erlebt und welche Zukunft steht ihr noch bevor, wenn sie einst wie Algerien in die Hände einer aufgeklärteren Regierung kommen sollte. War nicht das alte Tripolis jener Dreistädteverein Leptis magna, Oea und Sabratha, einst eine der blühendsten und reichsten Colonien am Nordgestade Afrika's? Ohne hier einen Abriss der Geschichte der Stadt geben zu wollen, welche sich auch gar nicht, was die alte Zeit anbetrifft, von der Geschichte aller Städte und Colonien Nordafrika's trennen lässt, werden gewiss meine Leser gern einen Blick in die Vergangenheit thun, um zu sehen, unter welchen Verhältnissen Tripolis das geworden, was es jetzt ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Tripolis nach Alexandrien - 1. Band