Middelburg

Gedenke ich Deiner, mein liebes Middelburg, so steigen vor meinem Auge gar freundliche und friedsame Bilder auf. Deine Häuser sind so blank, Deine Straßen so sauber und nett, daß es eine Lust ist darin zu spazieren und in die mächtigen Fenster hineinzuschauen, hinter denen die holländischen Frauen züchtiglich sitzen bei ihrer Handarbeit. Deine Einwohner sind gutmütig und von entgegenkommender Art, manche ziehen sogar den Hut oder nicken dem Fremden zu. Wenn ich mit meinem lieben „Kapteihn“ so dahin pilgerte, hörte ich wohl, wie sie sich zuflüsterten:

Die sind von dem großen Dampfer! Denn die Ankunft unserer „Mira“ war fürwahr ein Ereignis in Middelburg; das kommt nicht jeden Monat, ja vielleicht kaum einmal im Jahre vor. Außer uns lag nur noch eine norwegische Bark und ein dänischer Schoner im Kanal, die beide, gleich uns, Holz gebracht hatten; daraus bestand die ganze Schifffahrt. Traten wir in einen Gemüse- oder Fleischladen, um Einkäufe zu machen, so sagte der Kapitän nur: Schicken Sie es nach dem Dampfer! und die Leute wußten Bescheid. Und als ich einmal in die Irre gegangen war, fragte ich einen Herrn, wo der Weg nach dem Dampfer sei, und er wies mich ohne Weiteres zurecht.


Aber fielen wir den Middelburger auf, so machten wir doch noch größere Augen über diese. Ich will nicht reden von den Männern mit ihren glattgestrichenen und angeklebten Haaren und ihren rauhen schwarzen Hüten, die aussahen, als hätten sie 4 Wochen im Schornstein gehangen; aber die Mädchen und Frauen haben aus früheren Jahrhunderten eine eigenartige Tracht in unsere prosaische Zeit hinüber gerettet. Goldene Spangen ragen aus feingeflochtenen Strohhüten hervor, und an jeder Seite an den Schläfen endigen sie entweder in 4 eckige Platten, oder in Spiralen, oder in Kleeblätter, an denen oft Geschmeide mit Perlen und Edelsteinen besetzt hängen; alles eitel Gold, nichts Falsches. Das einfachste Dienstmädchen würde sich schämen, unechten Schmuck zu tragen, und manche legt wohl ihr ganzes Vermögen in solchen Kleinoden an. Uebrigens schwindet in der Stadt selbst die Tracht mehr und mehr, und hauptsächlich die Landbewohner und -bewohnerinnen prangen noch darin.

Vor vielen Häusern befinden sich, mit eisernen Gittern eingefaßt, zierliche Vorgärten, in denen nur - die Blumen fehlen! Statt dessen sind sie mit glatten Steinplatten ausgelegt. Sonderbarer Geschmack das! Doch bilden sie einen wirksamen Schutz für die Erdgeschoßwohnungen gegen die allzuneugierigen Augen Fremder und Einheimischer. Manche der Häuser tragen Namen, die weniger von dem poetischen Sinn der Besitzer als vielmehr von ihrer praktischen Geistesrichtung zeugen: eins heißt „Zu den drei Gießkannen“, ein anderes „In de dry Teertonnen“. Auch in Middelburg scheinen aller guten Dinge drei.

Da die Kirmes grade begonnen hatte, so herrschte ein besonders reges Leben auf Straßen und Plätzen. Voller Buden stand der Markt, und das herrliche gothische Rathaus, das Karl der Kühne erbaut hat, schaute verwundert auf all das ungewohnte Treiben herab, das er wohl nur einmal im Jahre zu sehen bekommt. Durch all das Getümmel und Marktgewühl drang bisweilen ein Stück von einer Melodie. Man weiß nicht recht, woher sie kommt, unwillkürlich schaut man hinauf, denn aus den Lüften herab tönt sie, und je mehr man sich dem „langen Jan“ nähert, dem Hauptkirchturm der Stadt, um so klarer wird es einem: daher kommt sie. Wir stiegen die dreihundert und soviel Stufen hinauf, um das Glockenspiel, das größte in Holland, zu besehen. Da hingen die 48 Glocken und gerade fing es an lebendig um uns zu werden und es erklang das Lied: Das ist im Leben häßlich eingerichtet, daß bei den Rosen gleich die Dornen stehn.

Tief unter uns lag die Stadt, weit schweifte der Blick über die reiche grüne Insel, deren goldenes Herz Middelburg bildet. Am Horizonte ragten die mächtigen Dünen, die die Insel umarmen und gegen die wild herein stürmende Nordsee schützen. Jetzt schlug es dreiviertel, und: Ich weiß nicht was soll es bedeuten! erklang es. Auf all die traurigen Lieder folgte aber um die volle Stunde: Freut Euch des Lebens! War das nicht vernünftig eingerichtet vom Künstler des Uhrwerks?

Undankbar wäre es, wenn ich sie vergessen wollte, die uns so manches Angenehme gespendet hat – die Münchener Bierstube des Herrn Heßling, eines Friesen. Da sitzt man bei offener Thür und schaut bald auf die Straße und ihren Verkehr, bald in den mächtigen Humpen; als der gute Heßling merkte, welchen Durst wir mitbrachten, setzte er uns Literkrüge vor. Als mildernden Umstand mag der Leser in Betracht ziehen, daß wir 6 Tage keinen Tropfen Bier gekriegt hatten; da mundete das Franziskanerbräu vortrefflich. In Schottland, wo es mit den Kneipverhältnissen bekanntlich ganz elend aussieht, wünschten wir manchmal unsern Freund Heßling herbei, aber leider vergebens.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco