Abschnitt 1

Von Helsingör nach Gent


Die Fahrt über das Kattegat giebt schon einen kleinen Vorgeschmack der Nordseefahrt, wie das Kattegat der Nordsee auch mehr ähnelt als der sanfteren Ostsee. Diesmal freilich merkte man nichts von der Rauheit, die hier herrschen kann, bei solchem Sonnenschein und solcher leichten Brise kann auch die zarteste Landratte zur See fahren. Es war, als ob sich einige Dutzend Dampfer mit einigen hundert weißbesegelten Schonern, Briggs und Barks Rendezvous gegeben hätten auf dem blauen Parkett des Kattegats, so wimmelte es von Schiffen. Zur Rechten (verpöntes Wort auf See; wenn ich es brauchte, hielt sich mein sonst so liebenswürdiger Kapitän entsetzt die Ohren zu und rief: Steuerbord, Doktor, Steuerbord! Rechts heißt Steuerbord, links Backbord! Und das ist nun Deine dritte Reise mit mir!), also auf der Steuerbordseite stieg das schwedische Vorgebirge Kullen aus der Flut, dessen graziöse Konturen an die des Taunus, von Frankfurt aus gesehen, erinnern.


Da ich sehr ermüdet war, suchte ich, nachdem ich mich von meiner Entbehrlichkeit auf der Brücke überzeugt hatte, frühzeitig meine Koje auf, um den mir geraubten Schlaf nach Kräften nachzuholen. Doch das Unglück schreitet bisweilen schnell!

Als ich im besten Schlafe war, wurde ich durch die dumpfen Töne des Nebelhorns geweckt. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, zog mich, obgleich es etwa 3 Uhr Morgens war, schleunigst an und kletterte auf die Kommandobrücke, wo der Kapitän und der 1. Steuermann standen und in den dichten Nebel hinausblickten. Wir befanden uns nicht weit von Skagen; unserm Nebelhorn antworteten ab und zu diejenigen anderer in der Nähe befindlichen Dampfer. Nach einer Viertelstunde etwa senkte sich die Hülle, und wir wurden durch einen herrlichen, klaren Sonnenaufgang entschädigt. Wie der obere Rand der goldenen Scheibe über der schwarzblauen Flut aufblitzte, dann breiter und höher wurde und sich als rotgoldener Ball allmählich halb und endlich ganz emporhob - das zu beschreiben ist unmöglich. Ich habe nie einen solchen Sonnenaufgang gesehen. Allein die Freude währte nicht lange; der Nebel kehrte wieder, und wieder zog ich unverdrossen alle 2 Minuten die Leine, sodaß das Nebelhorn (die Dampfpfeife) dumpf und langgezogen erklang. Wieder senkte sich der Nebel, aber doch nur so weit, daß der obere Teil des mächtigen Leuchtturms von Skagens Horn daraus hervorragte, der untere Teil blieb verhüllt. Vom Lande her tönte in gemessenen Zwischenräumen eine Sirene, ähnlich dem Geheul jämmerlich geprügelter Hunde, höchst unästhetisch, aber weithin hörbar. Als der Nebel sich endlich ganz gesenkt hatte - es mochte mittlerweile 4 Uhr geworden sein - krochen der Kapitän und ich wieder in unsere Kojen, um, wie er sagte, noch 4 Stunden zu schlafen.

Doch bald wurden wir aus der Täuschung gerissen. Kaum eingeschlummert, verkündete das laute Blasen des Hornes, daß der unheimliche Gast wieder da war. Also wieder anziehen und wieder hinauf, denn so phlegmatisch bin ich nicht veranlagt, es bei solchem Nebel unten auszuhalten. Glücklicherweise dauerte es auch diesmal nicht lange, dann aber hatten wir keine Lust, uns noch einmal betrügen zu lassen, wir blieben auf, tranken eine Tasse Kaffee, nahmen ein Bad, wozu das Wasser direkt aus dem Meere in die Wanne geleitet wird, und stärkten uns dann an einem kräftigen Frühstück. Ausgenommen die Mahlzeiten lag ich natürlich, wie immer auf See, in meinem Triumphklappstuhl neben dem Kapitän auf der Kommandobrücke, um die reine Luft aus erster Hand zu trinken. Die vielen Schiffe, die uns im Sunde und noch im Kattegat umgeben hatten, verschwanden allmählich und verteilten sich nach verschiedenen Richtungen. Nur dann und wann begegnete uns eins, einige gingen auch mit uns. Einen Dampfer trafen wir stillliegend an, er hatte vor dem Vordermaste drei schwarze Bälle aufgezogen, was bedeutete, daß er manövrierunfähig war. Einen zweiten großen Dampfer sahen wir dreimal stillliegen und immer wieder fahren, bis er uns endlich überholte und unseren Blicken entschwand. Am Nachmittag stampfte das gegen den Südwest angehende Schiff doch so, daß ich es für gut hielt, in horizontaler Stellung zu verweilen, um nicht, wie vor drei Jahren an dieser Stelle, unfreiwillige Opfer des Magens bringen zu müssen. Ich legte mich also um 3 Uhr in mein gutes Bett und verzichtete auch auf das Abendessen. Glücklicherweise ging die See nicht so hoch, daß mein Kabinenfenster geschlossen werden mußte, sonst wäre ich gewiß durch die schlechte Luft seekrank geworden. Nur einige Male spritzte das Wasser herein, einmal so, daß meine Stiefel tüchtig etwas abbekamen und der Schiffsjunge ihren Inhalt ausgießen mußte. Als ich in angenehmem Schlafe lag, weckte mich wieder die Dampfpfeife. Hinauf an Deck, hieß es also. Das war gestern nur ein Vorschmack vom Nebel gewesen; diesmal war er viel dichter und hielt etwa 4 Stunden an, von halb 3-7; eine unheimliche Zeit, die mir zu einer Ewigkeit wurde. Und doch fühlte ich, daß man sich auch an solche Situation gewöhnt; froh waren wir nur, daß wir trotz allen Horchens kein anderes Nebelhorn hörten. Plötzlich erklang eins ziemlich nahe vor uns. Auf das Gespannteste blickten Kapitän und Steuermann hinaus in die dichte Undurchdringlichkeit, in ganz kurzen Zwischenräumen ertönten nach einander unser und des fremden Dampfers Pfeife; die Maschine, die bei Nebel natürlich immer auf „Langsam“ arbeitet, wurde auf „Halt“ gestellt, und gleich mußte sich entscheiden, ob wir gegen einander fuhren oder nicht. Denn nur ein Zufall, keine Berechnung kann einen Zusammenstoß verhindern. Plötzlich tauchten dicht an Steuerbordseite (rechts) die Umrisse eines Dampfers auf, der gleich wieder im Nebel verschwand. Der Kapitän meinte, er habe „vollen Dampf“ gehabt, sonst wäre er nicht so schnell herangekommen. Die Engländer stehen bekanntlich in dem Rufe, auch im Nebel auf gut Glück mit vollem Dampf zu fahren, um keine Zeit zu verlieren.

Nach dieser Aufregung ging es in das Bad und dann an's Frühstück. Der Tag wurde prächtig, die See glatt, die Sonne schien warm; das reine Ostseewetter, wie ich es nannte, da ich in der Ostsee niemals Unwetter, Nebel und dergleichen erlebt hatte. Wir waren jetzt etwa in der Mitte der Nordsee, es war ganz einsam, viele Stunden kein Schiff.

In dem Maschinenraum war inzwischen schon seit einigen Tagen eine kleine Revolution ausgebrochen. Der eine Trimmer (Kohlenzieher) stellte sich krank und versteckte sich irgendwo im Laderaum zwischen das Holz. Als er nach mehrstündigem Suchen gefunden wurde, erklärte er, falls man ihn zum Arbeiten zwänge, würde er sich in Wasser stürzen, Es blieb also nichts übrig, als ihn sich zu überlassen; er ging zu Bett, nahm aber lebhaft an allen Mahlzeiten teil. Tags darauf wurde einer der Heizer wirklich krank; da überhaupt nur zwei Trimmer und zwei Heizer auf Schiffen von der Größe Miras vorhanden sind, so war die Stellvertretung sehr schwierig.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco