Von Riga nach der Insel Walcheren

Nachdem wir unser Schiff tüchtig voll Holz geladen, gingen wir die Düna hinab seewärts und erreichte ohne besondere Zwischenfälle nach 3 Tagen Skagen, jene Stelle, wo Nord- und Ostsee sich scheiden. Die Ostsee hatte ich in gutem Andenken, denn außer einem Gewitter, das uns Nachts zwischen 12 und 2 im Sunde überraschte, hatte sie uns nur gutes erleben lassen. Anders die Nordsee. Sobald wir Skagen passiert hatten, ging das Schaukeln los und hörte bis Holland, also 3 volle Tage, nicht wieder auf. Der Wind blies aus Südwest, also gerade gegen unseren Kurs, sodaß das Schiff, nach meiner Meinung, fürchterlich stampfte. Stampfen oder Jumpen nennt man die Bewegung in der Richtung der Kiellinie, Rollen oder Schlingern die Bewegung von Steuerbord und Backbord und umgekehrt (also die seitliche Bewegung). Welche von beiden Bewegungen unangenehmer ist — ich vermag es nicht zu sagen; auf der Rückreise, von Schottland nach Skagen, genoß ich 2 Tage lang das Schlingern reichlich und trage danach ebenso wenig Verlangen, wie nach dem Stampfen. — Jede Minute nahm das Schiff Wasser über, das bis auf die Kommando-Brücke, ja bisweilen über den Schornstein spritzte, der ganz weiß wurde von dem Salz, das daran haften blieb.

Die Großartigkeit des Schauspiels der heranrollenden blauen Wogen mit den weißen Kämmen, die an dem tief sich hineinbohrenden Bug zerschellen und fortwährend kleine Regenbogen bilden--das zu schildern steht nicht in meiner Macht. Völlig genießen kann man das Schauspiel meist um deswillen nicht, weil man sich nicht recht behaglich dabei fühlt, was doch unbedingte Voraussetzung bei ästthetischen Genüssen ist. Eigentlich seekrank war ich nur 24 Stunden. Da saß ich (oder lag vielmehr) kummervoll auf meinem Bette und hielt mich fest, während mein Magen sich umkehren wollte. Der Kapitän sprach mir Mut zu und wollte mich auch zum Essen anhalten; dagegen hatte ich jedoch einen nur zu begreiflichen Widerwillen.


Am Dienstag Abend näherten wir uns, einen Lotsen suchend, der Scheldemündung. Ohne Lotsen die Einfahrt zu versuchen, wäre sträflicher Leichtsinn gewesen; aber woher einen nehmen? Der Wind hatte noch nicht abgeflaut; die Nacht war im Anzuge. Endlich erschien in der Ferne ein Lotsenkutter; wir hißten die Flagge am Fockmast und der Kutter setzte ein Boot aus, das, einer Nußschale gleich, zu uns herübertanzte, bald hoch auf einer Welle balancierend, bald in einem Wellenthal verschwindend. Plötzlich ließ mein Kapitän die Flagge fallen; er hatte bemerkt, daß es ein belgischer, kein holländischer Lotse war, und als praktischer Mann konnte er jenen nicht brauchen. Wer nämlich in einen holländischen Hafen mit einem belgischen Lotsen einläuft, hat außer an diesen auch an jenen zu bezahlen, während es einem freisteht, ohne jede Erhöhung in einen belgischen Hafen sich durch einen Holländer führen zu lassen. Die Kosten belaufen sich auf über 100 Gulden, von denen der Lotse etwa 40% an den Staat zu geben hat; das übrige ist sein Verdienst.

Das Boot des Belgiers lenkte zum Kutter zurück und wir suchten weiter. Nach längerem Leiden stießen wir endlich auf einen Holländer, der uns in dreistündiger Arbeit auf die Reede von Vlissingen brachte, wo wir um Mitternacht ankamen und bis zum nächsten Morgen ankerten. Da wir aus einem choleraverdächtigen Hafen (Riga) kamen, mußten wir die gelbe Flagge aufziehen, worauf ein Arzt an Bord kam, dem wir die Zunge herausstrecken mußten. Dann fuhren wir durch die Schleuse den Kanal hinauf, der mitten durch die Insel Walcheren geht und an dem, etwa halbwegs, Middelburg liegt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco